Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
ja! 's ist nicht geheuer in dem alten Kaufherrnhause,« sagte Carola, indem sie sich schüttelte.
»Und doch waren Sie so sehr mutig,« neckte Rose. »Wollen wir noch plaudern? Ich meine, daß es besser wäre, wir schliefen.«
»Schlafen wir! Gott behüte Sie, Heideröslein.«
Jetzt zuckt und flammt um den Berg ein Licht,
Die grauen Wolken verfliegen,
Es kommt mit neidisch gelben Gesicht
Der Vollmond aufgestiegen.
Er scheint so grell, er scheint so fahl,
Er scheint mir mitten in Weinpokal,
Das kann nichts Gutes bedeuten.
Scheffel
Die nächsten Tage vergingen für Rose in dem Durchforschen des alten Patrizierhauses. Carola zeigte ihr die Prachtgemächer, die Raritätensammlung, die Bibliothek, die Waffensammlung und endlich die Rumpelkammern. Welch Genuß, darin herumzustöbern, die halbvergessenen Bücherkisten zu durchsuchen, alte Gewänder aller Jahrhunderte zu bewundern, verbannte Gemälde zu betrachten, Handschriften zu entziffern. Die Rumpelkammern sind in alten Häusern eine Fundgrabe, denn sie erzählen mehr von dem vergangenen Leben als die sorgfältig gehüteten Staatsgemächer und tadellos ordentlich gehaltenen Sammlungen; sie geben nicht nur das Bild verflossener Zeiten, sondern auch das des inneren Lebens derer, denen diese dem Staub preisgegebenen Dinge einst gehörten. Ein eigener Hauch, der eigentümliche Duft des Moders durchzieht sie, während gewaltige Spinnwebennetze die Fenster und Decken verschleiern, und die in diesen Räumen herrschende Stille hat einen seltsam feierlichen Charakter.
Rose hatte um so besser Muße, das alte Haus kennen zu lernen, als Frau van der Lohe ihrer nicht bedurfte, sehr viel ausfuhr, Vereinssitzungen abhielt und schrieb. In diesen ersten Tagen vereinten nur die Mahlzeiten die vier Damen, und dabei ging es meistens sehr schweigsam her.
Bei Olga war das Interesse für Rose im Abnehmen; Frau van der Lohe bemerkte das und versuchte, es wieder zu beleben, indem sie ruhig ihr Halsband zurückforderte, das sie Olga als verfrühten Lohn ihrer Dienste gegeben hatte. »Du hast dein Versprechen nicht erfüllt,« sagte sie kalt, »sobald dieses Mädchen keine Gefahr mehr für Jo ist, sollst du die Brillanten wieder haben!«
Olga überlegte. Nicht, daß der Wert sie besonders gereizt hätte, denn sie war nicht gerade habsüchtig, – es war mehr das Verlangen nach Rache, das sie aufstachelte zum Handeln. Was ihr früher Herzenssache gewesen war, sollte jetzt für sie zur Unterhaltung werden, doch war ihr Urteil inzwischen um vieles klarer und ruhiger geworden.
»Tante, ich fürchte, du richtest gegen Jo doch nichts aus,« meinte sie. »Wenn er etwas ernstlich will, setzt er's ja doch durch.«
Frau van der Lohe lächelte überlegen.
»Ich habe mir geschworen, daß Rose Fels niemals Jos Frau werden darf, und wenn ich das Äußerste dazu ergreifen müßte. Du mußt mir helfen!«
»Natürlich, Tante! Bist du sicher, daß Jo uns nicht hierher folgt?«
»So gut wie sicher; er kann jetzt nicht von den Werken abkommen. Ich habe schon meinen Plan entworfen, höre mich an!«
Was es auch sein mochte, das Frau van der Lohe jetzt leise in Olgas Ohr flüsterte, die verlangte Hilfe wurde ihr zugesichert.
Es wäre weit gefehlt, zu glauben, daß die alte Dame ihren Sohn nicht liebte, weil sie mit fast irrsinniger Hast an der Zerstörung seines Glückes arbeitete, – sie liebte ihn eben nur in ihrer Art. Wenn sie nie erfahren hätte, wer Rose war, wenn sie stets nur die Vorleserin Rose Eckhardt in ihr gekannt hätte, ihr starrer Stolz gegen die »bezahlte Person« hätte vielleicht nachgelassen. Aber so war es hoffnungslos. Rose von Fels war für sie ein unübersteigbares Hindernis, eine ewige Unmöglichkeit; der Haß der Montecchi und Capuletti war ein Kinderspiel gegen den der Stahlecks und Fels, trotzdem dieser Haß nur noch von einer Seite gehegt und gepflegt wurde.
Aber eines Tages wurden die Damen höchlich durch die Ankunft van der Lohes überrascht. Er kam in Gesellschaft Körners und Sonnenbergs, der lachend und auf Ehre versicherte, sie hätten es auf Eichberg ohne die Damen nicht mehr ausgehalten. Was war da zu tun? Frau van der Lohe mußte eben gute Miene zum bösen Spiel machen, was ihr um so schwerer wurde, als sie den leuchtenden Blick gewahrte, der zwischen Rose und ihrem Sohne gewechselt wurde.
Kaum daß sie diese Wahrnehmung gemacht hatte, verließ Frau van der Lohe das Zimmer und die unerwarteten Ankömmlinge und winkte Rose, ihr zu folgen. Sie stieg die Treppe voran in die Höhe und trat, gefolgt von dem staunenden jungen Mädchen, in deren Zimmer ein. Nachdem sie, für einen Augenblick ans Fenster tretend, den durch das ungewohnte Steigen verlorenen Atem wiedergewonnen hatte, sagte sie unvermittelt: »Mein Sohn ist uns gegen meinen Wunsch und Willen hierher gefolgt – ich vermute, daß Sie ihn dazu veranlaßt haben.«
»Ich?« fragte Rose erstaunt. »Ganz gewiß nicht, ich bin ebenso überrascht davon wie Sie.«
»Sie werden mir natürlich die Wahrheit nicht sagen,« fuhr Frau van der Lohe fort, »aber es muß selbstverständlich mein Wunsch sein, meinen Sohn gegen Ihre Ränke zu schützen – ah – Sie haben noch die Stirn, meine Worte zu belächeln.«
In der Tat war ein halbes Lächeln über Roses Mund gezuckt – ihre Ränke!
»Ich dachte nur, gnädige Frau, daß Herr van der Lohe wohl das Alter hätte, sich selbst zu schützen,« sagte sie ehrlich.
»Nein,« erwiderte die alte Dame heftig, »der Betörte besitzt selten die Kraft, sich aus den Netzen eines ränkevollen Weibes zu befreien. Da muß Freundes- oder Mutterhand helfen.«
»Gnädige Frau,« rief Rose empört, »ich weiß nicht, warum Sie mich so kränken! Es bedarf ja nur eines Wortes von Ihnen, und ich werde Ihr Haus verlassen.«
»Gewiß bedarf es dazu meiner Erlaubnis,« fiel ihr Frau van der Lohe kalt ins Wort. »Sie sind mir bis zum Oktober verpflichtet, und ich habe durchaus nicht die Absicht, Sie vorher zu entlassen. Für heute befehle ich Ihnen, auf Ihrem Zimmer zu bleiben, Sie werden es nur mit meiner Erlaubnis verlassen! Ich hoffe, Sie werden sich gutwillig meinen Wünschen fügen, sonst wäre ich genötigt, Sie einzuschließen!«
Rose war nicht imstande, zu antworten, Empörung und ein unbekanntes Angstgefühl machten sie stumm.
»Ich erwarte eine Antwort von Ihnen, Rose Fels,« sagte die alte Dame unbewegt.
»Ich habe keine Antwort auf solche kränkenden Worte,« entgegnete Rose mit Würde, »die Tochter von Egon von Fels steht über dem Verdacht, einer Mutter ihren Sohn gegen ihren Willen zu entfremden. Ich werde zu Ihrer Beruhigung Herrn van der Lohe freiwillig zu meiden suchen.«
»Was bürgt mir dafür?« fragte die alte Dame lauernd.
»Mein Wort,« erwiderte Rose kurz.
»Das Wort einer Fels,« rief Frau van der Lohe bitter lachend. »Ich weiß, was dieses Wort wert ist. Die Fels geben ihr Wort und brechen es wie Glas!«
Rose fühlte, daß ihre Selbstbeherrschung sie verließ, aber als sie schon das Wort zu einer heftigen Entgegnung auf den Lippen hatte, fiel ihr ein, daß sie ihrem Vater gelobt habe, der Frau, die er geliebt, auch mit Liebe zu begegnen. Den lauten Ausdruck ihrer Empörung mit aller Gewalt zurückhaltend, ging sie schnell in das Schlafzimmer, um dort mit heißen, unbewußt rinnenden Tränen ihrem bebenden Herzen Erleichterung zu schaffen.
Frau van der Lohe verließ befriedigt das Zimmer und kehrte zu ihrer Gesellschaft zurück. Sie hatte erreicht, was sie wollte – freiwillig sollte Rose ihr Zimmer hüten!
»Wo ist Heideröslein, Tante?« war Carolas erste Frage, als die alte Dame zurückkehrte.
»Sie ist in ihrem Zimmer.«
»Dann werde ich sie holen,« rief Carola aufspringend.
»Unnötige Mühe,« warf Frau van der Lohe hin, »ich habe soeben erst einen nervenvernichtenden Auftritt mit dem eigenwilligen, halsstarrigen Mädchen