Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
ohne Zögern.
»Du lügst, Rose Fels,« rief Frau van der Lohe heftig, »du lügst, wie dein Vater gelogen hat, als er sich mein Herz durch falsche Worte erschlich! Du lügst, sage ich, denn nicht ihn liebst du, sondern sein Geld. Du willst reich sein, weiter nichts!«
Rose entgegnete kein Wort.
»Ich habe dich durchschaut, Rose Fels,« fuhr Frau van der Lohe etwas ruhiger fort, »und ich sagt dir, daß eher meine Rechte verdorren soll, ehe ich gestatte, daß mein Sohn dich heimführt. Und wenn ich sterben soll, dann werde ich ihm denselben Eid abnehmen, den dein Großvater deinem Vater abnahm, als er starb! Du bist ihm also verloren, und je eher du dies einsiehst, desto besser für dich! Hier dieses Papier – sieh es an! Es wurde mir von einer Bekannten aus England zugesandt, ich soll ihr eine Gesellschafterin suchen. Das trifft sich gut, da du doch gehen mußt. Willst du den Posten annehmen?«
»Ich will es überlegen,« erwiderte Rose, erstaunt über diese Wendung.
»Nimm ihn an, Rose Fels! Ich rate dir zum Besten. Unterschreibe diesen Vertrag!«
Rose nahm das Papier; warum sollte sie nicht nach England gehen? Eine neue Stelle mußte sie ja doch annehmen. Sie durchflog den Vertrag; er bestimmte den sofortigen Antritt des Postens, ein reichliches Gehalt und enthielt die Bemerkung, daß die Familie, in die sie eintreten sollte, noch vor Anbruch des Winters mit ihr nach Westindien abreisen würde, wo sie Besitzungen hatte. Das entschied. Rose legte den Vertrag auf den Tisch und erklärte, daß sie diesen Posten nicht annehmen würde.
»Ich dachte mir's,« sagte Frau van der Lohe. »Das war der mildere Weg, den ich Ihnen freistellte, Rose Fels. Nach Westindien zu gehen, wäre ein leichtes Entsagen gewesen, Sie wären abgereist in einen fernen Weltteil über das Meer, und mein Sohn hätte eher seine Liebe vergessen. Es ist um seinetwillen. Überlegen Sie es wohl!«
»Aber ich will ja gar nicht entsagen,« entgegnete Rose einfach, »wenigstens so lange nicht, als Jo mir nicht entsagt.«
»Er! Jo hat den van der Loheschen Eisenkopf und wird von selbst nicht zurücktreten,« rief die alte Dame fieberhaft erregt aus, »aber Sie, Rose Fels, Sie sollen entsagen. Sie wissen, alles Hoffen ist nutzlos; erleichtern Sie es ihm, wenn sie ihn wirklich lieben. Hier ist eine Feder, hier Papier. Schreiben Sie zwei Zeilen, die ich Ihnen diktieren werde, und dann gehen Sie, wohin Sie wollen.«
Rose trat totenblaß einen Schritt zurück.
»Nichts werde ich schreiben!« erklärte sie mit erstickter Stimme.
Frau van der Lohe drückte krampfhaft ihre Hand gegen die Brust.
»Wollen Sie einen Sohn seiner Mutter entfremden, wollen Sie ein heiliges Band zerreißen – für immer?« fragte sie heiser. »Wollen Sie, daß ich meinen Sohn verfluche? Entsagen Sie ihm, oder mein Fluch komme über ihn.«
»O nein, nein!« rief Rose abwehrend, »ich will es nicht, – das nicht!«
»So schreiben Sie, daß Sie ihm entsagen, unwiderruflich entsagen.«
Rose rang in entsetzlichem Seelenkampf die Hände und sank nieder auf die Knie.
»Erbarmen Sie sich,« stöhnte sie, »ich kann es nicht!«
»Gut, so gehen Sie hin, treten Sie mit ihm vor den Altar, aber bedenken Sie, daß Sie einem Verfluchten die Hand reichen! Mein Auge wird meinen Sohn nicht wiedersehen!«
Rose richtete sich langsam auf. Sie war bleich wie der Tod.
»Ich werde schreiben,« sagte sie tonlos. Sie nahm Feder und Papier und ließ sich auf einen der lederbezogenen Sessel, die an dem Tische standen, niederfallen.
Sie sah nicht das triumphierende Lächeln, das über das Antlitz der alten Dame zuckte wie ein fahler Blitz, sie wußte nur, daß sie vor einer grausamen Entscheidung stand. Die Uhr drunten im hallenden Flur schlug die Mitternachtsstunde, ein Windstoß fuhr heulend den Kaminschlot hinunter, und im Gemach knisterte es gespenstisch.
»Ich, Unterzeichnete, entsage ein für allemal –,« begann Frau van der Lohe zu diktieren.
»Allemal –,« wiederholte Rose tonlos und sah dabei zu der alten Dame empor. Aber mit einem Schrei warf sie die Feder hin, denn sie sah in ein dermaßen verzerrtes wahnsinniges Antlitz, daß eine entsetzliche Furcht sie er griff. Sie wollte emporspringen und davon laufen, aber jetzt überfiel Frau van der Lohe die irrsinnige Wut, die sie längst schon mühsam gehemmt und aufgehalten hatte, – Rose fühlte sich von den wachsbleichen, mageren Händen niedergedrückt und die krallenartigen Finger an ihrer Kehle.
»Werden Sie schreiben?« zischte es ihr ins Ohr.
»Nein – niemals! Ich würde doch nur eine Lüge schreiben,« rief Rose, verzweifelt gegen die Gewalt dieser alten Frau kämpfend, »ich würde ihm doch nicht entsagen, ich würde zeitlebens an ihn denken müssen!«
Fester und fester krallten sich die Hände der Irrsinnigen in Roses Kehle ein.
»Ich werde ihm fluchen, fluchen, fluchen,« heulte sie.
»Gott hört auf solche Flüche nicht,« sagte Rose matt.
»Entsage!«
»Nein!«
Und mit einer Kraft, deren sie sich selbst nicht bewußt war, stieß Rose die Irre von sich – erst später wußte sie, daß diese Kraft das letzte Aufflackern ihrer Lebensgeister war, denn noch ein Druck der Finger an ihre Kehle und es wäre vorbei gewesen. Bei dem Stoß, den Rose gegen sie führte, lockerten sich die grausamen Hände – das verzweifelte Mädchen löste sie vollends, ein Sprung gegen die Tür – und dann jagte sie die Treppe empor, riß die Tür ihres Zimmers auf und schob den Riegel hinter sich zu.
Carola hatte mit weit geöffneten Augen Roses Gebaren zugesehen und sprang jetzt herbei, als diese halb ohnmächtig auf den nächsten Stuhl sank.
»Rose – Rose – haben Sie einen Geist gesehen?«
Aber Rose antwortete nicht. Carola holte Wasser herbei, besprengte ihre Stirn und netzte ihr die Schläfen; dann schrie sie laut auf, denn sie hatte die blutroten Male einer Hand an Roses Hals entdeckt.
Der Schrei brachte Rose zu sich.
»Ist sie fort – kann sie mir nicht folgen?« rief sie angstvoll.
»Wir sind sicher, Heideröslein! Der Riegel ist vorgeschoben. Aber was ist Ihnen geschehen?«
»Ihre furchtbaren Finger – sie wollte mich erwürgen!«
Und schluchzend klammerte sich Rose an Carola, die mit einem unbehaglichen Blick nach der Tür sich zusammenzureimen begann, was vorläufig aus dem armen Heideröslein noch nicht herauszubekommen war.
Die Wolken fliehn, der Wind saust durch die Blätter,
Ein Regenschauer zieht durch Wald und Feld,
Zum Abschiednehmen just das rechte Wetter,
Grau wie der Himmel steht vor mir die Welt.
Doch wend' es sich zum Guten oder Bösen,
Mein Lebelang in Treuen denk ich dein!
Behüt' dich Gott! Es wär zu schön gewesen,
Behüt' dich Gott! Es hat nicht sollen sein!
Scheffel
Als Rose am nächsten Morgen die Augen aufschlug und in das helle Tageslicht sah, waren die Schrecken der vergangenen Nacht überwunden, und wenn nicht die bläulichen Male an ihrem Hals gewesen wären, sie hätte alles für einen schweren, bösen Traum gehalten. Mit der Erinnerung an das Erlebte faßte sie aber auch den festen Entschluß, nicht länger in diesem Hause zu bleiben, als unbedingt nötig war.
Während Carola daher van der Lohe aufsuchte, um mit ihm zu sprechen, packte Rose ihre Sachen – ein mäßig großer Koffer, alles in allem.
Johann erschrak heftig, als seine Kusine ihm erzählte, was in letzter Nacht geschehen war. Nachdem er kaum die Erschütterung überwunden, daß Rose, sein Heideröslein, in Lebensgefahr