Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
nach ihrer Gesundheit und sein prüfender Blick sagten ihr, daß er von den Vorgängen der letzten Nacht wußte oder wenigstens Andeutungen empfangen hatte. Sie schien indes so vollkommen im Besitz ihrer geistigen Fähigkeiten, daß er wieder irre an seiner Besorgnis wurde.
»Fräulein von Fels reist heute ab,« bemerkte er nebenhin.
»Ah –« machte Frau van der Lohe und setzte schneller hinzu: »Das ist gut. Ich könnte mich vergessen – ihr Anblick rührt alles Schlimme in mir auf. Ich will sie vor ihrer Abreise nicht mehr sehen.«
»Das halte auch ich für das beste,« erwiderte er ruhig. »Das arme Mädchen würde ebensowenig wie du einen Auftritt wie den heute nacht vorgefallenen noch einmal ertragen können.«
Frau van der Lohe fuhr sich mit dem Taschentuch über die Stirn.
»Hat sie dir davon erzählt?« sagte sie matt »Ich traf sie heute nacht in der Bibliothek, aber wenn ich beschwören sollte, was wir gesprochen, ich könnte es nicht.«
»Rose könnte dir darüber Auskunft erteilen, Mutter,« rief van der Lohe mühsam beherrscht, »an ihrem Halse sollen sich die bläulichen Male von fünf Fingern befinden, die das arme Mädchen erwürgen wollten.«
»Du erschreckst mich! Was soll das heißen?«
»Daß Rose Fels, meine Braut, ihres Lebens unter meinem Dache nicht mehr sicher ist.«
Frau van der Lohe rang die Hände und in ihren Augen glänzten Tränen innerer Erregung.
»Jo, um Gotteswillen, erbarme dich! Das ist ja entsetzlich! Wer, wer, um alles in der Welt – wer könnte –«
Van der Lohe wandte sich erschüttert ab. Hatte sie wirklich keine Ahnung von ihrer Tat, war ihr Geist wirklich so zerrüttet? Oder – war dies alles Komödie, geschickt gespielt und geplant? Er mußte Gewißheit haben, um jeden Preis.
»Rose behauptet, du hättest es getan!«
Frau van der Lohe stieß einen gellenden Schrei aus.
»Sie lügt,« schrie sie, »sie lügt, um sich an mir zu rächen! Jo, hältst du deine Mutter dessen für fähig?«
»Nicht gern, Mutter, der Himmel weiß es,« erwiderte er ruhig.
»O welch ein Abgrund,« rief sie, »welch Gewebe, gesponnen von ruchloser Hand! Jo, du kennst meinen Willen, du weißt, daß ich dieses Mädchen nie als Tochter begrüßen werde, aber die Hand gegen sie erheben, um sie zu töten – niemals!«
»Mutter, du selbst sagtest, daß die Ereignisse dieser Nacht dir wie ein wirrer Traum wären.«
»Gewiß, gewiß,« rief die alte Dame sinnend, dann plötzlich erhob sie sich und sagte leise, scheu um sich blickend:
»Jo, siehst du denn nicht, daß sie dies nur erfindet, um mich zu verleumden? Kann sie diese Male nicht selbst sich beigebracht haben, zu ihren Zwecken?«
»Nein! Rose ist dessen nicht fähig!«
Van der Lohe verließ seine Mutter mit schmerzendem Kopf. Vor welchem Rätsel stand er? Kurz entschlossen stieg er die Treppen zum »Olymp« empor und klopfte an die Tür. Er fand die Mädchen mit Packen beschäftigt, doch ohne Carola zu beachten, ging er sofort an Rose heran, die ihm errötend und freundlich die Hand entgegenhielt.
»Rose, ich bin sehr besorgt um Sie!«
»Sie sind sehr gütig, aber ich bin ganz wohl, wirklich!«
»Carola erzählte mir –«
»Ich bin sehr böse auf Ihre Kusine,« rief Rose, »sie sollte das alles nicht erzählen, ich hatte sie darum gebeten. Wäre ich selbst nicht so erschrocken gewesen, so wäre kein Wort über meine Lippen gekommen.«
»Meine Mutter leugnet den ganzen Hergang.«
Rose zog blitzschnell ihre Hand aus der seinen.
»Sie weiß es vielleicht nicht mehr. Sie war so – so er regt, daß ich für ihren Verstand fürchtete,« sagte sie entschuldigend.
»Meine Mutter entsinnt sich, Sie in der Bibliothek gesprochen zu haben,« fuhr van der Lohe dringend fort, »aber sie war außer sich bei dem Gedanken, daß sie Hand an Sie gelegt haben sollte.«
Rose war leichenblaß geworden.
»Nun, so sollen diese Beweise reden,« rief sie erregt, riß das weiße Tuch, das ihren Hals verhüllte, ab und deutete auf die fünf grausamen Fingermale an ihrer Kehle.
»Und was sagt Ihre Mutter noch?« fragte sie.
Van der Lohe ergriff Roses Hand, die sie ihm fast heftig entzog.
»Was sagt Ihre Mutter noch?« wiederholte sie mit tonloser Stimme.
»Rose, es ist nicht mein Amt, Worte hin und her zu tragen.«
»Das genügt mir,« erwiderte sie, »ich kann mir denken, was Sie mir in Güte verschweigen. Carola, Sie müssen sich das Weitertragen von Dingen, die man Sie zu verschweigen bittet, abgewöhnen! Bei Gott, ich wollte nicht, daß Sie erfahren sollten, was Ihre Mutter mir im Irrsinn oder wissentlich getan, dem Sohne die Mutter anzuklagen, war nicht meine Absicht. Die Beweise hier an meiner Kehle werden mit der Zeit schwinden – man kann mich dann mit mehr Erfolg der Lüge und der Verleumdung zeihen!«
»Rose,« rief van der Lohe abwehrend. »Meine Mutter ist krank, sie weiß vielleicht wirklich nicht mehr, was vorgefallen ist. Rose, werden Sie vergessen können, was Sie unter meinem Dach ertragen mußten?«
»Ich bin nicht unversöhnlich,« erwiderte sie leise. »Aber ehe ich von hier fort gehe, muß ich Ihre Mutter sehen, – sie soll mir selbst sagen, was Sie mir nicht wiederholen wollen.«
»Meine Mutter wird Sie nicht mehr sehen wollen.«
»Sie hat recht, denn auch ich könnte vielleicht vergessen, daß sie Ihre Mutter ist!« rief Rose schmerzlich.
»Heideröslein, mein Heideröslein,« sagte van der Lohe innig, indem er sie an sich ziehen wollte. Aber sie trat abwehrend zurück.
»Ich scheide heute von Ihnen als eine Fremde. Ich werde Sie nie vergessen, nie im Leben. Der Himmel weiß, daß ich Sie liebe, aber mit diesem Zweifel in Ihrer Seele sollen Sie mir fern bleiben. Wenn Ihre Mutter sich noch einmal auf die heutige Nacht besinnen sollte, wenn ein Funke von Gerechtigkeit sie erleuchtet, wenn sie endlich fühlt, was sie mir getan, wenn Sie selbst überzeugt sind von meiner Rechtlichkeit, dann will ich Ihnen wieder die Hand reichen, aber ich weiß,« setzte sie trübe lächelnd und fast bittend hinzu, »ich weiß, Sie werden bald kommen nicht wahr?«
»Rose, ich habe nie an Ihrem Wort gezweifelt.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Noch müssen Sie Ihrer Mutter mehr glauben als mir! Ich sehe den Zwiespalt in Ihrer Seele und verstehe ihn. Verzeihen Sie, wenn ich in der Erregung heftig wurde.«
Van der Lohe lächelte und zog sie jetzt wirklich an sich.
»Rose, das wäre eine schlechte Liebe, die solche Zweifel hegt!« sagte er innig.
Für einen Augenblick, nur für einen kurzen, seligen Augenblick genoß Rose ihr Glück, dann blickte sie zu ihm empor und sagte mit leisem Lächeln: »Ich habe schlecht Wort gehalten – ich wollte Ihnen eine Fremde sein bis –«
»Als ob das möglich wäre, Rose,« sagte er mild, indem er mit der Hand über ihr weiches, goldenes Haar strich »Fremde können wir nicht mehr werden, wenn sich auch eine himmelhohe Mauer zwischen uns aufrichtete. Geduld, mein Herz, auch die bösen Tage werden vergehen.
Krankheit und Trübsal, Verfolgung und Pein
Soll unsrer Liebe Verknotigung sein!«
* * *
Nachdem die beiden Mädchen ihr Packen beendet, blieben ihnen noch mehr als zwei Stunden im grauen Hause, und Rose entschloß sich doch hinabzugehen, um sich bei Frau van der Lohe zu empfehlen, oder um wenigstens den Versuch dazu zu machen und damit