Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
sah den Tod von meinem Lager gehen,« sagte sie wie im Traum, »er schwebte lautlos durchs Fenster und verschwand im Abendrot. Damals opferte ich Gott alle Bitterkeit meines Herzens auf und alle bösen Gedanken an Haß und Vergeltung – ich vergebe Ihrer Mutter von ganzem Herzen.«
»Rose, wie soll ich vor Ihnen bestehen?« sagte van der Lohe reuig. »Ich habe schwer gelitten, als ich Sie zu verlieren glaubte, und schwerer leide ich jetzt, da ich Ihnen bekennen muß, daß es Augenblicke gab – Gottlob, nur Augenblicke, in denen ich an Ihnen zweifelte.«
»Menschen irren,« erwiderte Rose ernst. »Und Sie glaubten ja nicht einmal zu irren, denn scheinbare Beweise meiner Schuld waren erdrückend genug vorhanden.«
»Rose,« rief er überwältigt, »ist es denn wahr, daß Sie auch mir vergeben und vergessen können?«
Da lächelte sie ihm zu und antwortete mit dem Vers des alten Simon Dach:
»Krankheit und Trübsal, Verfolgung und Pein
Soll unsrer Liebe Verknotigung sein.«
* * *
Am folgenden Morgen fuhren Rose, van der Lohe und Herr von Hochfelden nach St. Im Portal schon lief ihnen Carola jubelnd, lachend und weinend entgegen; die treue Seele feierte ihre höchste Freude, indem sie Heideröslein glücklich wußte. Aber es war nicht Zeit zum Verweilen, denn Frau van der Lohes Befinden hatte sich seit der letzten Nacht sehr verschlechtert, und so führte Johann seine Braut sofort an das Krankenlager. Die alte Dame lag ruhig, mit geschlossenen Augen, die sie erst aufschlug, als ihr Sohn sie leise anrief.
»Bist du zurück?« fragte sie matt, aber deutlich. »Was sagte sie, vergibt sie mir?«
Da trat Rose aus dem Schatten hervor und kniete neben dem Bette nieder, daß ihre Lippen die Hand der Sterbenden erreichen konnten.
»Mutter!« sagte sie einfach und küßte die Hand, dieselbe Hand, die ihre Kehle umklammert hatte, und was seit Jahren nicht mehr geschehen war – Frau van der Lohe weinte; das stolze Herz war bezwungen von Gewalten, deren Macht es geleugnet und verkannt hatte, und friedlich ging es noch in derselben Stunde hinüber, wo der Haß aufhört und nur die Liebe herrscht.
Und als es wieder Herbst wurde, führte Johann van der Lohe sein Heideröslein als Herrin ins alte Patrizierhaus heim.
Die Falkner vom Falkenhof
Die Falkner vom Falkenhof: Erstes Band
Die Falkner vom Falkenhof: Zweiter Band
Die Falkner vom Falkenhof: Erstes Band
I.
Ich sprach zur Taube: »Flieg' und bring im Schnabel
Das Kraut mir heim, das Liebesmacht verleiht,
Am Ganges blüht's, im alten Land der Fabel –« –
Die Taube sprach: »Es ist zu weit.«
E. Geibel nach François Coppée.
Bravo! Bravo! Da capo!
Ein wahrhaft frenetischer Applaus rauschte und brauste durch die weiten Räume des Opernhauses zu X. und übertäubte fast die wilden, diabolischen Klänge des Orchesters, das eine seltsame, originelle Weise spielte.
Es war die erste Aufführung der neuen Oper eines unbekannten und ungenannten Komponisten, eine phantastische Oper, »Satanella« genannt, deren Libretto dem Publikum eine jener rätselhaften »Teufelinnen« der alten Zeiten vor Augen führte, die aus ihrem unterirdischen Reich heraufgekommen war, um durch ihre Schönheit einen »minnigen Sänger« zu bestricken und in den Tod zu treiben. Von dem wütenden Volke aufgegriffen, wird sie als Hexe zum Scheiterhaufen geschleppt und an den Pfahl gebunden. Unter den Klängen eines prachtvollen Chores wird der Holzstoß entzündet, und Rauch und Flammen steigen empor, die Teufelin zu vertilgen von der Erde. Da plötzlich teilten sich die Flammen, Satanella schüttelt lachend die Fesseln von ihren Händen, das graue Büßer- und Sterbehemd fällt von ihren Schultern, und sie selbst steht in Höllenpracht gekleidet vor dem entsetzten Volk. In wilden Dithyramben singt sie ihr bestrickendes Zauberlied, und mit dem jauchzenden Schluß: »Lebt wohl, ich kehre zurück zu euch, so lang die Schönheit Siege feiern wird, so lange Männerherzen sich noch bethören und betrügen lassen –« sinkt Satanella hinab in die sie verschlingende Erde.
Diesem Schlusse jauchzte das Publikum zu und konnte sich nicht satt hören an der mächtigen, süßen und metallreichen Stimme der fremden Sängerin, welche eigens gekommen war, um die »Satanella« zu singen, und konnte sich nicht satt sehen an dem wunderbar malerischen Schlußtableau mit dem brennenden Scheiterhaufen, den mittelalterlichen Mauern der Stadt mit ihren Türmen und Erkern, dem entsetzt zusammengedrängten Volke und der Gestalt der Satanella auf dem Holzstoße.
Und sie war in der That wunderbar schön, diese fremde Primadonna, Señora Dolores Falconieros – eine schlanke, geschmeidige Gestalt mit dem leuchtenden Rothaar Tizians, das in üppigen Wellen herabfiel auf das scharlachrote, seidene Gewand, das sie umschloß. Und in dem blutlosen und doch lebensfrischen Antlitz brannten große, strahlende, sammetschwarze Augen, deren Glanz noch gehoben wurde durch die sich über der feinen römischen Nase schließenden dunklen Brauen, durch die langen, seidenartigen Wimpern.
Und wie sie dort stand auf der Bühne inmitten des rotglühenden Feuers, im roten Gewand und roten Haar, in dem ein zweigezacktes Brillantdiadem blitzte und funkelte, mit der wunderbar bestrickenden Stimme ihr in seltsamem Rhythmus sich bewegendes Teufelinnenlied singend und dazu ein flammensprühendes Scepter schwingend, dessen Feuerregen bis ins Parkett hinabflog, da bot sie ein Bild, das mit leichtbegreiflicher, dämonischer Macht das herbeigeströmte Auditorium zu jenem frenetischen Beifall entfachte, welches immer wieder und wieder die »Satanella« veranlaßte, aus den Tiefen der Hölle, den Versenkungen, hinaufzusteigen, und mit dankendem Lächeln grüßend ihr verkohlendes Scepter zu schwingen.
Das Schicksal der neuen Oper war entschieden. Der berühmte blonde Tenorist als »minniger Sängerheld« und die durch den Intendanten entdeckte und sofort berühmt gewordene Fremde hatten der herrlichen Musik den Odem des Lebens eingehaucht und die Weihe erteilt, hinauszuziehen in alle Welt.
Etwa eine Stunde später hatte sich ein kleiner, aber gewählter Kreis in dem künstlerisch ausgestatteten Salon des Direktors der Akademie der Künste, Professor Balthasar, zusammengefunden. Der Hausherr, ein über die Grenzen Europas hinaus bekannter geistvoller Maler in der Blüte seiner Jahre, liebte es, nach dem Theater einen Kreis um sich zu versammeln, in welchem er und seine liebenswürdige Gattin die Honneurs machten und für leibliche und geistige Unterhaltung ihrer Gäste aufs Trefflichste sorgten.
Um den runden Tisch, dessen silbernes Theegerät von Frau Balthasar lautlos und gewandt gehandhabt wurde, saßen etwa sechs bis acht Personen mit Einschluß des Hausherrn und der Hausfrau. Da war der hochberühmte, geniale Historienmaler Richard Keppler, der feinsinnige Dichter N., die berühmte Schauspielerin Luise R., der Legationsrat Freiherr von Falkner. Ein Platz war noch leer – er harrte eines verspäteten Gastes.
»Mir summt die Melodie des Teufelinnenliedes noch im Kopf – ich kann sie nicht loswerden,« meinte Professor Balthasar.
»Das macht der dämonische Einfluß dieser Musik – es ist ein rechtes, echtes Teufelswerk,« rief die Schauspielerin.
»Ja, aber das Werk eines genialen Teufels,« entgegnete Keppler.
»Das ist das rechte Wort dafür,« sagte der Legationsrat, eine hohe, gebietende Erscheinung