ABENTEUER LASS NACH. Scott Meyer

ABENTEUER LASS NACH - Scott  Meyer


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einem andauernden Rütteln auswuchs. Es war stark genug, dass sie instinktiv in die Hocke gingen, um so ihren Körperschwerpunkt weiter nach unten zu verlagern. Im Fels unter ihnen zeigten sich erste Risse. Sie rannten gemeinsam in Richtung der Brücke, ohne dass es einer Diskussion bedurfte, wobei der wackelige Untergrund sie umhertorkeln ließ wie eine Horde Betrunkener. Die Risse verbreiterten sich mit besorgniserregender Geschwindigkeit. Ein besonders großer Riss spaltete die Spitze des Felsens. Der größere Teil blieb mit der Brücke verbunden, auf dem kleineren Teil befand sich Jeff.

      Jeff sah, dass seine Lage ernst war. Er lief zum Rand seiner felsigen Insel, doch in der Zeit, die er für die drei Schritte benötigte, hatte sich die Kluft zwischen ihm und seinen Freunden bereits so weit vergrößert, dass sie mit einem Sprung nicht mehr überwunden werden konnte. Er kam gerade noch rechtzeitig wieder zum Stehen, um nicht die Spalte hinabzustürzen. Einen Moment lang wankte er bedenklich. Die Spitzen seiner Sneakers hingen bereits über dem Abgrund, und er war unfähig, sein Gleichgewicht auf dem sich verschiebenden Untergrund wiederzuerlangen. Glücklicherweise verlagerte sich sein Gewicht schließlich wieder nach hinten. Das versetzte ihn in die Lage, sich einigermaßen würdevoll aufrechtzuhalten. Sein Teil des Felsens war bereits fast zehn Meter weit vom Hauptteil entfernt und gleichzeitig um mehrere Meter abgesackt. Er blickte hinauf zum Rest der Gruppe. Alle standen an der Felskante und schauten zu ihm hinunter. Sie versuchten ihn zu erreichen, doch ihnen war klar, dass das zu nichts führen würde.

      Als der Fels, auf dem er stand, um einen weiteren Meter absackte, spürte Jeff, wie er langsam die Bodenhaftung verlor. Ihm war bewusst, dass er am Boden der Schlucht landen würde, wenn er noch mehr Erdung verlor. Fliegen konnte er nicht. Diese Fähigkeit hatte Todd ihm genommen. Er konnte sich nicht teleportieren. Auch diese Gabe hatte Todd ihm geraubt. Es war zwar nicht ausdrücklich ausgesprochen worden, aber Jeff war sich ziemlich sicher, dass ihm die Möglichkeit, durch einen Sturz aus großer Höhe ums Leben zu kommen, von Todd zurückgegeben worden war.

      Jeff schaute hinauf zu seinen Freunden. Als er spürte, wie der Boden unter seinen Füßen nachzugeben begann, sagte er: »Dreck.«

      Die anderen sahen hilflos zu, wie Jeff die Schlucht hinabstürzte. Seine graue Zaubererrobe flatterte dabei um seinen Hals und seine Schultern wie ein Umhang. Sie registrierten, wie er auf dem Boden aufschlug. Keiner von ihnen hatte auch nur die leiseste Hoffnung, er könne noch am Leben sein.

      Der Rest der Gruppe krabbelte verzweifelt in Richtung der Brücke, die einen sichereren Stand versprach. Während sie rannten und stolperten und sich auf allen vieren weiterschleppten, fiel hinter ihnen ein Stück Granit nach dem anderen in die Tiefe und trieb sie in ihrer blinden Panik weiter voran.

      Gary war der Erste, der den Wald jenseits der steinernen Brücke erreichte. Philip und Jimmy folgten direkt hinter ihm. Tyler bildete die Nachhut und bei jedem seiner Schritte stürzte das Stück Brücke, welches er gerade hinter sich gelassen hatte, direkt hinter ihm in den Abgrund.

      Er hatte die Brücke fast überquert, war fast in Sicherheit, als er plötzlich sagte: »Moment mal«, und aufhörte zu rennen. Kaum war er zum Stehen gekommen, rollte auch die Welle der Zerstörung, die ihn verfolgte, langsamer und stoppte ebenfalls. Tyler drehte sich um und blickte hinab in die Leere. Immer noch war die Luft von einem verheerenden Grollen erfüllt, doch es gab keine Anzeichen weiterer Vernichtung. Tyler machte einen großen Schritt rückwärts. Weil er sich umgedreht hatte, um in die Schlucht hinunterzublicken, bewegte er sich allerdings weiter in Richtung seiner Freunde, weiter in Richtung Sicherheit. Sobald er sein Gewicht verlagerte, stürzten die Steine, die eben noch sein Gewicht getragen hatten, in die Tiefe.

      Tyler schüttelte angewidert seinen Kopf. Er machte kehrt und während sich die Brücke hinter ihm planmäßig auflöste, schlenderte er gemächlich auf die anderen zu, bis er festen Boden erreicht hatte. Er hob einen Tannenzapfen auf und warf ihn in die Richtung, aus der er gekommen war. Er beschrieb seine erwartete Flugbahn, bis zu der Stelle, an der sich zuvor noch die Brücke befunden hatte. Dort setzte der Zapfen auf und prallte ab. Tyler murmelte: »Schlampig programmiert«, seine Stimme vor Verachtung triefend.

      »Soll das heißen, sie ist noch da?«, rief Gary.

      »Die sichtbaren Parameter und die physikalischen wurden getrennt voneinander programmiert«, erklärte Tyler. »Die Steine, aus denen die Täuschung bestand, waren masselose Hüllen. Die Formen der Täuschung sind noch vorhanden.«

      Wieder ploppte Todds Chatfenster aus dem Nichts auf, wieder wirkte er verstimmt.

      »Es musste nur überzeugend genug sein, um Euch zum Laufen zu kriegen«, sagte Todd. »Schlampig oder nicht, es hat funktioniert, aber ja, du hast schon recht. Der Großteil des Plateaus ist noch da, außer natürlich der, auf dem Jeff stand.«

      »Was zum Teufel sollte das?!«, schrie Philip.

      Todd schwieg.

      Philip rief zornig: »Todd! Wir gehen keinen Millimeter weiter, bis du uns erklärst, was gerade passiert ist.« Sie standen am Beginn eines Waldweges, vor ihnen lag ein langer Marsch durch dunkle Wälder, hinter ihnen eine steil abfallende Klippe. Die anderen gaben keinen Laut von sich. Zum einen waren sie fassungslos, zum anderen erwarteten sie ebenfalls eine Antwort auf diese Frage.

      Schließlich meldete sich Todd: »Ihr wollt eine Erklärung zu dem, was gerade passiert ist? Im Ernst? Der Fels ist zerbröselt und ihr seid gerannt. Ich weiß nicht, was daran so schwer zu verstehen ist.«

      »Was ist mit Jeff passiert?«, fragte Philip fordernd.

      Todd sagte: »Er ist abgestürzt.«

      »Und was ist dann mit ihm passiert?«, setzte Jimmy nach.

      Todd ging näher an die Kamera, um seiner nächste Aussage mehr Nachdruck zu verleihen. »Er ist gestorben.«

      Gary meinte kopfschüttelnd: »Gut, okay, ja, verstehe, im Abenteuer ist er gestorben, aber wo ist er? Was ist mit ihm passiert? Wann werden wir ihn wiedersehen?«

      Todd sagte: »Er liegt am Boden der Schlucht, jedenfalls das, was von ihm übrig ist. Er ist wirklich gestorben. Ihr werdet ihn wiedersehen, falls ihr beschließen solltet, da runter zu klettern und seine Leiche zu bergen.«

      »Du hast ihn umgebracht?!«, heulte Philip auf.

      Todd kicherte. »In gewisser Weise hast du ihn umgebracht, Philip. Als du ihn zu deinem stellvertretenden Befehlshaber gemacht hast, war er in diesem Spiel dem Tode geweiht. Ich dachte mir schon, dass du ihn oder Tyler nehmen würdest, ganz sicher war ich mir aber nicht. Also ist es, genau genommen, dein Fehler, dass er jetzt tot ist.«

      »Ich wusste doch nicht, dass ich ihn dafür auswähle!«, beklagte sich Philip. »Ich dachte, es sei für den Fall, dass wir getrennt werden oder etwas in der Richtung. Ich hatte keine Ahnung, dass ich ihn dazu bestimme zu sterben!«

      Todd zuckte mit den Schultern. »Dann sind wir wohl beide zu gleichen Teilen schuld, schätze ich.«

      Gary fragte: »Wieso Jeff umbringen? Wieso irgendeinen von uns umbringen?«

      Todd schüttelte seinen Kopf. »Kommt schon, Jungs! Welchen Teil von ›Rache‹ habt ihr nicht verstanden? Ihr habt das Gesetz in die eigenen Hände genommen, habt mich fortgeschickt, damit ich für den Rest meines Lebens in einem Gefängnis verrotte. Immer in dem Wissen, Unsterblichkeit und unermesslichen Reichtum in den Händen gehalten zu haben, bevor ihr mir das alles weggenommen habt. Jetzt bin ich wieder da, um mit euch abzurechnen, und ihr wollt ein Trainingsspielchen mit mir? Ihr sitzt alle in der Falle, in einem tödlichen Spiel, das ich mir über Jahre hinweg ausgedacht habe. Jeff ist gestorben, weil ich gleich zu Beginn jemanden sterben lassen musste, damit ihr wisst, was auf dem Spiel steht.«

      »Wir sind Zeitreisende«, erinnerte Tyler. »Wir finden eine Möglichkeit, Jeff zurückzuholen.«

      Todd sah Tyler in die Augen. »Falls ihr überlebt und eure Kräfte zurückbekommt, etwas, das Jeff nicht gelungen ist. Ihr wolltet einen Grund, um mit ganzem Herzen dabei zu sein? Nun, jetzt habt ihr einen. Ihr müsst immer weitermachen, sonst werdet ihr sterben. Solltet ihr eine der Herausforderungen nicht meistern, werdet ihr sterben. Solltet ihr unvorsichtig sein und unterwegs einen Fehler


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