Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
und das brillantene Kreuz mit dem von Smaragden gebildeten Myrtenzweig darauf, das Geschenk Hahns; der Laut in ihrer Kehle erstarb – es war ihr Hochzeitstag.
Sie sah nach der Uhr; es blieben ihr noch einige Stunden der Freiheit, und die Sehnsucht ergriff sie, noch einmal den Wald zu sehen, seine Stimmen zu hören. Ungesehen schlüpfte sie zur Hintertür des Hauses hinaus und gelangte in das leise rauschende, duftige Heiligtum ihrer Kindheit. Wie im Traum ging sie dahin, das volle Weh des Abschieds kam jetzt erst über sie.
Endlich mußte sie ans Umkehren denken, und als sie sich umwandte, stand sie Johann van der Lohe gegenüber, Aug' in Aug', unausweichbar.
Sie war totenblaß geworden, und ihre Hand klammerte sich um einen dünnen Birkenstamm, denn sie fühlte die Erde unter sich wanken.
»Sie sind mir gefolgt –« stieß sie hervor.
»Nein,« erwiderte er ruhig, »es war reiner Zufall, der mich hierher führte.«
Stumm standen beide sich eine Weile gegenüber, dann sagte er leise: »Rose, warum haben Sie mir das getan?«
Diese Worte gaben ihr die Selbstbeherrschung wieder. Ein feines, durchsichtiges Rot flog über ihre Wangen, und stolz erhob sie den Kopf.
»Es wäre an mir, diese Frage zu stellen, Herr van der Lohe,« sagte sie bitter. »Bitte, lassen Sie mich vorüber – ich muß zurück.«
Aber er rührte sich nicht um einen Fuß breit hinweg. Gleich ihr hatte er sich hochaufgerichtet.
»Sie werden erst die Güte haben, mir Ihre Worte zu erklären, Fräulein von Fels!«
»Lassen Sie mich vorüber,« wiederholte sie bebend.
»Der Boden, auf dem Sie stehen, ist mein,« erwiderte er unbewegt, »ich habe also das Recht, eine Antwort zu fordern.«
»Herr van der Lohe, Sie haben einmal mit mir gespielt – Sie sollen es nie wieder versuchen,« rief Rose erglühend.
Jetzt trat er einen Schritt näher an sie heran.
»Fräulein von Fels, Sie sprechen in Rätseln,« sagte er kalt.
»Sie haben mit mir gespielt,« rief sie leidenschaftlich, »Sie haben, meine Schutzlosigkeit benutzend, mein Vertrauen, meine – meine Liebe sich zu gewinnen gewußt und damit nicht allein mich betrogen, sondern auch Ihre Braut.«
»Meine Braut?« erwiderte er erstaunt, aber sie war zu erregt, darauf zu achten.
»Sie haben mein Herz mit Füßen getreten, wissentlich, absichtlich!« fuhr sie leidenschaftlich fort, »die arme Vorleserin Ihrer Mutter war gut genug, um ihr törichte Dinge in den Kopf zu setzen, und dann haben Sie wahrscheinlich über das leichtgläubige Geschöpf gelacht, das in allem Ernst glauben konnte, der Inhaber des Hauses van der Lohe würde sich zu ihr herablassen, während sein Wort und sein Herz längst einer andern gehörten.«
Van der Lohe fuhr mit der Hand über seine Stirn – war das alles ein Traum?
»Einer andern? Wer hat Ihnen das gesagt?« fragte er aufmerksam werdend. »Wer es auch war – Sie sind betrogen worden, aber nicht von mir. Ich habe Sie geliebt aus ganzem Herzen! Wie konnten Sie nur glauben, daß ich so ehrlos sei, Ihnen von Liebe zu sprechen, während mein Wort einer andern gehörte! Rose, das war nicht recht von Ihnen – das ist härter für mich, als der Glaube an Ihre Untreue!«
»Es kam so plötzlich, so überzeugend,« sagte sie weinend, »mein Herz ist darüber gebrochen, und mein Stolz erwachte und bäumte sich trotzig auf; Sie sollten nie erfahren, daß es geschmerzt. Da gab ich dem Drängen Baron Hahns nach und wurde seine Braut; ewig, unwiderruflich wollte ich Ihnen verloren sein, nicht zum zweitenmal sollten Sie das frevelhafte Spiel mit meinem Herzen versuchen und – heute ist mein Hochzeitstag!« schloß sie verzweifelt.
Es war eine Zeitlang still unter den rauschenden Wipfeln, dann trat van der Lohe zur Seite.
»So gehen Sie denn, Rose,« sagte er, »aber vorher nennen Sie mir den Namen dessen, der Ihnen diese ungeheure Lüge gesagt hat.«
»Nein,« entgegnete sie fest, »mag sie's mit sich selbst abmachen. Es ist ja doch zu spät!«
»Es ist zu spät,« wiederholte er und setzte leise hinzu: »Sie hätten es nicht glauben sollen – die Liebe darf nicht zweifeln! Bei Gott, es war eine schändliche Tat, die uns trennte, aber Sie, Rose, durften es nicht glauben!«
Er wandte sich ab, und als er sich wieder umwandte, sah er eben noch ihr goldenes Haar hinter grünen Blättern hervorschimmern – sie war wortlos gegangen.
Der starke Mann aber, der einsam zurückblieb, weinte die ersten Tränen seit seinen Kindertagen und schämte sich ihrer nicht.
Rose ging durch den Wald wie im Traum, nicht einen festen Gedanken konnte sie fassen. Sie wußte nicht, wie ihr war, ob sie weinte oder lachte, Schmerz empfände oder Freude.
In ihrem Zimmer wartete Carola ungeduldig.
»Heideröslein,« rief sie ihr entgegen, »wo waren Sie nur! Es ist ja schon so spät, die höchste Zeit zur Brautschmückung. Wir müssen uns jetzt beeilen!«
Rose sah die kleine Dame so geistesabwesend an, daß Carola erschrocken fragte: »Rose, ist Ihnen etwas geschehen?«
»Ja, mein Hochzeitstag,« erwiderte Rose mit einem Lächeln, das Carola mit Angst erfüllte. »Sie redet irre,« dachte sie. Laut sagte sie einige begütigende Worte und begann dann mit zitternden Händen Rose den Dienst einer Brautjungfer zu leisten; sie warf ihr das schleppende weiße Kleid über, ordnete die langen, blonden Haare und schmückte sie mit Kranz und Schleier. Dann reichte sie ihr die Handschuhe und hing ihr die feine goldene Kette mit dem Brillantkreuz um den Hals – die Brautschmückung war beendet.
»Heideröslein, Sie sind schön wie ein Traum!« rief Carola bewundernd.
Drunten wartete man schon auf die junge Braut. Frau van der Lohe ging ihr entgegen in rauschendem, perlgrauem Atlaskleid, und dann fuhr die ganze Gesellschaft nach der kleinen, hübschen Dorfkirche, Frau van der Lohe zuletzt mit Rose, aber es wurde kein Wort zwischen ihnen gewechselt.
Im Kirchportal warteten die anderen, Hahn reichte seiner Braut den Arm und trat mit ihr vor den Altar an dem der würdige, alte Dorfpfarrer schon wartete und dann mit seiner sanften, klaren Stimme milde Worte von Pflicht, Treue und Frieden sprach, aber Rose hörte nichts davon. In ihr Ohr klangen fremde, seltsame, nie gehörte Stimmen, sie schwirrten und summten durch ihr Hirn mit der Melodie des Wahnsinns, sie hörte nicht einmal, wie laut Hahns »Ja« durch die kleine, sonnenlichtdurchflutete Kirche klang. Jetzt richtete der Priester die entscheidende Frage an sie – aber ihr Auge haftete wie gebannt an einem Sonnenstrahl, der durch das Fenster zu ihren Füßen fiel, und die Frage mußte wiederholt werden.
Da wachte sie auf.
»Nein –« rief sie laut, weithinklingend, »nein – nein tausendmal nein!«
Und dann wandte sie sich ab und lief durch die kleine zu Tode erschrockene Reihe hindurch, hinaus aus der Kirche wo die Bauersleute standen und die Hände über dem Kopf zusammenschlugen, daß die »schöne rothaarige Braut‹ allein aus der Kirche kam und, als hörte und sähe sie nichts, durch das Dorf dem Park zulief, daß der Schleier in der Sommerluft wehte und die weiße, myhrtenbesteckte Schleppe den Staub der Dorfstraße aufwirbelte.
Wie von Flügeln getragen, lief sie dahin, und mit überquellendem Herzen jubelte sie singend die kühne Kadenz nach, die von einer emporsteigenden Lerche in die blaue, sonnige Luft geschmettert wurde.
Jetzt war sie am See angekommen und breitete ihre Arme aus über der unbewegten Flut, als wollte sie die ganze Welt an sich ziehen.
»Es war der Sonnenstrahl, der durch das Kirchenfenster fiel,« lachte sie glücklich. »Er zeigte mir den rechten Weg!«
Rasche, hastige Schritte auf dem Kies hinter ihr machten sie zusammenschrecken, und schon stand Baron Hahn atemlos und blaß vor Entrüstung vor ihr.
»Ich komme, Rechenschaft über Ihr unerhörtes