Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann
aus dem oberen Stockwerk ein kreischendes Geschrei, dem ein Gepolter wie von umstürzenden Stühlen und das dumpfe Brummen einer Männerstimme folgte. »Quäcola verübt Unfug«, sagte Lamberg lächelnd und erhob sich, um der Ursache des Lärms nachzuforschen. Cajetan begleitete ihn aufregungslustig.
Dem Affen war es zur Nachtruhe zu früh gewesen, und da er die Tür seines Käfigs unversperrt fand, hatte er sich ins erleuchtete Badezimmer begeben, war in die Wanne gestiegen, hatte den Hahn geöffnet und zu seinem Entsetzen eine Wasserflut auf den Pelz bekommen. Emil eilte mit dem Besen herbei, um ihn zu züchtigen, Quäcola war triefend und zitternd vor ihm geflohen, und nun standen Tier und Mensch einander gegenüber, jenes zähnefletschend und schuldbewußt, die Backen in possierlicher Schnellbewegung, dieser mit der Würde des gekränkten Hausgeistes, rachsüchtig und entschlossen. Als Lamberg auf den Plan trat, wandte sich der Schimpanse mit höchst entrüsteten und den Diener anklagenden Gebärden zu ihm, Emil jedoch gab seinem Unwillen durch Worte Ausdruck. »Gnädiger Herr, mit der Bestie ist nicht zu wirtschaften«, sagte er. – »Sie müssen ihn belehren und erziehen«, antwortete Lamberg gefaßt. – »Da ist Hopfen und Malz verloren, so lang ihn der gnädige Herr so verwöhnen«, war die Entgegnung. »’s ist ein falscher, treuloser Geselle, das ist er, ich verstehe mich auf –« Schon wollte er sagen: auf Menschen, verschluckte aber die unpassende Bezeichnung und starrte melancholisch auf seinen Besen.
Lamberg schlichtete den Streit. Er überredete Quäcola, dem Diener die Hand zu reichen, der aber wich zurück wie ein Offizier, dem man das Ansinnen stellt, mit seinem Degen eine Maus aufzuspießen. Heftig gestikulierend ließ sich der Schimpanse in den Käfig führen; er wurde mit Leintüchern trocken gerieben, und nach einer Viertelstunde war Frieden. Cajetan hatte sich über die Szene sehr ergötzt, und Georg gab, als sie zu den andern zurückgekehrt waren, eine so vortrefflich nachahmende Schilderung von dem Benehmen des Tieres, daß alle in lautes Gelächter ausbrachen.
»Nicht immer spielen Affen eine so heitere Rolle«, sagte Lamberg schließlich. »Das Volk scheint sie sogar als verderbliche Dämonen zu betrachten. Ich lebte einmal einige Sommerwochen auf der Malser Heide, und ein junger Förster, mit dem ich häufig im Gebirg wanderte, erzählte mir die Geschichte eines Liebespaares aus jener Gegend, bei der ein Affe zur Verkörperung des Fatums wurde.«
»Laß hören«, rief Franziska, und Lamberg begann:
Im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts war der Vintschgau ein nicht viel einsameres und karger bevölkertes Tal als heute. Die begrenzenden Bergwände sind steil und waldlos; durch die zahlreichen Seitentäler blicken hochgetürmte Gipfel: Mut- und Rötelspitze, Texel, Schwarz- und Trübwand, Lodner und Tschigat und der majestätische Laaser Stock. Braunes und gelbes Felsgestein ist allenthalben emporgezackt, auf den Hangwiesen leuchten die Blumensterne alpiner Flora, schwarze Ziegen grasen bis hoch hinauf in den Mulden, schmalhüftige Rinder brüllen über die ganze Weite der Senkung einander zu, gischtweiße Wasserfälle donnern in die Etsch, das aufgerissene Dunkel langer Engpässe und gewundener Schluchten läßt im Innern der Gebirge tiefere Abgeschiedenheit ahnen, und auf dem zerklüfteten Gestein sieht man von Meile zu Meile uralte Schlösser. Der Sommer bringt den Mandelbaum und die Edelkastanie zum Blühen, und bis zu der Stelle, wo das Schlandernauntal mündet, schlingt sich die Weinrebe um die schwärzlichen Moränen. Aber der Winter ist selbst im untern Tal hart; es heißt, daß die krankhafte Langeweile vom Oktober bis zum April fast alle Regierungsbeamten zu Morphinisten macht. Die Poststraße von Finstermünz übers Stilfser Joch ist acht Monate hindurch verschneit; nur nach Meran führt ein bequemer Weg, aber dort wohnt leichtes Volk, das viel lacht und wenig denkt. Im Vintschgau denkt man viel; seine Menschen sind hager, schweigsam, wachsam und seit dreihundert Jahren in ihrem Wesen kaum verwandelt.
Man sollte glauben, daß Jugend und Schönheit nicht von Belang sind in einer Welt, wo die herrische Natur während der längsten Dauer des Jahres ihre Geschöpfe in so strenger Zucht bindet. Trotzdem hat sich bis heute die Nachricht von einer leidenschaftlichen Begebenheit erhalten, vielleicht der außerordentlichen Umstände wegen, die damit verknüpft waren. Die Geschichte spielt zwischen den feindlichen Familien Ladurner und Tappeiner, die bei Schlanders in zwei Dörfern rechts und links der Etsch wohnten, die Ladurner in Goldrein, unterhalb Kastell Schanz und Schloß Annaberg, die Tappeiner in Morter an der Mündung des reißenden Plimabachs. Die Zwietracht bestand schon seit mehreren Geschlechtern und niemand kannte die Ursache; einige sagten, eine böswillig zerstörte Brücke sei der Anlaß gewesen, andere behaupteten, Uneinigkeiten über Jagdbefugnisse. Ich will mich nicht dabei aufhalten, jedenfalls war es der richtige scheele, eiserne Bauernhaß, wo Blut gegen Blut steht.
Man hat oft erfahren, auch die Dichtung bezeugt es, daß gerade die überlieferte Feindseligkeit zwischen nah beieinanderwohnenden Familien plötzlich und in natürlichem Widerpart gegen eingefleischte schlechte Instinkte einen Bund zweier Herzen hervorbringt und das Element der Liebe sich gegen das des Hasses stellt. Und wenn hier die Lösung der Geschehnisse den Hassern aus der Hand gerissen wurde, geschah es nicht, weil die Liebe stärker war, sondern weil eine allgemeine Vernichtung den Untergang der Liebenden begleitete.
Am Pfingstsonntag des Jahres 1614 hatte auf dem Marktplatz in Schlanders eine Truppe von Gauklern ihr Zelt aufgeschlagen. Es waren Italiener, die einen Taschenspieler, einen Seiltänzer, einen Wunderdoktor, einen Athleten und vor allem eine Gorilla-Äffin bei sich hatten. Diese Äffin erregte teils Neugier, teils Furcht, da sie ungeachtet ihrer Menschenähnlichkeit in Gebärden und Verrichtungen doch eine unsägliche Wildheit merken ließ. Jene Leute selbst waren des Tieres, das sie erst vor kurzem von maurischen Kaufleuten in Venedig erhandelt hatten, noch keineswegs sicher und legten es bei Nacht in Ketten.
Im Gedränge um den abgesteckten Platz waren drei Ladurnerburschen und der junge Franz Tappeiner, der sich in Gesellschaft einiger Kameraden aus Morter befand, aneinandergeraten, und es sah aus, als ob es nicht bei drohenden Mienen und Augenblitzen sein Bewenden haben sollte, als die junge Romild Ladurner ihrem Vetter die Hand auf den Arm legte und zum Frieden mahnte. Als Franz Tappeiner das Mädchen gewahrte, das feste Schultern und Zähne wie ein junger Hund hatte, trat er einen Schritt auf sie zu, denn er hatte sie vorher nie gesehen, und ihre Erscheinung rief auf seinem frischen Gesicht ein unendliches Erstaunen hervor. Sie hielt seinem Betrachten stand, und ihre Augen blickten starr wie die des Adlers, bis sie der Vetter, der Unheil witterte, bei der Hand packte und hinwegzog. Der junge Tappeiner drängte den Ladurnern nach, indem er sich wie ein Schwimmer durch die Menge arbeitete, und als er hinter Romild wieder an dem Strick angelangt war, der die Zuschauer von dem fahrenden Volk trennte, produzierte sich gerade die Gorilla-Äffin im Gewand eines vornehmen Fräuleins, wandelte knixend auf und ab und wehte mit einem florentinischen Fächer ihrem haarigen Gesicht Kühlung zu.
Die Bauern kicherten und grinsten vor Verwunderung. Auf einmal hielt die Äffin inne, ließ die glühend unruhigen Augen über die versammelten Köpfe schweifen, und in ihren Mienen war die diabolisch freche Überlegenheit eines Wesens, das, einer Riesenkraft bewußt, es dennoch vorzieht, sich in spielerischer Tücke zu verstellen. Da blieben ihre Blicke auf dem Antlitz der jungen Romild haften; das zarte Menschengebild schien es ihr anzutun, sie fletschte in grauenhafter Zärtlichkeit die Zähne, verließ mit einem Sprung das Podium, wobei der seidene Rock an einem Nagel hängen blieb und zerfetzt wurde, und streckte den überlangen Arm aus, um das Mädchen zu betasten. Mit einem einzigen Schreckensschrei wich die ganze Menschenmasse zurück, nur Romild verharrte wie eingewurzelt auf der Stelle; in derselben Sekunde griff eine Faust nach dem Handgelenk des Gorilla; es war Franz Tappeiner, der trotz seiner knabenhaften Jugend als ein Mensch von großer Stärke galt und den knöchern-schmächtigen Arm des furchtbaren Tieres leichterdings meistern zu können glaubte. Aber sogleich spürte er den eigenen Arm so gewaltig umklammert, daß er stöhnend in die Kniee brach. Im Nu war ein leerer Raum um ihn und Romild entstanden, den die Äffin durch heiser bellende Schreie vergrößerte, und Männer und Weiber begannen in fast lautlosem Gewühl zu fliehen. Die bestürzten Gaukler, die sich um ihren Verdienst gebracht sahen, liefen beschwörend hinterdrein, nur der Seiltänzer hatte Geistesgegenwart genug, den dicken Strick, der unter den Röcken der Äffin am Knöchel eines Fußes befestigt war, zu packen und um einen Pflock zu schlingen. Aus einem Fensterchen des Reisewagens der Bande schaute das bleiche Gesicht eines jungen kranken Frauenzimmers in die heillose Verwirrung. Wahrscheinlich kannte sie ein beeinflussendes Zeichen, denn kaum hatte sie