Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
oder zu tadeln. Wenn sie dem erbärmlichen Kerl im letzten Augenblick ihr verspätetes ›Nein‹ zurief, so ist das nicht unsere Sache – das menschliche Herz läßt sich eben nicht zwingen. Daß sich aber Hahn so weit vergaß, in blinder Wut das arme Mädchen in den See zu werfen, das dürfen wir ihm nicht vergeben.«
»Hahn kann viel zu seiner Entschuldigung anführen,« rief Frau van der Lohe erbittert, »daß aber das unweibliche Betragen des Mädchens von dir entschuldigt wird das ist denn doch stark.«
»Mutter! Ich begreife nicht, wie dein sonst so aus geprägtes Gerechtigkeitsgefühl dich in diesem Falle so irre führen kann!« sagte van der Lohe vorwurfsvoll.
Sie mochte vielleicht doch die Wahrheit dieser Worte fühlen, denn sie schwieg, rastlos auf und ab gehend. Dann trat sie vor ihren Sohn hin und legte ihre Hand auf seinen Arm.
»Jo,« sagte sie zaghaft, fast bittend, »nicht wahr – du – du denkst nicht mehr an sie?«
»Wie soll ich das verstehen, Mutter?«
»Jo, du weißt sehr gut, was ich meine!«
Van der Lohe strich mit der Hand über seine Stirn und sagte dann fest:
»Mutter, ich hoffe, du wirst Rose Fels zu Hochfeldens zurückkehren lassen. Du weißt also, daß sie das Glück meines Lebens ist – es schickt sich nicht, daß ich in meinem Hause, wo sie eine bezahlte Stellung einnimmt, um sie werbe.«
Frau van der Lohe trat, blaß werdend, zurück.
»Rose Fels bleibt bei mir,« sagte sie hart, »ich werde niemals in deine Verbindung mit ihr einwilligen. Ehe Egon Fels' Tochter meines Sohnes Frau wird, soll meine Zunge für ewig verstummen und meine Hand sich nicht mehr rühren können, um dich von ihr zu trennen.«
»Mutter, du lästerst,« sagte van der Lohe ernst.
»Auf meine Verantwortung,« entgegnete sie trotzig »wir wollen sehen, wer seinen Willen behält, du oder ich! Ich verwünsche die Stunde, die dieses Mädchen in mein Haus brachte. Wenn ich Himmel und Erde in Bewegung setzen sollte – ich bin zu dem Ärgsten fähig. Das bedenke.«
»So war diese Verbindung mit Hahn auch dein Werk Mutter?«
»Nein. Sie nahm seine Hand, weil sie mit schlauer Berechnung erwog, daß –«
»Halt ein, Mutter! Man hat ihr gesagt, daß ich bereits verlobt sei. Wer diese niederträchtige Lüge auf dem Gewissen hat, wage ich nicht zu untersuchen. Man hat sehr geschickt meine Abwesenheit benutzt, um meinen Angelegenheiten nachzuspüren und ein wenig Vorsehung zu spielen!«
Frau van der Lohe stützte sich schwer auf den Tisch.
»Du kannst nicht mehr daran denken, ein Mädchen heimführen zu wollen, das sich, mit einem andern am Altar stehend, benommen hat wie Rose Fels.«
»Rose Fels hat recht gehandelt, daß sie den Mut hatte, im letzten Augenblick nein zu sagen. Ich weiß nicht, ob an ihr oder mir abscheulicher gehandelt wurde durch die niedere Intrige, die gegen mich gespielt wurde!«
»Aber Jo, siehst du denn nicht ein, daß Rose Fels schlau berechnend lieber deine schwerer wiegende Hand nimmt als die bedeutend leichtere des Barons?«
Van der Lohe schüttelte heftig den Kopf.
»Mutter, das Verleumden steht dir nicht! Die Augen von Rose Fels lügen nicht, ihre klare Seele kennt keine Berechnung!«
»Jo, ich verlange, daß du diesem Mädchen entsagst.«
»Niemals, solange ich die Hoffnung habe, sie mein zu nennen!«
»So geh,« sagte die alte Dame hart, »wir haben einander nichts mehr zu sagen. Versuche es, sie zum Altar zu führen ohne meine Einwilligung; du kannst es nicht, denn ich werde es verhindern.«
»Du wirst andern Sinnes werden, Mutter.«
»Niemals, sage ich gleich dir! Die Welt kann eher untergehen, ehe ich Rose Fels meine Tochter nennen würde.«
»Die Zeit mildert, Mutter! Die alten Geschichten sind zu plötzlich wieder an dich herangetreten, du wirst später anders darüber denken. Soll denn der alte Haß erst unter der Erde enden?«
»Nur unter der Erde,« erwiderte Frau van der Lohe heftig.
Johann entfernte sich traurig, hier war vor der Hand nichts zu tun. Gern hätte er Rose noch einmal gesprochen, aber da sie nicht zu neuem Streit Veranlassung geben wollte, verließ sie ihr Zimmer nicht, und in dieses gelangte nur Carola, die ebenso wie Olga morgen mit nach der Stadt abreisen wollte. Das kleine Fräulein war im übrigen ganz erhoben durch Roses mutige Tat – so, ganz so hätte sie es gemacht, nur mit dem Unterschiede, daß sie sich mit Baron Hahn überhaupt nicht verlobt hätte.
Es war schon lange nach der Teestunde dieses letzten Tages in Eichberg, als Carola an die Tür von van der Lohes Arbeitszimmer klopfte und ihren Vetter durch ihren Besuch überraschte.
»Wie, Carola, du?« rief er ihr entgegen, »na, das ist hübsch von dir, du bist ein seltener Besuch bei mir.«
»Ich liebe es für gewöhnlich nicht, anderen Leuten lästig zu fallen,« erwiderte sie trocken, indem sie sich auf die Lehne eines Armstuhls schwang.
»Man muß sich das nicht immer einbilden,« meinte van der Lohe freundlich.
Sie machte ein Gesicht, schaukelte sich nachdenklich auf ihrer Stuhllehne und sagte dann unvermittelt: »Was hältst du von unserer plötzlich befohlenen Abreise, Jo?«
Er zuckte mit den Achseln.
»Wenn ich wie du wäre,« fuhr sie fort, »dann käme ich bald nach!«
»Ich kann nicht, Carola, ich bin in den Werken nötig.«
»Unsinn, bei dir geht's ja nicht ums tägliche Brot!«
»Das nicht, aber um das Ansehen der Firma. Da ist die große Bestellung nach Schweden, und überdies – der Professor bleibt noch hier, und da kann ich als höflicher Wirt nicht ohne weiteres fortreisen.«
»Ach was – der Professor! Der Professor nimmt das nicht übel, ich weiß es gewiß! Er hat genug Gesellschaft an seiner Marmorgruppe, die ihn jedenfalls mehr interessiert als du.«
»Schönen Dank!«
»Na, du weißt ja, wie ich's meine! Höre, Jo, komme bald nach der Stadt! Mir ist so zumut, als wärst du dort nötig. Tante ist jetzt so erregt und – und ich kleiner schwacher Krüppel kann höchstens mit der Zunge jemand verteidigen.«
Van der Lohe sah betroffen auf.
»Wie meinst du das, Carola?«
»O, nur so – weil ich dachte – weißt du, Jo, diese Reise ist so – so – warum kommt Tante nicht nach Eichberg zurück?«
Van der Lohe strich sich mit der Hand die Haare von der Stirn und sah vor sich hin, wie jemand, dem plötzlich ein Schleier von den Augen gefallen ist.
»Du hast recht, Carola,« sagte er dann ernst, »ich werde sobald wie möglich nach St. kommen.«
»Nun, das ist ein gescheiter Entschluß,« rief die kleine Dame frohlockend und setzte leise hinzu: »Tante hat sicher geheime Pläne mit Heideröslein, ich lasse mir's nicht ausreden!«
Van der Lohe antwortete nicht. Nach einer kleinen Weile verließ Carola ihre Lehne und reichte Johann die Hand.
»Gute Nacht, alter Junge,« sagte sie herzlich, »ich gehe jetzt hinauf zu ihr – hast du ihr nichts sagen zu lassen?«
»Hat sie dich zu mir geschickt?«
Carola lachte hell auf.
»Ja, da kennst du unser Heideröslein schlecht. Ehe die sich dazu herabließe, eher ›verzehrte sich ihr Leib und ihre Seele stürb' vor Sehnen.‹«
Van der Lohe lächelte, aber er sagte sehr entschieden:
»Ich hasse Zwischenträger.«
»Ich