Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem

Gesammelte Werke - Eufemia von  Adlersfeld-Ballestrem


Скачать книгу
Bissen vom Munde zu nehmen.

      Als ich heranwuchs, waren wir und unsere Nachbarn fast nur noch auf die verfallenen Eulennester von Herrenhäusern angewiesen, soweit war es schon gekommen. Mein Bruder, Olgas Vater, mußte die Militärlaufbahn aufgeben und erhielt später den Posten eines auswärtigen Konsuls, der Sohn unseres Gegners hatte mit großen Opfern studiert und die hohe Forstlaufbahn eingeschlagen. Er war ein schöner, großer Mann; wir sahen uns, durch den Haß unserer Eltern getrennt, erst zufällig auf Spaziergängen, dann öfters verabredet und zuletzt wechselten wir die Ringe – wir liebten uns! Doch es kam anders. Als mein Vater starb, wollte mein Bruder Frieden schließen, aber sein herzlicher, offener und wohlgemeinter Antrag wurde schroff zurückgewiesen, und der Freiherr starb, nicht ohne erlebt zu haben, daß der Streitgegenstand zwangsweise verkauft wurde, um die Prozeßkosten zu decken. Ich wartete geduldig, ob mein Geliebter kommen würde, mich zu holen – es war ja nun zu Ende mit dem alten Streit, aber er kam nicht – und ich wartete und härmte mich ab.

      Endlich kam ein Brief von ihm. Er enthielt meinen Ring – weiter nichts! Egon von Fels war meineidig an mir geworden, er hatte mir die besten Jahre meines Lebens geraubt, mein Herz mit Füßen getreten, mich ehrlos im Stich gelassen –«

      Klirr – eine Tasse fiel zerbrechend auf den Boden, und Rose stand zitternd und glühend vor der Anklägerin.

      »Das ist nicht wahr!« rief sie atemlos.

      »Fräulein Eckhardt, wie können Sie sich unterstehen – was geht der Freiherr Egon von Fels Sie an?« sagte Frau van der Lohe, erstaunt und entrüstet.

      »Er war mein Vater!« erwiderte Rose außer sich.

      Frau van der Lohe lehnte sich schwer atmend in ihre Kissen zurück.

      »Und Sie,« brachte sie endlich hervor, »Sie, seine Tochter, haben sich unter fremdem Namen in mein Haus eingeschlichen! O, das ist stark!«

      »Ich habe ja nicht gewußt, daß Sie diejenige sind, von der mein Vater noch im letzten Augenblick seines Lebens sprach,« erwiderte Rose. »Er starb, bevor er mir Ihren Namen nennen konnte, gnädige Frau, nachdem er mir gesagt, daß sein Vater auf dem Sterbebett ihm den Eid abgenommen hatte, Ihnen zu entsagen. Und mein armer Vater tat es mit blutendem Herzen. ›Rose,‹ sagte er mir in der Stunde seines Scheidens, ›Rose, wenn du ihr einst begegnest, die ich geliebt, so liebe sie auch, mache mein Unrecht an ihr gut!‹

      Die Verhältnisse trieben mich hinaus in die Welt, und ich nahm den Namen meiner Mutter an, damit der Titel einer Baronesse mir nicht zum Hindernis wurde, eine Stellung zu finden. Überdies geschah es mit der Einwilligung meines Vormundes. Und nun verzeihen Sie mir, wenn ich allzu heftig war, gnädige Frau, ich verteidige ja nur meinen Vater.«

      Die alte Dame sagte kein Wort – sie wies Rose mit einer Bewegung zurück und ging hastig in ihr Zimmer, um erst ruhiger zu werden, denn der alte, langgenährte Haß war wieder wach in ihr und übertrug sich, da das Grab den Vater deckte, auf die Tochter.

      »Sie hätte nie meines Sohnes Gattin werden dürfen,« dachte sie, »nie, nie, nie! Die Gefahr ist jetzt vorüber, aber ich werde dennoch wachen. Ich würde lieber zu allen Mitteln greifen, ehe ich Egons Tochter als die meine anerkennen würde. – Egons Tochter!«

      O Gürtel und Schleier, o schwarzes Gewand,

       Der Heini von Steier ist wieder im Land.

       Scheffel

      Eine schwüle Luft war's, die in der nächsten Zeit das Eichberger Haus durchwehte, ein unsagbar drückendes Unbehagen. Sonnenberg war der einzige, der sich seine Unbefangenheit zu wahren gewußt hatte und mit Olga, die unbefangen scheinen wollte, die Kosten der Unterhaltung trug.

      Van der Lohe war wenig oder gar nicht zu sehen; er fuhr und ritt nach den Werken, bisweilen auch nach der Stadt und hielt sich viel in seinem Arbeitszimmer auf. Seine Mutter schürte insgeheim ihren alten Haß, aber sie war gleichmäßig in ihrem Benehmen gegen Rose, deren Ausstattung sie förderte, als ob sie die Vermählung gar nicht abwarten könnte. Daneben wachte sie mit Argusaugen darüber, daß ihr Sohn mit dem jungen Mädchen niemals unter vier Augen zusammenkam, und Olga half ihr dabei nach Kräften; es lag ja auf der Hand, daß in diesem Falle Worte der Erklärung fallen mußten, und dem mußte vorgebeugt werden. Dies wurde den beiden Wächtern übrigens leicht genug gemacht, denn Rose war viel auf ihrem Zimmer, das sie der stetigen Begleitung Olgas auf ihren Spaziergängen, denen sich die wachsame, kluge Frau stets anzuschließen wußte, vorzog.

      Auch vermied sie selbst soviel wie möglich, van der Lohe zu begegnen, nachdem sich der Abgrund zwischen ihnen durch Olgas Lüge geöffnet hatte und das »eine Wort« ungesagt blieb. Nicht, daß sich Jo oder Rose gescheut hätten, dieses Wort der Frage, der Erklärung zu sprechen,

      nicht, daß es ihnen etwa auf der Zunge schwebte, wenn sie einander sahen – nein, sie dachten nicht daran. Sie waren beide zu stolz, als daß sie noch einmal versucht hätten, einander zu begegnen. Van der Lohe fand sie, die ihm beim Scheiden erst das süßeste Wort gesagt, bei seiner Rückkehr als die Braut eines anderen vor – damit war sie ihm verloren, und Rose, im Wahn, daß er ein frevelhaftes Spiel mit ihr getrieben, legte ihre Hand in ihrer Herzensangst und um sich vor ihm, vor sich selbst zu retten, in die eines Menschen, der ihr unangenehm und gleichgültig war.

      Alles dies war für die anderen gekommen wie der Dieb in der Nacht, sie wußten keine Erklärung. Am meisten berührte es Carola und den Professor, denn beide hingen von Herzen an den zwei Menschen, die sie für einander bestimmt geglaubt hatten. Sie sannen dem Grunde dieses plötzlichen Umschwunges nach, sie sannen auf Besserung, aber was konnten sie tun? Der Tatsache gegenüber waren beide ohnmächtig. Sonnenberg war, wie gesagt, der einzige Unbefangene. Es tat ihm zwar sehr leid, daß er nicht der Glückliche war, der Roses Hand erringen konnte, aber das hinderte ihn durchaus nicht, ihr seine Huldigungen weiter darzubringen. Über das Duell machte er sich auch nicht viel Kopfzerbrechen; die Sache war abgetan und damit Punktum, denn über Dinge, die er nicht begriff, ging er hinweg.

      »Was hilft es, den Kopf zu zerbrechen mit Dingen, die ganz unerklärlich,

       Lasse man jedem das Seine, und mich geht es schließlich nichts an,«

      sagte er sich selbst, über seine geliebten Hexameter stolpernd wie über ein Stoppelfeld. Des genialen Kunstjüngers Theorie war jedenfalls vernünftig, leider aber in der Praxis nicht für alle menschlichen Naturen ausführbar. Sich um anderer Leute Angelegenheiten zu kümmern, ist eine Hauptsorge des menschlichen Geistes, vor der das liebe »Ich« häufig zurückstehen muß.

      Baron Hahn war seit einigen Tagen fort und hatte seiner Braut immer nur unterwegs seine Herzensergießungen mitteilen können, die Rose ungelesen beiseite legte. Es war ihr unmöglich, diese schalen Worte zu lesen, die in ihr nur das Gefühl der Abneigung vermehrt hätten.

      Endlich kam der bang erwartete Brief aus Hochfelden. Hahn teilte Frau van der Lohe mit, daß er natürlich die Einwilligung von Roses Vormund erhalten habe und binnen kurzem in Eichberg eintreffen würde, um den Hochzeitstag zu bestimmen und sehr zu beschleunigen; er erwarte demnächst seine Berufung als Legationsrat zur B.schen Gesandtschaft und wolle seinen Posten nicht antreten, ohne die junge Baronin Hahn mitzunehmen.

      »Natürlich,« rief Frau van der Lohe hastig, als sie den Brief las, »natürlich muß er das! Die Arbeiten müssen alle beschleunigt werden!«

      Es war ein wahrhaft fanatischer Eifer über die alte Dame gekommen. »Nur fort mit diesem Mädchen, Egon Fels' Tochter,« war ihr einziger Gedanke, »fort, mir aus den Augen, Jo aus dem Sinn! Er liebt sie noch, und ehe ich's erleben muß, daß mein Sohn –«

      Sie wagte das gar nicht auszudenken, so sehr hatte der alte Familienhaß sie wieder in den Klauen.

      Zugleich mit Hahns Zeilen kam an Rose ein Brief ihrer mütterlichen Freundin, Frau von Hochfelden, die ihr Glück wünschte, aber kein Wort über den Bräutigam schrieb. Wie ein leiser Vorwurf war es zwischen den Zeilen zu lesen, daß Rose ihrer bei dieser Wendung ihres Lebens mit keinem Worte gedacht, ein stummer, aber schmerzender Vorwurf; nicht eine Zeile daneben von einem Wunsch nach einer Mitteilung, nur das Bedauern, daß Frau von Hochfeldens Hand Rose nicht den Brautkranz winden durfte.


Скачать книгу