Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
habe recht, so sicher recht, wie irgend jemand!«
»Aber was tun?« rang Frau van der Lohe die Hände.
»Das wäre des Überlegens wert,« erwiderte Olga lauernd, »natürlich ist es deine Pflicht, das Unheil zu verhüten.«
»Um jeden Preis,« sagte Frau van der Lohe mit Entschiedenheit. »Ich, seine Mutter, habe das Recht und die Pflicht dazu! Eine solche Heirat wäre eine Schmach für die Familie, ich könnte mich in St. niemals wieder sehen lassen, wenn Jo sich soweit vergessen wollte, meine Vorleserin zu heiraten! Ich werde ihm das ernst und eindringlich vorhalten!«
»Das wäre vergebliches Bemühen, Tante. Wenn Jo einen Entschluß gefaßt hat, so bringt ihn nichts davon ab – keine Macht der Erde, nicht einmal du!«
»Leider,« seufzte Frau van der Lohe unruhig, »mein Gott, welche Entdeckung, welche Angst! Schicke mir die Eckhardt her – ich werde mit ihr sprechen!«
»Das wäre gerade der verkehrte Weg!« widersprach Olga. »Jo hat sie sicherlich nicht ohne Verhaltungsmaßregeln verlassen.«
Frau van der Lohe erhob sich und schritt erregt im Zimmer auf und ab. »Ich werde sie heute noch fortschicken,« rief sie endlich.
»Damit Jo ihr nachreist und dann ganz freie Hand hat,« ergänzte Olga spöttisch. »Nein, Tante, das geht nicht! Das einzige wäre, daß das Mädchen ihm endgültig aus dem Wege geräumt würde.«
»Wir können sie aber doch nicht umbringen!« rief die alte Dame entsetzt.
»Da wir nicht mehr in der Zeit der unterirdischen Verließe und der Erbschaftspulver leben, natürlich nicht, Tante.«
»Olga, für solche Scherze bin ich nicht aufgelegt,« sagte Frau van der Lohe verweisend. »Wenn du Rat weißt, so erkläre dich, denn die Gefahr muß beseitigt sein, ehe Jo von seiner Reise zurückkehrt.«
»Ich bin ganz deiner Ansicht, Tante. Willst du mir die Sache in die Hand geben?«
»Was willst du tun?«
»Rose Eckhardt bis zu Jos Rückkehr verheiraten.«
Frau van der Lohe prallte förmlich zurück; sie dachte im ersten Augenblick nicht anders, als daß ihre Nichte den Verstand verloren hätte.
»Das ist unmöglich,« sagte sie dann unsicher.
»Das ist nicht unmöglich,« erwiderte Olga eindringlich. »Ich mache mich anheischig, es fertig zu bringen. Ein Hindernis dabei wäre nur die Armut des Mädchens.«
»Ich will ihr die Aussteuer geben!« rief Frau van der Lohe, »sage nur, wieviel du brauchst! Ich gebe dir freie Hand.«
»In allem, Tante?«
»Natürlich! Beseitige nur diese Gefahr, liebes Kind, gib mir meinen Sohn wieder! Wenn es dir gelingt, so sollst du mein Brillanthalsband haben, das dir stets so gut gefiel.«
Olga von Willmer lächelte bitter, denn so gern sie sich schmückte, hier hatte sie nicht an blitzenden Lohn gedacht; sie wollte nichts als Vergeltung haben, heiße, unfehlbare, zerschmetternde Vergeltung für die zwei Worte: Maurus Magyar.
Frau van der Lohe war bald Feuer und Flamme für Olgas Rettungsmittel, von dem sie freilich keine Ahnung hatte, wie es ins Werk gesetzt werden sollte. Das wollte sie auch gar nicht wissen, um mit voller Wahrheit sagen zu können, daß sie unbeteiligt gewesen, besonders da der Erfolg so zweifellos schien, denn wenn ihr Sohn Rose Eckhardt verheiratet wiederfand, so war die Sache endgültig erledigt. Nichts war so klar wie das, – der Gedanke, daß auch eines Mannes Herz brechen, auch sein Leben vernichtet werden kann, kam Frau van der Lohe nicht in den Sinn. Jo würde vielleicht ein wenig betrübt sein, ärgerlich sogar, aber was war das gegen eine solche Mißheirat; Frau van der Lohe wollte ihm dafür einige seltene teure Fasanen in seine Fasanerie kommen lassen, das würde ihn schon wieder besänftigen. An Rose dachte sie gar nicht: das arme Ding mußte froh sein, versorgt zu werden, und sie wollte ihr die Ausstattung schenken, – gewiß, das wollte sie, und wenn es Tausende kosten sollte.
Nach diesem heldenhaften Entschluß wurde Frau van der Lohe wieder ruhiger, denn sie wußte die Sache in Olgas Händen gut aufgehoben, und sie fragte nicht einmal, wen Olga mit Roses Hand beglücken wollte; das war nicht ihre Sache – sie wollte nichts über das Wie und Wo des Planes ihrer Nichte wissen, sondern sich damit »überraschen« lassen.
»Der erste Schritt,« dachte Olga befriedigt, als sie ihre Tante verließ. »Dieses Eisen wäre geschmiedet, nun weiter im Text!«
Aber sie stürzte sich nicht Hals über Kopf in ihre Aufgabe, sondern überlegte genau. Sie war nie in der Ausführung eines Planes, einer Arbeit flüchtig gewesen, peinliche Ordnung und Bedachtsamkeit war ein Hauptzug ihres Charakters; aber jetzt kam sie sich doch selbst fremd vor, wie sie sich so Punkt für Punkt ihr Vorhaben vorzeichnete, wie sie mit der erbarmungslosesten Ruhe, »kühl bis ans Herz hinan« überlegte, wie zwei Menschen am besten und unheilbarsten zu Tode getroffen werden konnten.
Ihr nächster Schachzug galt der unschuldigen Ursache aller dieser Aufregungen und Qualen – Rose. Aber sie mußte warten, denn Carola suchte jedes Alleinsein zwischen ihrer Kusine und dem jungen Mädchen zu hintertreiben, sie hing sich wie eine Klette an diese.
»Wetten wir, daß hier etwas gebraut wird?« sagte sie zu Körner, »ich wittere irgend etwas, denn meine Nase ist so gut wie die eines Vorstehhundes! Meine teure Kusine Olga sucht sich auffällig dem Heideröslein zu nähern, und wenn sie es erwischt und ich bin nicht dabei, wird das arme Wurm von der sanften Olga ganz mundtot gemacht.«
Aber so sehr auch das kleine Fräulein bereit war, für Heideröslein mit ihrer überlegenen »Sprachgewandtheit« einzuspringen, so konnte sie doch schließlich nicht überall sein. Es war von einem Buchhändler eine Sendung an Frau van der Lohe angekommen, und Carola bekannte selbst, daß dies die Stelle war, wo sie sterblich sei. Eine Viertelstunde nach Ankunft des Pakets war sie daher vollständig in dessen Inhalt vertieft, und sie versprach sogar, über einem neuen Prachtwerk die Nacht aufzubleiben.
Es war am späten Nachmittag, als die Bücher kamen, und Rose benutzte die Zeit, in der auch Frau van der Lohe ihrer nicht bedurfte, um einmal allein zu sein. Sie ging nach der Klosterruine, die ja in van der Lohes Abwesenheit neutraler Boden war; hier hatte sie ihn zuerst gesehen in der schönen Mondnacht, hier hatte ihr Herz zuerst für ihn geschlagen, unbewußt damals noch, jetzt bewußt. Sie holte wieder die Meriansche Chronik hervor, in deren Blättern das Manuskript des »Maurus Magyar« lag, und las es nochmals, jetzt nicht des Inhalts, sondern des Dichters wegen.
Olga von Willmer aber hatte Rose fortgehen sehen und war ihr gefolgt. »Was lesen Sie da, Fräulein Eckhardt?«
Rose seufzte ein wenig um die gestörte schöne Stunde, aber sie antwortete freundlich: »Eine Meriansche Chronik.«
»So? Sind das nicht beschriebene Blätter.«
Rose schwankte einen Augenblick, ob sie das Gedicht preisgeben durfte oder nicht, doch antwortete sie wahrheitsgetreu: »Ja, sie liegen in dem Buche. Es ist eine Künstlernovelle in Versen.«
»Von Ihnen?«
»Nein, Herr van der Lohe hat sie gedichtet.«
»Geben Sie, bitte!«
Rose konnte nun nicht gut anders, als Olga das Manuskript zu reichen, und diese las laut den Titel: »Maurus Magyar.« Ihr weißes Gesicht wurde noch um einen Schatten blasser, aber scheinbar ganz ruhig setzte sie sich neben Rose auf die Steinstufen und las die Blätter vom Anfang bis zum Ende, worauf sie das Manuskript wieder in das Buch auf Roses Knien legte.
»Ein schönes Gedicht,« sagte diese nach einer Pause.
»Nun ja – recht schwungvoll,« erwiderte Olga spöttisch.
»Der arme Maurus!«
Olga verzog ihren Mund.
»Der arme Maurus,« wiederholte sie, »na, er ist hier sehr verklärt worden, – dafür ist für die sogenannte Fürstin die schwärzeste Tusche nicht zu schwarz befunden worden.«