Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem

Gesammelte Werke - Eufemia von  Adlersfeld-Ballestrem


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einen Skandal wie der gestrige ist,« gab die alte Dame hart zurück.

      »Was meinen Teil daran betrifft, so bitte ich um Vergebung, gnädige Frau. Baron Hahn mag für den seinigen selbst eintreten,« erwiderte Rose ruhig.

      »Bitte keine Silbenstecherei, Fräulein von Fels,« fiel ihr Frau van der Lohe schneidend ins Wort. »Da Sie sich herabgelassen haben, Ihr Inkognito abzuwerfen, so weiß ich wenigstens, von wem Sie das treulose Blut geerbt haben, das falsche Hoffnungen erweckt, um dann am Altare ›nein‹ zu sagen. Ihr Vater hat an Ihnen eine würdige Tochter erzogen.«

      Über Roses Wangen rannen heiße, brennende Tropfen.

      »Mein Vater ist tot,« sagte sie mit bebender Stimme, »sein Herz liegt unterm kühlen Rasen, sein Mund kann weder für sich noch für mich sprechen. Man soll den Toten ihren Frieden lassen.«

      »Ich habe keine Predigt von Ihnen verlangt, Fräulein von Fels!«

      Rose sah die alte Dame traurig an.

      »Mein Vater starb mit einem Segenswort für Sie gnädige Frau,« sagte sie warm, »das traurige Erbe des alten Hasses hat er, wie Sie am besten wissen, nie angetreten, wenn ihm auch mein Großvater den Schwur der Entsagung abnahm. Konnte, durfte er seinem sterbenden Vater den letzten Wunsch verweigern? Mein Vater hatte ein altes Lied so gern, dessen einen Vers er mir stets aufs neue einprägte. Er lautete:

      Der Mensch soll nicht hassen,

       Denn kurz ist das Leben,

       Er soll, wenn er gekränkt wird,

       Von Herzen vergeben.

       Wie viel' haben auf Erden den Krieg sich erklärt

       Und machen erst Frieden tief unter der Erd'!«

      Es zuckte wie Wetterleuchten über das bleiche, strenge Antlitz der alten Dame; sie warf einen scheuen Blick auf das junge Mädchen, dessen Lippen so warm vom Frieden sprachen, und für einen Augenblick schwankte das Züngelein der Waage eines irregeführten Herzens.

      »Ich habe Ihnen mit großer Geduld zugehört,« sagte sie dann abweisend, »also genug davon! Aber ich hätte wohl ein Recht, Sie nach dem Grund Ihres gestrigen ›Nein‹ zu fragen.«

      Über Roses Wangen flog ein leichtes Erröten.

      »Gnädige Frau, es war ein schwerer Irrtum, daß ich mich mit Baron Hahn verlobte. Ich habe gekämpft mit mir, redlich und hart, bis an die Stufen des Altars, ehe ich den Mut fand, meine Fesseln abzuschütteln.«

      »Den Grund Ihres sogenannten Mutes kenne ich,« entgegnete Frau van der Lohe langsam. »Eine andere törichte Liebe erfüllt Ihr Herz – habe ich nicht recht?«

      Rose senkte den Kopf.

      »Was kann das helfen?« murmelte sie.

      »Nein, es hilft nichts, gar nichts, durchaus nichts,« wurde ihr mit Nachdruck bestätigt. »Und was Ihre Entlassung anbetrifft, so kann sie erst nach Ablauf der gesetzmäßigen Zeit erfolgen. Ihr Vertrag läuft bis zum Oktober, und bis dahin werden Sie bei mir bleiben – ohne Widerrede. Haben Sie verstanden?«

      »O ja,« erwiderte Rose nicht ohne Bitterkeit. »Aber ich sollte meinen, gnädige Frau, daß Sie mich nicht mehr gern sehen wollen, mein Anblick –«

      »Ihr Anblick weckt freilich den alten Haß wieder,« rief Frau van der Lohe, »aber das ist meine Sache. Sie werden also bei mir bleiben, und ich werde Sie besser überwachen als vorher. Morgen verlassen Sie Eichberg mit mir, wir gehen nach der Stadt; Sie haben also heute vollkommen Zeit, Ihre Sachen zu packen. Morgen früh um Punkt 9 Uhr werden Sie bereit sein und heute Ihr Zimmer nicht mehr verlassen – nicht für eine Stunde. – Gehen Sie!«

      Rose, totenbleich geworden, verbeugte sich und ging.

      Was Frau van der Lohe bezweckte, war ihr unklar, sie wußte nur, daß sie eine Art Gefangene war. Heiße Tränen traten in ihre Augen, aber sie trocknete sie rasch, indem sie sich sagte, daß alles dies immer noch besser und erträglicher wäre, als die Seelenqualen der letzten Wochen und die Aussicht, Baron Hahns Frau zu werden.

      Sie packte also ihren Koffer und schrieb an Frau von Hochfelden, seit langer Zeit zum erstenmal wieder:

      »Nicht Undankbarkeit, nicht ein kränkendes Vergessen ließ mich Dich vernachlässigen, meine verehrte mütterliche Freundin, nein, gewiß nicht! Die alte Rose konnte Dir nicht mehr schreiben, und die Braut des Herrn von Hahn kam sich selbst zu verächtlich vor; aber jetzt ist alles wieder gut, ich bin wieder ich selbst, wenn auch nur bedingt – nach allem, was vorgefallen ist. Wie ein schwerer, schrecklicher Traum liegt das Leben der letzten Wochen hinter mir mit seinen Schmerzen und Irrtümern. Es war eine Verirrung, daß ich einem Manne, der mich kurz vorher tödlich beleidigt hatte, meine Hand reichte, in einem Augenblick des Irrsinns, des Stolzes, des Trotzes. Nun aber ist es überwunden, und ich weiß jetzt, daß der Vater mich wieder sein Heideröslein nennen würde. Es war ein schwerer Sieg, aber ich habe ihn errungen, wenn es auch Herzblut gekostet hat.«

      Dann berichtete Rose Frau von Hochfelden, wie der gestrige Tag geendet, nur über ihr unfreiwilliges Bad schwieg sie, denn sie wollte die Freunde nicht erschrecken.

      Carola, die Rose zu einem Spaziergang abholen wollte, war sehr erstaunt, auf eine Ablehnung zu stoßen.

      »Ich habe Arrest,« sagte Rose lachend.

      »Das fehlte noch, daran würde ich mich nicht kehren,« meinte Carola gleichmütig.

      »Ich habe schon genug Unruhe verursacht,« erwiderte Rose, »ich würde mich durch Widersetzlichkeit nur ins Unrecht setzen.«

      Carola murmelte etwas vor sich hin und verließ das Zimmer.

      Am Nachmittage trat van der Lohe bei seiner Mutter ein. Er war soeben erst von einem langen Ritt heimgekehrt und fand das Haus in Unruhe vor, durcheilt von geschäftigen Dienern und packenden Zofen.

      »Ah, Jo, bist du endlich zurück?« rief sie ihm entgegen.

      »Ich hatte Geschäfte,« erwiderte er und setzte hinzu: »Aber was soll das bedeuten, Mutter? Ich sehe, du läßt packen?«

      »Ja, ich will morgen nach der Stadt zurück, Jo. Die Königin beruft den Vorstand des Frauenvereins zu einer Sitzung ins Schloß, und da darf ich als Vorsitzende nicht fehlen; dort liegt das Schreiben, wenn du es lesen willst, es kam heute früh an.«

      »Du kehrst doch nachher aber wieder nach Eichberg zurück?« fragte er befremdet.

      »N–ein,« erwiderte Frau van der Lohe gedehnt, »es lohnt nicht mehr – es wird ja doch schon Herbst.«

      »Sonst bist du doch aber immer bis Weihnachten hier geblieben.«

      »Das Hin und Her greift mich an, ich werde lieber gleich in der Stadt bleiben!«

      Van der Lohe trat ans Fenster und sah eine Zeitlang schweigend hinaus.

      »Hat Hahn sich bei dir empfohlen, Mutter?« fragte er nach einer Weile.

      »Ich habe ihn nicht angenommen.«

      »Das freut mich; ich bin absichtlich vor seiner Abreise ausgeritten und kann nicht behaupten, daß ich ihn wiederzusehen hoffe.«

      »Ich verstehe dich nicht, Jo,« rief die alte Dame gereizt. »Wenn ich nicht von dem gestrigen Skandal so sehr angegriffen wäre, so hätte ich dem Baron sicher Lebewohl gesagt und ihm mein Bedauern ausgedrückt, daß ihm in meinem Hause eine derartige Beleidigung widerfahren mußte.«

      »So weichen unsere Ansichten vollständig auseinander, Mutter. Wenn Herr von Hahn nicht freiwillig gegangen wäre, so hätte ich ihn aus meinem Hause hinausgeworfen.«

      »Soll das ein Scherz sein?«

      »Ganz und gar nicht, Mutter!«

      Frau van der Lohe rang nach Atem.

      »Nun, wenn du gerecht wärst,« sagte sie erregt, »so müßtest du zuerst den schuldigen Teil an diesem unerhörten Skandal hinauswerfen. Ich habe für dies undankbare Mädchen gesorgt wie eine Mutter, und sie


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