Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem

Gesammelte Werke - Eufemia von  Adlersfeld-Ballestrem


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folgenden Morgen brachte Frau van der Lohe am Frühstückstisch das Gespräch auf die bevorstehende Hochzeit »des lieben Brautpaares« und machte Vorschläge zur Festsetzung des »großen Tages« und für die Feier selbst. Alle gaben dazu ihre Meinung ab, mit Ausnahme der Braut, die sich vollständig teilnahmslos verhielt; das Hin- und Herzerren einer für sie so schmerzlichen Angelegenheit war ihr unbeschreiblich peinlich, um so mehr, als van der Lohe mit seiner Zeitung dabei saß und alle Augenblicke von seiner Mutter oder Hahn befragt wurde.

      Nach längeren Erörterungen, die sehr ernsthaft geführt und nur zuweilen von einer spöttischen Bemerkung Carolas gewürzt wurden, kam der Entschluß zustande, Rose sollte als Gast Frau van der Lohes auf Eichberg bis zur Hochzeit bleiben, ihre Ausstattung sollte die Brautgabe der alten Dame sein. Rose wehrte sich zwar verzweifelt gegen dieses »Geschenk«, da Hahn es aber für sie mit überschwenglichem Dank annahm, so wurde sie überstimmt. Der Baron hatte heute Nachrichten in der Erbschaftsangelegenheit bekommen; er wollte am nächsten Morgen abreisen und zugleich in Hochfelden vorsprechen, um von Roses Vormund dessen Jawort und die erforderlichen Papiere zu erhalten. Auf Hahns Frage, ob Rose ihm einen Brief an ihre Freunde mitgeben wollte, antwortete sie heftig: »Nein,« und entfernte sich, völlig erschöpft durch die seelische Qual, die diese Stunde ihr auferlegt hatte.

      Als van der Lohe kurz darauf auch das Frühstückszimmer verließ, sah er Rose die Treppe hinaufsteigen, mitten auf ihr stehen bleiben und ihre Hände an die Stirn wie in namenlosem stummen Schmerz pressen, ehe sie weiterging. Van der Lohe, als einziger, ungeahnter Zeuge dieser Szene, erschrak heftig – war das eine glückliche junge Braut? Sein erster Antrieb war, ihr nachzueilen, aber seine Füße hafteten bleischwer am Boden – er hatte kein Recht dazu – gar keins! Sie hatte ihn verraten, während er fern war – es war alles aus zwischen ihm und ihr, alles!

      »Hast du etwas verloren, Jo?« fragte Olgas sanfte Stimme neben ihm. Sie war soeben mit ihrem lautlosen Schritt herausgetreten auf den Flur, als sie ihren Vetter mit zu Boden gesenktem Kopfe stehen sah.

      Er sah sie verständnislos an.

      »Nein, ich danke, nichts!« sagte er kurz.

      »Oder hast du gar gedichtet?« fragte sie lauernd. »Liebe und Triebe, Herzen und Schmerzen, Brust und Lust – das gibt schon ein halbes Sonett. Aber ich weiß, daß du nicht diese breitgetretenen Pfade wandelst. Dein Talent neigt sich mehr dem Epischen zu.«

      »Ich habe dich meines Wissens noch nie mit meinen ›Werken‹ belästigt,« erwiderte er müde.

      Sie machte ihm einen spöttischen Knix.

      »Ich habe den ›Maurus Magyar‹ gelesen,« sagte sie boshaft, »und bedauere nur, daß die Welt das Genie und die Phantasie des Geschäftsinhabers des Hauses van der Lohe nicht kennt. Du hast den Stoff bewunderungswürdig ausgeschmückt – Zierat erhöht natürlich die Wirkung ungemein.«

      »Es ist allerdings eine poetische Freiheit, daß ich dich zur Fürstin erhob.«

      »Ah – also ich soll diese Karikatur sein?« unterbrach sie ihn schrill. »Welche Perle wird in diesem Epos der Welt vorenthalten!«

      »Dein Bedauern kommt zu spät,« erwiderte er kühl,

      »das Epos ›Maurus Magyar‹ wird nächstens im Druck erscheinen.«

      »Jo!« schrie sie auf und setzte bebend hinzu: »Das ist wohl nur ein Scherz?«

      »Es ist mein voller Ernst. Was fürchtest du? Etwa, daß man den Dichter der Übertreibung überführen könnte? Unbesorgt!«

      Er trat in sein Zimmer ein und ließ sie wie angewurzelt stehen. Eine rasende Furcht überfiel sie bei dem Gedanken, daß er das Gedicht wirklich veröffentlichen könnte, denn der Tod des berühmten Künstlers an ihrem Hochzeitstage im Waldschlosse ihres Oheims, des Fürsten R . . hatte damals sehr großes Aufsehen gemacht. Sie hatte dieses Thema herbeigeholt, in der Absicht, ihren Vetter mit seiner Dichtung lächerlich zu machen, und er hatte den Spieß umgedreht; zu spät sah sie ein, daß sie, statt ihn mit ihrer Kenntnis von dem Epos in ihre Hände zu bringen, eine große, wahrscheinlich nicht mehr gut zu machende Unvorsichtigkeit begangen hatte.

      Der Abend vereinte den Kreis der Bewohner und Gäste von Eichberg um den Teetisch im Gesellschaftszimmer. Das Wetter war zu ungünstig zu einem Aufenthalt im Freien, und da Leßwitz morgen ebenfalls Eichberg verlassen wollte, so war es eine Art Abschiedsversammlung. Bevor der Tee herumgereicht wurde, erklang zum letztenmal der Flügel unter des Pianisten gewandten Händen mit dem Feuerzauber aus der Walküre, und in Anbetracht der hier genossenen Gastfreundschaft stimmte sich des Virtuosen Nibelungenseele sanft und weich, und er schloß mit Beethovens wunderbarer Cis-Moll-Sonate.

      Zum Abschluß bat Frau van der Lohe um ein Lied, und von Hahn an den Flügel geleitet, sollte Rose singen. Um nicht den Eindruck zu erwecken, als zierte sie sich, schlug sie aufs Geratewohl ein Heft mit Liedern von Brahms auf, und Leßwitz begann die Begleitung zur »Liebestreu«:

      »O versenk', o versenk' dein Leid, mein Kind,

       In die See, in die tiefe See!«

      Das war ein Lied für ihre Stimmung! Gerade den Vortrag dieses Liedes hatte Leßwitz stets getadelt, heute, da sie es erlebt hatte, sang sie es mit packender Gewalt.

      »Und die Treu', und die Treue, 's war nur ein Wort,

       In den Wind damit hinaus!

       O Mutter, und splittert der Fels auch im Wind,

       Meine Treue, die hält ihn aus!«

      Sie hatte geendet, aber über dem kleinen Kreise blieb es wie ein Bann zurück, und mit Ausnahme von Carola zerstreuten sich die anderen wortlos in den Nebenräumen. Van der Lohe war in die offene Tür zur Terrasse getreten – es war so seltsam über ihn gekommen, er wußte nicht, wie! Ihm war, als läge ein tiefes Rätsel verborgen in den erschütternden Klängen dieses Liedes – ein unlösbares Rätsel. Hatte er Rose unrecht getan? Trotz aller Beweise?

      Rose war selbst überrascht von der Gewalt des Ausdrucks, den sie in das Lied gelegt hatte. Verwirrt und beschämt, sich mit ihrem wahren Gefühl verraten zu haben, trat sie rasch zum Teetisch und besorgte dort mit fliegender Hand die Zubereitung des Getränkes.

      »Welche Tragödie ist dieses Lied,« sagte Carola, noch ganz unter dem erhaltenen Eindruck.

      »Ich mag es nicht,« erklärte Frau van der Lohe, »es schnürt einem förmlich die Brust zu. Dergleichen musikalische Leidenschaftsausbrüche machen mir stets einen unangenehmen Eindruck.«

      »Einen erschütternden,« berichtigte Carola und fügte scherzend hinzu: »Tante, ich möchte wissen, ob du jemals einen Herzensroman gehabt hast.«

      »O ja, Kind! Aber er hat mit Haß geendet,« erwiderte die alte Dame versonnen.

      »Ein Herzensroman mit Haß – das ist ja wundervoll! Bitte, Tante, erzähle!«

      »Ach, die alten Geschichten!« machte Frau van der Lohe abwehrend. »Das war lange vorher, ehe ich deinen Onkel heiratete, Carola, aber ich muß sagen, – überwunden ist's heute noch nicht ganz.«

      »Tante, erzähle,« quälte Carola schmeichelnd. Die alte Dame seufzte.

      »Es war ja am Ende nichts Besonderes – es faßt's nur ein jeder verschieden auf. Einer zieht fürs Leben daraus Milde und Güte, des anderen Herz versteint – es kommt eben auf den Charakter an. Du kennst ja die Geschichte des Stahleckschen Prozesses. Nun wohl, das Gut meines Vaters grenzte mit dem unsres Nachbarn, Freiherrn von Fels, eng zusammen. Nur in der westlichen Richtung ihres Besitzes lag ein Stück Land, etwa 60 Morgen groß, das die Güter trennte, die Ursache und der Gegenstand eines durch drei Generationen gehenden Streites, denn die Stahlecks behaupteten ihr Recht darauf ebenso hartnäckig wie die Fels; ein jeder behauptete, die Beweise zu besitzen, die ihm Anspruch auf das Land gaben. Mein Großvater hatte den Prozeß gegen den damaligen Freiherrn begonnen, er wurde fortgeschleppt von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, immer erbitterter, heftiger, halsstarriger. Es war kein Ausweg, die klügsten Advokaten verzweifelten an diesen verwickelten Rechtsansprüchen und schoben die Entscheidung auf den Jüngsten Tag hinaus. Die Folge davon


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