Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem

Gesammelte Werke - Eufemia von  Adlersfeld-Ballestrem


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Rose hatte nichts, um sich dagegen zu schützen; die naßkalte Luft aber klärte etwas ihre Sinne. Sie erkannte den ländlichen Bahnhof von Hochfelden und schlug gedankenlos den vertrauten Weg ein.

      Durchfröstelt von dem kalten Wind, durchnäßt vom Regen ging sie durch Wiesen, zwischen öden Stoppelfeldern in die schnell hereinbrechende Nacht; sie sah den Friedhof von ferne mit seinen weißen Kreuzen durchs Dunkel schimmern, und ihr war‹s, als müsse sie trotz Nacht und Regen zu dem geliebten Grabe, um auf ihm all ihr Elend auszuweinen. Aber der Wind pfiff gar so kalt von dem Gottesacker her, die Dorfuhr schlug schon eine späte Stunde, die Bäume am Wege flüsterten und neigten sich, und die Weiden drüben auf der Wiese nahmen gespenstische Gestalten an. Ihre Stirn schmerzte, in den Schläfen pochte und hämmerte es, und die tränenlosen Augen brannten! Endlich kam sie an die bekannte Allee, an deren Ende durch die Glastür der Halle des Hochfeldener Herrenhauses die Lampe schimmerte. Näher und näher kommend, sah sie drinnen am runden Tisch die lieben, alten Freunde sitzen, sie schleppte sich die Treppenstufen empor und klopfte mit fiebernder Hand an die geschlossene Tür. Hochfeldens sahen auf, und der alte treue Freund kam, nachzusehen, wer der späte Gast wohl sein könnte.

      »Rose!« rief er, noch ehe er der Schlüssel herumgedreht hatte und die Tür öffnen konnte.

      »Rose!« schrie auch Frau von Hochfelden auf, als das junge Mädchen in dem nassen schwarzen Kleide, das aufgelöste goldene Haar schwer vom Regen herabhängend, über die Schwelle wankte, ohne Hut, mit müdem, gebrochenem Blick. Aber schon war Rose vor ihr niedergekniet, den Kopf in den Schoß der mütterlichen Freundin, wie sie es gern getan, wenn ihr Vater drüben Billard spielte mit dem alten Freund und das Dämmerstündchen gehalten wurde, ehe die Lampe kam.

      »Rose – Rose!« vermochte die Erschrockene nur zu stammeln.

      »Kind, was ist denn geschehen?« fragte Hochfelden, sich über sie beugend.

      »Sie haben mich als Diebin aus dem Hause gejagt!« sagte Rose, die Augen schließend.

      Ein doppelter Ausruf des Schreckens, des Staunens entriß sie der nahenden Bewußtlosigkeit. Sie erhob den Kopf und richtete sich empor, um ihr blasses Gesicht an Frau von Hochfeldens Schulter zu legen und dem Freunde ihres Vaters die Hand zu reichen. Schwere, brennende Tränen rollten über ihre kalten, blassen Wangen, während sie die Worte wiederholte, die halb im Scherz gesprochen wurden, als sie den Entschluß gefaßt, hinauszugehen ins »feindliche Leben«:

      »Wenn mein Kranz verblüht,

       Wenn mein Herz gebrochen,

       Dann hab' ich Wiederkehr versprochen.«

       Drum still, und wie es frieren mag,

       O Herz, gib dich zufrieden!

       Es ist ein großer Maientag

       Der ganzen Welt beschieden.

       Geibel

      Eine lange, bange, schwere Zeit senkte sich nun wie mit düsterem Schleier auf das freundliche Hochfeldener Herrenhaus, denn wochenlang stand der Todesengel an Roses Krankenlager und beugte sich herab, ihre Stirn zu küssen, denn immer wieder wehrte die Jugendkraft den stillen Friedensbringer ab.

      Die Herbststürme kamen, entlaubten die Bäume und trieben die welken, gelben Blätter hinaus in die weiten Felder, um sie dort im Wirbel emporzuschleudern; sie pfiffen um das Haus eine wilde, tollkühne Weise und rasselten an den Fenstern des Krankenzimmers, als wollten sie auch das zarte Heideröslein drinnen, das nur noch mit einem schwachen Lebensfaden an der Erde hing, abreißen und von dannen führen im tosenden Sturmesreigen, hinauf durch den wolkenumdüsterten, bleigrauen Himmel in das ewige Licht.

      Gegen Abend war's dann eines Tages draußen still geworden; im Westen teilten sich die grauen, schweren Wolkenmassen, eine helle leuchtende Strahlenflut der herabsinkenden Sonne brach hervor und fiel in das stille Krankenzimmer wie eine Verheißung, wie Erlösung.

      »Licht! – Sonne! – Luft!« sagte Rose, die Augen öffnend, als der goldige Strahl auf ihre Stirn fiel. Draußen war es zwar frisch, aber nicht kalt, und Dore, hocherfreut über das erste Zeichen von Bewußtsein seit so langer Zeit, eilte zum Fenster und öffnete es, daß die frische Luft hinein konnte.

      Rose blickte hinaus, still, regungslos, und sah es wie einen Schatten schweben, zum Fenster hinaus in die freie Luft bis hin zu dem scheidenden Licht, dann tauchte es in das Abendrot, um darin zu versinken.

      »Hast du's gesehen, Dore?« fragte Rose leise. »Es war der Todesengel. Er ist fortgeflogen, ohne mich mitzunehmen – ich soll leben!«

      * * *

      Weihnachten war gekommen, und im traulichen Wohnzimmer des Herrenhauses zu Hochfelden brannte hell der Christbaum, als Rose zum erstenmal ihr Zimmer verlassen durfte.

      Nach schöner alter Sitte putzte sich das einsame alte Paar alle Weihnachten den Christbaum und baute sich gegenseitig seine Gaben darunter auf, von jedem mit einem Tuch verdeckt, damit die Überraschung größer war, wenn die Glocke ertönte und das liebe, traute Weihnachtslied

      »Stille Nacht, heilige Nacht«

      auf dem kleinen Harmonium erklang. Heute war noch zwischen den Geschenken des Ehepaares ein dritter Platz eingeschaltet, und auch Rose fand sich reich bedacht mit Gaben der Liebe von den treuen, guten Freunden. Mit Tränen in den Augen dankte sie ihnen.

      »Und ich habe nichts zu geben,« sagte sie traurig.

      »Du hast dich selbst uns gegeben, mein Kind,« sagte die gütige Frau.

      Aber noch kamen andere Überraschungen, denn Frau von Hochfelden brachte einen Korb herbei, der sehr geheimnisvoll verdeckt war.

      »Freundesgaben von außerhalb,« sagte sie lächelnd und lüftete den Deckel. Nun schrie Rose auf vor Überraschung, denn was war da alles?

      Vor allem ein kleines Alabasterstandbild, von Professor Körner selbst gefertigt, eine liebliche Engelsgestalt, deren Hände einen Rosenkranz hielten. Der Sockel trug die Worte: »Ich bin der Engel des Trostes.«

      »Teurer, lieber Freund!« rief Rose bewegt.

      Die nächste Gabe war ein Kasten, auf den Sonnenberg einen Strauß von Heckenrosen gemalt hatte, – »auf daß der Frühling das holde Heideröslein neu erblühen lasse«, besagte die Widmung. Die dritte Gabe war eine zartgraue Decke, mit Heckenrosen bestickt, die Carola für ihren Liebling gearbeitet hatte.

      Daß die Freunde alle an sie gedacht, bewegte Rose so bis ins innerste Herz, daß sie weinen mußte, aber Frau von Hochfelden wußte, daß es nicht nur der Ausdruck der Rührung über dieses zarte Andenken war; es war der Gedanke, daß er sie vergessen hatte!

      Da trat sie an das weinende Mädchen heran.

      »Rose,« sagte sie freundlich, »ich habe noch etwas für dich – aber du mußt mir versprechen, ruhig zu bleiben –«

      »Von – von Jo?« fragte sie stockend, und ihre Hand faßte nach dem Brief, den Frau von Hochfelden jetzt hervorzog. Dann winkte diese ihrem Gatten und führte ihn ins Nebenzimmer, damit das junge Herz seine Weihnachtsfreude allein empfangen konnte.

      Roses zitternde Hände erbrachen den Brief, und im Lichte des Christbaums las sie:

      »Gottes Gruß, meine Rose, zum Christabend! Rose, es darf nicht länger so bleiben zwischen uns, lassen Sie mich endlich das Wort hören, das Wort, nach dem ich mich sehne: ›Ich bin schuldlos.‹ Sie wissen, ich würde Ihnen sofort glauben, ohne weitere Frage. Aber dies Wort müssen Sie sagen, Sie müssen, wenn auch Ihr ganz begreiflicher Stolz sich dagegen auflehnt. Ich muß Ihr Wort haben, um damit Ihre Sache vertreten zu können. Überwinden Sie sich, und

      Trübsal und Krankheit, Verfolgung und Pein

       Soll unsrer Liebe Verknotigung sein!

       Johann von der Lohe.«

      Rose lehnte sich zurück, nachdem sie den Brief gelesen, und verbarg das Antlitz in ihren Händen, – lange saß sie so da, ohne Laut, ohne Lebenszeichen. Hochfeldens traten wieder ins Zimmer, sie löschten die Christbaumkerzen aus, die herabgebrannt


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