Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
ersonnen! Mir gaben Sie einen Korb, weil ich damals ein armer Teufel war, und Ihr Vetter, der es nicht ist, hat leider mehr Schwäche für germanisches Loreleihaar. Und nun wird eine kleine unschuldige, vielleicht sogar fromme Lüge als Mittel zum Zweck gebraucht! Das ist ja köstlich!«
»Warum nicht gar!« unterbrach ihn Olga ungeduldig. »Ich habe nicht die Absicht, Ihnen eine Beichte abzulegen –«
»Und ich verlange auch keine, Olga,« fiel er ihr schnell ins Wort, »es war nur so ein Seitensprung, für den ich um Entschuldigung bitte. Ich will mich an die Hauptsache halten, und die wäre ja festgestellt. Ich fürchte nur, daß Sie, verehrte Freundin, auf Irrwegen wandern –«
»Vielleicht,« fiel sie kurz ein.
»Und daß Sie sich dessen bewußt sind,« setzte er lauernd hinzu.
»Vielleicht auch das,« antwortete sie kühl, aber fest.
»Ah – ah –« rief Hahn verwundert, fast überwältigt. »Jetzt verstehe ich ganz, was ich zuerst nur halb begriff! Daß Sie, gerade Sie so eifrig bemüht sind, mich in die süßen Rosenfesseln der Ehe zu schmieden, das ist also nur eine Rache gegen den gletscherkalten Vetter Lohengrin! Nun will ich aber auch ganz aufrichtig sein: Ich habe mich geprüft und bin zu dem Ergebnis gekommen, daß ich Fräulein Eckhardt liebe. Leider habe ich das anfangs nicht gewußt und mich ihr in einer Weise genähert, deren Ablehnung mir die Augen geöffnet hat. Ich habe mein Herz daran gehängt, die junge Dame, die ich hochachten lernte, zu meiner Frau zu machen, – damit wäre der Weg für Sie frei. Aber wenn Rose Eckhardt meine Werbung ablehnt, dann werden Sie Baronin Hahn. Sie, eine geborene Gräfin Stahleck, besitzen zudem die für die Diplomatie unschätzbaren Gaben der Schönheit und der Intrige – ich bewundere Sie aufrichtig; Fräulein Eckhardt bringt nur ihre Schönheit mit, sonst ist sie Null – für meine Begriffe wenigstens. Aber ich habe mich wirklich in dieses Heideröslein verliebt und will darum mit Ihren Karten spielen. Also gelingt es, dann –«
»Dann erhalte ich Tantes schönstes Brillanthalsband,« sagte sie boshaft.
»Ah – ein Preis wäre also auch schon ausgesetzt? Das scheint ja eine ganz nette Intrige zu sein. Also, wenn sie nicht gelingt –«
»Dann heben wir beide alle Diplomatie der Welt aus dem Sattel,« schloß sie trocken.
Sie sahen sich in die Augen und gaben sich die Hände, und ein fester Druck besiegelte den sonderbarsten aller Verträge. Dann wendete sich Olga von Willmer stumm ab zur Rückkehr ins Haus, und schon war sie mehr als zehn Schritte entfernt, als Baron Hahn sie einholte.
»Noch eins,« sagte er stark betont, fast drohend. »Wenn Sie etwa der Ansicht sein sollten, daß ein Sperling in der Hand besser ist, als eine Taube auf dem Dache, und es Ihnen einfallen sollte, ein doppeltes Spiel zu spielen, so ist mein nächster Weg zu van der Lohe, um ihm die Augen zu öffnen.«
»Keine Sorge,« erwiderte sie kühl, und ging ruhig weiter.
* * *
Indes saß Rose selbst, der Gegenstand der Gedanken so vieler, in ihrem Zimmer und sah schweren Herzens hinaus in die abendliche Sommerluft. Die Nacht brach herein, ohne daß sie es merkte, die Tür ging leise – sie hörte es nicht, endlich flüsterte eine erschrockene Stimme neben ihr: »Heideröslein!«
Sie sah auf mit wirrem, irrem Blick. Carola stand neben ihr, ein Licht in der Hand.
»Rose, was tun Sie da? Sind Sie krank – oder traurig? Ist Ihnen etwas geschehen?«
Sie setzte ihr Licht hin und faßte Roses Hand – sie war eiskalt.
Nun zögerte Carola nicht länger. Schnell eilte sie auf ihr Zimmer, nahm ein kleines Fläschchen und kehrte zu Rose zurück.
Willig ließ sich diese in ihr Schlafzimmer führen, und nachdem Carola sie wie ein Kind entkleidet und zu Bett gebracht hatte, nahm sie wortlos, ohne es selbst zu wissen, den Löffel Flüssigkeit, den die Freundin ihr bot.
Dann setzte sich Carola neben das Bett und beobachtete das blasse Gesicht auf den weißen Kissen, bis das wohltätige Schlafmittel seine Schuldigkeit getan und dem gepeinigten armen Herz die Ruhe brachte, deren es so sehr bedurfte.
Daß anmutsprühend du mich so betörtest,
War meine Schuld! Niemanden klag ich an,
Doch daß du allen Glauben mir zerstörtest,
An dies Geschlecht – das war nicht wohlgetan!
Scheffel
Der Tag versprach heute sehr heiß zu werden. Wolkenlos lachte der blaue Himmel auf die im Schmucke goldiger Ähren prangende Erde herab, die sengenden Sonnenstrahlen erschwerten den Schnittern gewaltig die Ernte, und der See lag wie glühende Lava, wellenlos, ruhig in der feurigen Glut. Kein Luftzug rührte die Blätter, nur die Vögel badeten mit lustigem Zwitschern die kleine Sängerbrust in dem glühenden Sand.
Vor dem Hause selbst war es etwas kühler, denn dort blies der steinerne Oberon unverdrossen den starken, hohen Wasserstrahl aus seinem goldenen Horn in die Höhe; die sprühenden Wasserstäubchen sorgten für frische Kühle in ihrer nächsten Nähe und gestatteten auch den Blumen an dem steinernen Becken, unberührt von der heißen Luft, frisch und unvermindert fortzublühen. Nur in der Künstlerwerkstatt war's wirklich kühl, denn ein dichtes Blätterdach hielt die glühenden Strahlen zurück, und die blauen Vorhänge wehrten der Hitze, in den Raum einzudringen.
Körner wollte heute die letzte Hand an die Büste der Frau van der Lohe legen und sie dann auf die Kunstausstellung in der Residenz schicken. Die große Gruppe sah ebenfalls ihrer Vollendung entgegen, war aber den Augen anderer immer noch durch die verhüllende Decke entzogen; man achtete gern den Willen des Künstlers, der Unfertiges nicht zeigen wollte, und wartete mit Spannung, bis die Hüllen des Kunstwerkes fallen würden.
Die kleine Carola saß heute mit offeneren Augen denn je neben Rose. Sie hatte bemerkt, daß Baron Hahn schon mehrmals versucht hatte, sich ihr zu nähern, um das arme Mädchen mit seinen nichtssagenden Redensarten zu belästigen; sie nahm daher vollständig Roses Gesellschaft in Anspruch, wofür ihr diese herzlich dankbar war, denn nichts lag ihr heute ferner als schlagfertige Antworten oder neckende Scherzworte. Sie setzte sich still in eine Ecke der Werkstatt und beobachtete des Professors kunstreiche Hände, die es so vortrefflich verstanden, den toten Ton zum Leben umzugestalten.
»Und doch nur ein Scheinleben,« bemerkte Herr Leßwitz, »wirkliches Leben hat unter allen Künsten nur die Musik.«
»Sie haben recht, lieber Leßwitz,« bemerkte der Professor ruhig, »der Klang spricht mehr zu den Sinnen, und wenn ich arbeite, dann verquicke ich mein Werk im Geiste mit der Musik und bilde mir ein, eine Melodie Beethovens, Mozarts oder Haydns sei die Seele, die in den toten Stein zieht.«
Herr Leßwitz lächelte geringschätzig. »Und das nennen Sie Musik? Den Standpunkt eines Beethoven, Mozart, Haydn und überhaupt das, was das naive vorige Jahrhundert für Musik hielt, haben wir längst überwunden.«
»Nun ja, wo das ungebildete Ohr und die große Menge Freude an seichter Operettenmusik finden, hat die echte Muse keine Stimme,« erwiderte Körner.
»Herr Professor, ich bitte,« ereiferte sich Leßwitz. »Wenn ich von dem überwundenen Standpunkt eines Beethoven, Mozart, Haydn spreche, so meine ich damit, daß die neue, moderne Musik ihren Platz eingenommen hat.«
»Lieber Leßwitz,« erwiderte Körner etwas heftiger als sonst seine Art war, »alle Achtung vor Ihrem Geschmack, aber verlangen Sie nicht, daß er allein herrschen soll und alle Welt Ihre Ansichten teilen muß. Es wird zum Beispiel kein Mensch das Genie Richard Wagners bestreiten, aber erwarten Sie nur nicht, daß ein warmfühlender Mensch wegen Wagner und seiner Nachfolger seine liebgewonnenen Freunde stürzt und gar verächtlich von ihnen spricht. Und solche Freunde sind den Herzen vieler heute noch der überwältigende, gewaltige Beethoven, der anmutige, heitere Mozart, der schlichte, ergreifende Haydn, der königliche Händel, der ernste Bach, der melodienreiche, poetische Weber. Ich kann's nicht hören, wenn eitle Nachfahren sich der blinden Menge als Götzen aufdrängen und jene erhabenen Geister stürzen wollen.