Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem

Gesammelte Werke - Eufemia von  Adlersfeld-Ballestrem


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können nicht scharf genug die neue Richtung verteidigen.

      »Das ist's ja eben! Laßt den Alten ihren Platz und spart eure Posaunenstöße, die das Ohr eines sachlich denkenden Beobachters widerwärtig berühren. Der Zauber, der von den Klängen des Tannhäuser, des Lohengrin, des Nibelungenringes ausgeht, wird nie seine Wirkung verfehlen und besser von dem Riesengenie Wagners sprechen als ihr alle. Jede Seele, die nicht verdorrt ist oder vernagelt mit Vorurteilen, wird sich immer neu berauschen an den wunderbaren Klängen des Pilgerchores, des erhabenen Trauermarsches, jedes Herz wird den süßen Zauber begreifen, der in der Melodie des ›Abendsterns‹, dem Abschiedsgesange Lohengrins oder den dämonischen, packenden Weisen des Holländers liegt. Das alles hindert uns aber nicht, uns immer wieder neu zu laben an den unsterblichen Schöpfungen unserer klassischen Meister.«

      »Es hindert uns,« schrie Leßwitz heftig, »die neue Richtung allein hat jetzt das Wort!«

      »Das können nur die behaupten, denen im Fanatismus das unparteiische, klare Urteil verlorengegangen ist.«

      Frau van der Lohe hielt es für angemessen, dem Gespräch jetzt eine andere Wendung zu geben, denn Leßwitz war, wie immer bei solchen Gelegenheiten, geneigt, ausfallend zu werden, und sie wollte einen heftigen Auftritt vermeiden, den der fanatische Künstler sicher verursacht hätte, wenn es auch von dem ruhigen Professor nicht zu erwarten stand.

      »Sie schweifen allzusehr ab, meine Herren,« sagte sie daher laut und mit dem bestimmten Ton, der ihr als Dame des Hauses zustand, »lassen Sie diese Gemeinplätze anderen! Ich meine, es wäre besser, wenn Fräulein Eckhardt etwas vorliest.«

      »Jedenfalls erquicklicher,« stimmte Körner bei.

      Leßwitz entfernte sich zornbebend, und fünf Minuten später drohten alle Saiten des Flügels unter seinen Händen zu zerspringen.

      Rose stand sofort auf und fragte, welches Buch sie holen sollte; sogleich erbot sich Hahn mitzugehen, aber ebenso schnell war auch Carola zur Stelle.

      »Jetzt sind wir gar zu dritt, um ein Oktavbüchlein zu holen,« lachte sie. »Da sind wir beide unnütz, Heideröslein – der Herr Baron wird es allein besorgen!«

      Dem Baron blieb nichts übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen und zu gehen.

      »Das war rücksichtslos, Carola!« bemerkte Frau van der Lohe scharf.

      »Aber wirkungsvoll,« murrte Carola, daß es nur Rose hören konnte.

      Hahn kam sehr schnell mit dem Buche zurück und überreichte es Rose mit einem vielsagenden Blick, den sie indes vollständig übersah.

      »Danke, lieber Baron,« sagte Frau van der Lohe und setzte hinzu: »Nun, Fräulein Eckhardt, haben Sie kein Wort des Dankes für den erwiesenen Dienst? Oder sind Sie schon so verwöhnt? Es werden nicht allezeit Freiherren bereit sein, Sie zu bedienen.«

      »Ach was, Tante,« rief Carola, »der Dienst galt dir allein! Der Baron opfert sich als aufmerksamer Gast der Frau vom Hause auf!«

      Rose hatte das Kränkende in den Worten der allen Dame nicht in dem Maße empfunden, wie es die anderen berührte. Wortlos öffnete sie das Buch und wartete auf das Zeichen, das sie zum Beginnen auffordern sollte, aber jetzt schien Frau van der Lohe vertieft in ein Gespräch mit Herrn von Hahn und Olga; sie ließ das Buch wieder sinken und sah träumend einem Schmetterling zu, der sich durch die offene Tür verirrt hatte und nun ängstlich am Sims der Decke umherflatterte.

      »Bitte, Fräulein Eckhardt, bleiben Sie einen Augenblick so sitzen, Sie haben gerade die richtige Stellung,« bat Sonnenberg, der bisher mit einem gewaltigen Aufwand von Energie gemalt hatte. Rose schrak empor und stand auf.

      »Verzeihen Sie, Herr von Sonnenberg, ich möchte lieber nicht gemalt werden,« sagte sie freundlich, aber endgültig.

      Sonnenberg wurde rot.

      »Ich wollte ja auch nur eine Privatskizze von Ihrem Profil machen,« versicherte er kleinlaut.

      »Zeigen Sie mal her,« meinte Körner und trat der Staffelei näher. Aber mit einem Ruck ließ Sonnenberg den Vorhang darüber fallen.

      »Nichts da,« sagte er, »Sie verhüllen auch Ihre Gruppe, bis sie fertig ist, mein unfertiges Gemälde soll daher –«

      Er wurde durch den Eintritt eines Dieners unterbrochen, der die Postsachen brachte. Es bekam fast jedes etwas, Briefe oder Zeitungen, und auch Rose hatte einen Brief von Frau von Hochfelden. Sie öffnete ihn und begann zu lesen, aber bald ließ sie das Blatt sinken – ihre Augen verschleierten sich. Es kam ein unbeschreibliches Heimweh über sie, eine brennende Sehnsucht nach den Tagen, da sie als ein harmloses Kind durch den Wald lief und Freude fand an dem Lockruf jedes Vogels.

      Ein heißer Tropfen fiel aus ihren Augen auf die vertrauten Schriftzüge – ein Tropfen namenlosen Wehs. Und mitten hinein schlugen wie ein Blitz die Worte, die Frau van der Lohe ihrer Nichte zuflüsterte: »Jo kommt heute zurück.«

      Rose sprang empor – es war ihr, als müßte sie zu Boden stürzen, ihre Knie schwankten, so daß sie sich anhalten mußte.

      »Fräulein Eckhardt, ist Ihnen schlecht?« fragte plötzlich aufschauend der Professor.

      Baron Hahn sprang sofort auf und erbot sich, sie ins Haus zu führen.

      »Gewiß, liebes Kind, nehmen Sie es an,« rief Frau van der Lohe eifrig.

      Da wallte ein bitteres Gefühl in Rose empor, so bitter daß sie rauh und schneidend zu antworten vermochte: »Ich danke sehr, gnädige Frau, ich kann allein gehen! Es werden nicht jederzeit Freiherren bereit sein, mich zu bedienen.«

      Baron Hahn ließ seinen Arm sinken, und Frau van der Lohe lehnte sich von Staunen überwältigt zurück.

      »Mich mit meinen eigenen Worten abzufertigen!‹ murmelte sie empört. »Dieses Mädchen ist schon so verwöhnt worden –«

      Professor Körner legte, ohne ein Wort zu sagen, sein Werkzeug hin, nahm Roses Arm in den seinen und ging mit ihr hinaus.

      »Rose, was fehlt Ihnen?« fragte er besorgt.

      »Fragen Sie nicht,« stieß sie hervor, »es ist fast mehr als ich ertragen kann! Ich muß allein sein – allein!«

      »Rose, Sie betrüben mich! Hätte ich nur ein Anrecht auf Ihr Vertrauen – ich würde Sie vielleicht trösten können!«

      »Mich tröstet nichts!«

      »Rose, zum letztenmal: Vertrauen Sie mir! Oder besser noch, wenn Jo van der Lohe –«

      Sie riß heftig ihren Arm aus dem seinen und ging oder schwankte vielmehr wortlos in das Haus.

      Der Professor schlenderte traurig zurück, von Carola, die ihm entgegenkam, atemlos befragt.

      »Lassen Sie sie, Carola,« sagte er ernst, »in dieser jungen Seele wird ein schwerer Kampf gekämpft, da kann niemand helfen, weil ihr Stolz alle Hilfe ablehnt. Wir müssen abwarten, nichts als abwarten.«

      Am Nachmittag verließ Rose ihr Zimmer, das sie seit dem Morgen gehütet hatte, und ging nach dem See hinunter. Aber sie stieg heute nicht den Söller der Klosterruine empor, sondern blieb drunten im Klosterhof, in dessen kühle, totenstille Kreuzgänge selbst die Mittagshitze nicht einzudringen vermochte. Dichte Schlinggewächse rankten sich an den säulengetragenen Spitzbogen empor und gewährten dem Licht nur mit leisem, grünlichem Schimmer Eintritt auf die hallenden Steinfließen, unter denen die ehemaligen Klosterfrauen den ewigen Schlaf schliefen. Wie manches Herz, das längst vermodert war, mochte auch einst so heiß und stürmisch gepocht haben, als noch die Wogen der Welt darüber hinbrausten, und hatte nirgend Ruhe finden können als in diesen Mauern, wo der Gottesfriede mit milder Hand über alles Leid strich, den Haß versöhnte, das Weh linderte!

      Rose lehnte sich gegen eine der Säulen und sah nach den vermoderten Grabsteinen hin, über die grüngoldene Lichter zitterten und buntschillernde Schmetterlinge lautlos wie ein Traum schwebten. Und dennoch vermochte die süße Stille nicht, Rose zu beruhigen; das Herz ward ihr immer schwerer, sie wußte


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