Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
einen sehr kostbaren Anhänger, mit Brillanten besetzt.«
»Seit wann wird er vermißt?«
»Seit dieser Stunde. Ich hatte ihn eben geputzt, als Baroneß Fels eintrat, um sich bei deiner Mutter zu verabschieden. Ich ging zu Tante hinein und brachte Fräulein von Fels dann die Nachricht, daß Tante sie nicht empfangen würde. Nachdem Fräulein von Fels gegangen war, bemerkte ich, daß der Anhänger verschwunden war.«
»Es war ja aber niemand im Zimmer außer mir,« rief Rose überrascht aus.
»Doch – Josef, der meine Schokolade brachte,« entgegnete Olga lebhaft.
Die Sache war sehr peinlich, denn Josef war ein langjähriger Diener des Hauses, seine Ehrlichkeit hatte bis jetzt außer Frage gestanden. Er gab nun in kurzen Worten eine einfache Beschreibung seiner Anwesenheit im Wohnzimmer von Frau van der Lohe, die inzwischen wankend und elend aussehend in der Tür erschien und grämlich fragte, wo Olga bliebe, sie hätte schon fünfmal nach ihr geläutet. Man erklärte ihr nun den Vorfall.
»Sofortige Haussuchung ist das einzige, was dabei zu tun ist,« erklärte sie sofort.
Van der Lohe konnte sich nicht gleich dazu entschließen, er verlangte erst ein genaues Nachsuchen Olgas, ob das Schmuckstück nicht etwa herabgefallen oder unter andere gekommen sei. Nachdem festgestellt worden war, daß der Anhänger verschwunden blieb, mußte freilich gehandelt werden, und van der Lohe befahl die Untersuchung der Sachen des Dieners, der sehr gut wußte, daß ein Befehl seines Dienstherrn unabänderlich war.
»Herr van der Lohe haben zu befehlen, aber ich habe dann das Recht, Haussuchung bei Fräulein von Fels zu verlangen. Sie ist ebensogut im Zimmer gewesen wie ich!« sagte er mürrisch.
»Unverschämter,« schrie van der Lohe ihn empört an.
Aber Rose legte bittend die Hand auf seinen Arm.
»Nicht doch,« sagte sie leise, »Josef ist in seinem Recht.«
Van der Lohe biß sich auf die Lippen.
»Sie werden sofort Ihre Sachen untersuchen lassen und dann mein Haus verlassen, gleichviel ob Sie schuldig sind oder nicht,« erklärte er ruhig und bestimmt.
»Ich verlange die Untersuchung der Sachen der Baroneß zu meiner Rechtfertigung,« erwiderte der Diener achtungsvoll, aber fest.
Es war ein peinlicher Auftritt, den Rose damit beendete, daß sie ihren gepackten Koffer zur Untersuchung zur Verfügung stellte. Olga rang die Hände über den unerwarteten Ausgang der Sache, und auch Frau van der Lohe schien ein menschliches Rühren zu fühlen, denn sie versuchte, dem Diener das Unmögliche seines Verlangens klar zu machen. Aber der Mensch wurde immer hartnäckiger, je mehr Widerstand er fand, und erklärte, Herr van der Lohe sei zur Willfahrung seines Verlangens durch seine langjährigen Dienste verpflichtet, und wenn man in seinen Sachen den gestohlenen Anhänger nicht vorfände, wolle er schnurstracks auf die Polizei, um dort eine Nachsuchung bei Fräulein von Fels zu verlangen. Da unter dem vorliegenden Umstand, daß Rose längere Zeit allein im Zimmer verweilt und sie außer dem Diener die einzige Person gewesen war, die es betreten hatte, zu erwarten stand, daß die Polizei dem Verlangen des Dieners recht geben würde, so übergab Rose ihren Kofferschlüssel Frau van der Lohe, indem sie das Peinliche dieses Auftrittes durch Scherzworte zu mildern versuchte.
Während die alte Dame, von Olga gestützt, die Treppen zum »Olymp« emporstieg, gefolgt von Carola, van der Lohe, Rose und dem Diener, suchten alle Rose durch doppelte Aufmerksamkeit zu beweisen, wie sehr sie die unverschämte Forderung des Bedienten tadelten.
»Mein armes Heideröslein,« flüsterte Johann ihr zu, »mein lieber, kleiner Liebling, was müssen Sie nicht alles hier erdulden!«
»Ach, das ist ja doch nur zum Schein,« erwiderte Rose lächelnd in aller Harmlosigkeit.
Droben angelangt, setzte sich Frau van der Lohe neben Roses Koffer nieder, während Olga ihn aufschloß und die darin verpackten Sachen herausnahm. Sie schüttelte die Kleider aus, fühlte in der Wäsche herum und holte endlich zuunterst ein Arbeitskästchen hervor, das sie auf den Tisch stellte, und in dem sie, mit dem Rücken gegen die Anwesenden, herumkramte. Dann schloß sie es wieder und sagte gleichgültig: »Das wäre wohl alles; natürlich hat sich nichts gefunden. Sie haben Ihr Recht, Josef, und können gehen, ich stehe als Beschädigte davon ab, Ihre Sachen zu durchsuchen.«
Der Diener wollte einen Einwand erheben, aber eine entschiedene Handbewegung van der Lohes machte ihn verstummen, und er verschwand lautlos aus dem Zimmer, um sein Bündel zu schnüren. Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, sagte Olga von Willmer scharf: »Ich habe Ihnen eine wohlverdiente Beschämung erspart, Fräulein von Fels, der Mensch sollte nicht triumphieren über eine Dame von Stande. Danken Sie mir!«
»Ich verstehe Sie nicht, gnädige Frau,« rief Rose verwundert.
»Ah – Sie ziehen diese Saiten auf. Wie Sie wollen – ich brauche dann hier unter uns keine Rücksicht mehr zu nehmen. Hier ist der gestohlene Anhänger!«
Mit diesen Worten nahm sie aus Roses Arbeitskästchen das blitzende Schmuckstück und hielt es zur allgemeinen Betrachtung empor.
Rose stieß einen Schrei des Entsetzens aus, die anderen standen starr vor Schreck. Van der Lohe trat, blaß geworden, an den Tisch.
»Olga, du lügst!« brachte er mühsam hervor.
»Lügst!« wiederholte Olga empört. »Lügt man mit dem Beweis in der Hand?«
Er ließ die Arme sinken, und ein langer, langer Blick traf Rose, die starr mit festgeschlossenen Lippen stand.
»Ich sah den Anhänger zuerst in dem Kästchen,« rief Frau van der Lohe, »ich machte Olga ein Zeichen zu schweigen, solange der Diener im Zimmer war. Diese Rücksicht ist erfüllt; wir wollen Fräulein von Fels zwar nicht öffentlich als Diebin brandmarken, aber wir haben zu fordern, daß sie sofort dieses Haus – allein verläßt. Sie hat unser Vertrauen erschlichen, um Zwiespalt zwischen Mutter und Sohn zu säen, um zuletzt zu stehlen – pfui! Gehen Sie, Fräulein von Fels, und nehmen Sie das Bewußtsein unserer Verachtung mit sich!«
»Aber Rose, so reden Sie doch!« schrie Carola erschüttert.
Doch nicht ein Laut kam über Roses Lippen. Langsam strich sie mit der Hand über ihre Stirn, und ihr Blick suchte flehend van der Lohes Auge, aber er stand finster abgewandt und sah sie nicht an.
»Jo –!« sagte sie leise.
»Rechtfertigen Sie sich!« entgegnete er rauh.
»Rechtfertigen?« wiederholte sie. »Wie soll ich denn das machen? Außerdem habe ich auf solche Beschuldigungen keine Antwort!«
»Die gewöhnliche hochtrabende Sprache solcher Leute,« bemerkte Olga verächtlich.
»Wir wollen mit der Person nicht parlamentieren,« rief Frau van der Lohe. »Sie verläßt augenblicklich dieses Haus, oder ich lasse die Polizei holen!«
Rose schickte sich sofort wortlos an, das Zimmer zu verlassen, an der Tür streifte ihr Kleid Johann van der Lohe im Vorübergehen – er stand stumm mit auf der Brust gekreuzten Armen, starr, unnahbar.
»Gott vergebe Ihnen,« sagte sie leise, fast unhörbar, – dann fiel die Tür hinter ihr zu.
Wie sie die Treppe hinab, durch Straßen, über Plätze kam – sie wußte es kaum; sie hielt es später für einen Zufall, daß sie den Bahnhof und den Zug erreichte, mit dem sie ursprünglich abreisen wollte.
Leute rannten geschäftig umher, Gepäck wurde geschleppt, Lachen, Schwatzen, – alles brauste in wildem Reigen um Rose her. Sie forderte halb betäubt eine Fahrkarte; der Mann reichte ihr eine erster Klasse hinaus, die vornehm aussehende, schöne junge Dame konnte doch nicht anders fahren, trotzdem sie keinen Hut auf hatte, keine Handschuhe trug. Sie bezahlte, der Strom drängte sie weiter, dann schob ein Schaffner sie in ein leeres Abteil, die Tür schlug zu, ein gellender Pfiff – und bald lag St. hinter ihr.
Wie lange sie gefahren, wußte sie nicht; es fing schon