Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem

Gesammelte Werke - Eufemia von  Adlersfeld-Ballestrem


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Lohe, wo eine Art Generalversammlung stattgefunden hatte, denn Rose hatte die leise geflüsterten Worte richtig verstanden – Jo van der Lohe hatte seine Rückkehr für heute angemeldet. Wie dies seine Gewohnheit war, hatte er nur einen Jagdwagen zur Abholung des Gepäcks auf den Bahnhof bestellt und wollte den Weg bis zum Landhaus durch den Wald, am See entlang gehen. Darauf hatte Olga von Willmer sofort ihren Plan gebaut; es war ihr natürlich nicht entgangen, daß Rose das Haus verlassen hatte, und durch einen nachgeschickten Boten erfuhr sie auch, wohin sie gegangen. Nach beendeter Besprechung bei ihrer Tante holte Olga Hut und Schirm und schickte sich zum Ausgehen an, trotzdem sich über dem See schweres, schwarzes Gewölk zusammenzog, dem heißen Tage ein Ende mit Schrecken drohend, aber sie ließ es darauf ankommen. Rüstig setzte sie sich in Bewegung und schlug denselben Weg ein, den Rose damals gegangen war, um van der Lohe vor seiner Abreise zu treffen.

      Auf dem Platz am Bach, wo man hinaustrat aus dem Wald, wartete sie, an die kunstlose hölzerne Brücke gelehnt, mit der Geduld der Absicht, bis feste, schnelle Schritte den Waldesrand entlang kamen, und im nächsten Augenblick stand van der Lohe vor der Wartenden.

      »Jo, du?« rief sie laut. »Welche Überraschung!«

      »Ich hatte ja meiner Mutter geschrieben und meine Ankunft gemeldet,« erwiderte er mißtrauisch, »und ich erinnere mich sogar, erwähnt zu haben, daß ich diesen Weg nehmen wollte.«

      »Davon wußte ich gar nichts!« log sie mit einer Unverfrorenheit, die auf Übung schließen ließ, »der reine Zufall führt mich hierher; es ist heute so erstickend heiß, daß man es kaum aushält.«

      Er wendete sich um und betrachtete prüfend die schwärzer werdenden Wolken.

      »Es zieht ein Gewitter herauf,« sagte er, »ich glaube, wir müssen eilen, wenn wir nicht naß werden wollen!«

      »Ach, mein armes weißes Kleid,« rief sie erschrocken. »Ein Gewitter im Walde ist entsetzlich – und so gefährlich!«

      »Nun, dann beeilen wir uns!«

      Beide begannen nun ziemlich rasch zu gehen, und mehrere Minuten lang wurde kein Wort gewechselt.

      »Gehen wir lieber das rechte Seeufer entlang,« meinte Olga, die Stille brechend, »wir haben dann wenigstens die Möglichkeit, die Ruine vor Ausbruch des Wetters zu erreichen.«

      »Du kannst jedenfalls eintreten,« erwiderte van der Lohe, »ich gehe weiter und werde dir Schirm und Mantel schicken.«

      Olga nickte, aber sie war fest entschlossen, die Ruine nicht allein zu betreten, selbst wenn sie keinen Zweck damit verbunden hätte, denn ihre Furcht vor Gewittern war stärker, als sie zugestand. Schon ließ sich ein leises Grollen in der Ferne hören, ein fahler Schein zuckte durch das Dickicht, und die Sonne verdunkelte sich hinter den aufsteigenden Wolken.

      »Deine Reise war hoffentlich angenehm?« fragte Olga trotz ihrer Angst.

      »O ja, ich danke! Das Wetter war gut und die Seefahrt angenehm.«

      »Das freut mich, Jo. Und sonst?«

      »Sonst? Nun, es war ja keine Vergnügungsreise. Ich habe während der heißen Londoner Sommertage gearbeitet und abends im Theater Shakespeare-Dramen gesehen.«

      »Wie beneidenswert! Ach! der erste Regentropfen! Und da ein Blitz – oh, Jo, ich fürchte –«

      »Für dein weißes Kleid? Ich fürchte auch, daß du Jupiter Pluvius dieses Opfer bringen mußt.«

      Sie lachte nervös.

      »Nun, dieses Opfer läßt sich ertragen! – Aber um auf deine Reise zurückzukommen, so wollte ich dich auch nach deren Erfolg fragen. Du hast doch durch die Unredlichkeit deines Londoner Vertreters keine Verluste erlitten?«

      »Wer hat dir denn das erzählt?« fragte er nicht sehr erbaut. »Da du aber so gütigen Anteil an meinen Geschäften nimmst – ich danke, es läßt sich noch ertragen.«

      »Davon bin ich überzeugt,« rief Olga lächelnd, »das Haus van der Lohe ist nicht so leicht zu erschüttern«

      Da er nichts darauf erwiderte, trat eine Pause ein, während beide in schnellem Schritt dahineilten; im Wald herrschte bereits die eigentümliche Stille, die gewöhnlich einem Gewitter vorangeht – kein Blatt, kein Zweig rührte sich, und durch die Wipfel sah man das schwere Bleigrau des Himmels, durchzogen mit jenen unheimlichen gelbroten Streifen, die dem Landmann der Vorbote von Hagel sind.

      Die Luft war bleischwer geworden und erschwerte das Atmen, wie in einem Treibhause dufteten die Waldkräuter, fast betäubend, die Kiefern strömten einen scharfen, würzigen Geruch aus, und von dem moosigen, kühlen Waldboden stieg der Duft des Waldmeisters empor, gemischt mit dem reifer Erdbeeren, Heidelbeeren und Wacholder. Alle diese Düfte, in frischer, kühler Luft zu einem wundervollen, unnachahmlichen Naturparfüm vereint, wirkten heute in der unbewegten glühenden Luft geradezu erdrückend auf die Nerven.

      Jetzt ging es durch die Zweige wie ein leises Rauschen, wie ein Warnungszeichen, die Äste zitterten, und die Sträucher und Stauden, eben noch unbewegt, schwankten ängstlich hin und her, als fühlten sie die nahe Gefahr, der Horizont wurde immer finsterer, und nun rollte drohend der Donner, und die Blitze fielen in rotvioletter Färbung aus den schweren Wolken herab.

      »Wie geht es daheim?« fragte van der Lohe nach einer Pause, und Olga vergaß darüber etwas ihre Gewitterfurcht.

      »Tante ist wohl,« erwiderte sie, »die Hitze macht ihr freilich immer etwas Kopfschmerzen.«

      »Und die andern?«

      »Die andern?« Frau von Willmer wog, ehe sie antwortete, ihre Worte auf der Goldwaage der Berechnung: »Oh, die andern sind ja auch wohlauf. Professor Körner ist wie immer sehr fleißig, auch Sonnenberg fördert seine Unsterblichkeit nach Kräften. Leßwitz hatte mit Körner heute wieder einen Streit über Zukunftsmusik, wobei er von seinem überlegenen Gegner natürlich mundtot gemacht wurde – du siehst also, daß wir uns in unserm Kreise weiter gedreht haben.«

      »Ist Hahn noch da?« fragte van der Lohe.

      »Ja, gewiß. Warum?«

      »Ich meinte nur, wegen seiner berühmten Erbschaft. Seine Anwesenheit muß doch an Ort und Stelle nötig sein.«

      »Er erwartet jeden Tag die Nachricht. Übrigens scheint er jetzt ganz Frau Fortunas Liebling zu sein, denn er will und wird wohl auch hier einen Schatz heben –«

      Olga von Willmer stockte mit einem raschen Seitenblick auf ihren Vetter.

      Van der Lohe lachte belustigt.

      »Endlich!« sagte er heiter. »Schätze heben soll ein gutes Geschäft sein. Die Lieblingsredensart Hahns, daß eine schöne Frau in der Diplomatie eine Macht sein kann, scheint also zum Ereignis werden zu wollen. Darf man gratulieren?«

      Sie warf wieder einen hastigen Blick auf ihn.

      »Er denkt an mich,« murmelte sie.

      In diesem Augenblick zuckte eine grelle Flammengarbe vom Himmel herab, und zugleich rasselte ein so betäubender Donnerschlag hernieder, daß die eben aus dem Wald Heraustretenden unwillkürlich zurückwichen. Das war das Zeichen zur Entfesselung der Elemente – ein orkanähnlicher Sturm raste mit lautem Gebrüll durch den Wald, daß die schlanken Tannen sich pfeifend bis zur Erde bogen, und wühlte den See bis auf den Grund auf, daß die empörten, zischenden und schäumenden Wellen sich hochemporbäumten und mit ihren Wassern bis über den Pfad am See sich wälzten. Olga klammerte sich zitternd an van der Lohes Arm, der, heftig gegen den Sturm kämpfend, die schützende Ruine zu erreichen suchte, und bei jedem neuen Blitz schrie sie entsetzt auf.

      Und jeder Schritt brachte sie dem Werke näher, das sie ersonnen, dessen Fäden in ihrer Hand lagen. Als eben wieder ein Blitz blendend vor ihr niederzuckte, da kam etwas wie Reue über sie – ein sehr flüchtiges Gefühl, das sie entschlossen niederkämpfte.

      Je näher sie der Ruine kamen, desto heftiger klopfte ihr Herz, sie fühlte nicht, daß ihr weißes Kleid vor Nässe troff – sie hatte nur noch einen, einen Gedanken, während ihn die Sorge beschäftigte,


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