Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem

Gesammelte Werke - Eufemia von  Adlersfeld-Ballestrem


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bin müde,« sagte sie, »ich möchte schlafen gehen. Ist's schon spät?«

      »Nein, noch nicht,« erwiderte Frau von Hochfelden besorgt. »Rose, war deine Weihnachtsfreude nicht ungetrübt?«

      »Gibt's in der Welt ungetrübte Freude?« fragte Rose schmerzlich. »Onkel Hochfelden,« setzte sie abgewandt hinzu, »schreibe ihm – Herrn van der Lohe, daß ich krank gewesen bin, daß ich ihn grüßen lasse und – und daß ich das Wort, das er von mir zu hören wünscht, – nie aussprechen werde, weil es unter meiner Würde ist, mich gegen solche Anklagen zu verteidigen.«

      Der Winter verging; erlösend strich ein lauer Tauwind über die starren Felder und weckte die Keime tief im Schoß der Erde. Schneeglöckchen blühten, dann ein erstes Veilchen, dicke, schwere Blätterknospen regten sich an den dürren Ästen und Zweigen von Baum und Strauch, die Tannen schmückten sich mit lichtgrünen, zierlichen Trieben, und dann kamen die Vögel aus dem Süden und belebten den Wald mit ihrem Zwitschern und Jauchzen, und die Lerchen stiegen hoch in die Luft mit jubilierendem Gesang.

      Im Hause van der Lohe war es den Winter über ganz still gewesen; die altgewohnten Gäste waren fern, denn der Professor war nach dem Süden gezogen, ebenso Sonnenberg. Leßwitz, der Virtuose, hatte in einem entfernten kleinen Nest die Stelle eines Musikdirektors angenommen, – um ruhig studieren zu können, wie er sagte, andere wußten genau, daß ihm nichts anderes übrig geblieben war, da man in den großen Städten für einen so unverträglichen Charakter ergebenst dankte. Auch Olga von Willmer war nicht mehr erschienen; sie war bald nach der Katastrophe mit Rose von St. abgereist, und van der Lohes erhielten einige Wochen später von Baden-Baden aus die überraschende Anzeige ihrer Vermählung mit Hahn. Später schrieb sie von B. aus, wo ihr Gatte als Legationsrat der Gesandtschaft zugeteilt war, entzückte Briefe, und auch die Zeitungen berichteten oft von dem gastfreien Hause des Freiherrn von H. und seiner schönen, strahlenden Gemahlin, deren wunderbare Madonnenaugen, reiche Kleidung, Brillanten und Liebenswürdigkeit sie sehr zu rühmen wußten. Sie hatte also erreicht, was sie wollte, und füllte ihre Stellung vollständig aus.

      Nur Carola war im Patrizierhaus zurückgeblieben, das kleine Fräulein schlich indes still und stumm durch das Haus. Wenn sie ihren Vetter sah, sprach sie jedesmal über Leute, die abscheuliche Intrigen im Stil von Olgas gestohlenem Anhänger glaubten, oder dergleichen. Eine Zeitlang hörte er das ruhig mit an, endlich, als sie einmal gar zu sehr stichelte, sagte er heftig: »Was weißt du von einer Intrige?«

      »Ich? Na, was sich jedes Kind denken kann; daß Rose den Anhänger natürlich nicht genommen hat, und daß ihn ihr folglich jemand anders in ihren Koffer gesteckt hat.«

      »Deine Logik ist tadellos,« sagte er bitter, »aber wer sollte das getan haben?«

      »Ich bin leider nicht allwissend,« entgegnete Carola kurz, »aber ich hätte mich geschämt, einen so nichtswürdigen Verdacht auf ihr sitzen zu lassen.«

      »Halt, Fräulein Superklug! Sie selbst weigerte sich zu sagen: ›Ich bin nicht schuldig.‹ Und dann – meine Mutter, die doch die einzige ist, die Rose hätte fortwünschen können, sie sprach aus –«

      »Was sie nicht dachte,« vollendete Carola trocken.

      Van der Lohe hob die Hände und faßte an seinen Kopf. »Es ist, um den Verstand zu verlieren,« rief er und ging noch einmal mit Carola die einzelnen Stunden des verhängnisvollen Tages durch.

      Die Anklage gegen Rose war belastend. Als sie das Zimmer betrat, in dem Olga saß, hatte diese eben noch den Anhänger in der Hand gehabt; sie ging dann ins Nebenzimmer, während Rose allein zurückblieb, bis Olga wiederkehrte. Als Rose hinausging, kam sie nicht sofort der Aufforderung, das Arbeitszimmer van der Lohes zu betreten, nach, sondern ging allein in ihr Zimmer, um den Koffer zu schließen. Dieser Punkt war es, der besonders belastend war; wer hätte die teuflische Bosheit besessen, den Anhänger in ihren Koffer zu legen, der überdies ja verschlossen war? Dazu kam, daß die Zeit hierfür gar nicht ausgereicht hätte, selbst wenn man die Theorie eines Nachschlüssels zuließ, und endlich konnte niemand wissen, daß und wie lange Rose ihr Zimmer nicht betreten würde.

      Weihnachten verging, Neujahr kam und mit ihm neue Sorgen ins Patrizierhaus.

      Frau van der Lohe, die lange schon kränkelte, wurde immer menschenscheuer und verstimmter, und eines Abends, als die drei einsamen Menschen beisammensaßen, entschlüpfte Carola unbedacht Roses Name.

      Frau van der Lohe sprang erregt auf und rief zornig: »Ich verbiete dir, diesen Namen in meiner Gegenwart zu nennen. Diese verächtliche Person, diese Diebin soll –«

      Die alte Dame konnte nicht vollenden; ihr Gesicht nahm eine aschgraue Farbe an, sie griff an ihr Herz und stürzte vom Schlage getroffen zu Boden.

      »Jo –« lallte sie, »Jo – Rose – Egon Fels – das – das – Gottesgericht!«

      Das war ihr letztes Wort.

      Von dieser Stunde an lag sie stumm, steif, hilfloser als ein Kind auf ihrem Schmerzenslager, den Hilfeleistungen anderer überlassen, und ihr Ausdruck zeigte, daß sie seelisch mehr litt als körperlich, gepeinigt von quälenden Gedanken, den Schatten vergangener Tage, von Selbstvorwürfen und Reue über die vermessenen Worte, daß eher ihre Zunge verstummen, ihre Hände verdorren sollten, ehe ihr Sohn Rose Fels zur Frau nehmen durfte!

      Nun konnte sie ihm nicht einmal den Schwur abnehmen, der Tochter von Egon Fels zu entsagen, wenn sie tot sein würde, denn sie wußte, daß ihr Ende nicht fern sein konnte!

      * * *

      Ostern war vorbei, zwischen grünen Feldern und blumenreichen Wiesen wandelte Rose Fels eines Abends, als die Sonne sich schon im Westen neigte. Die lange Krankheit hatte sichtbare Spuren an ihr nicht hinterlassen, höchstens, daß ein unnennbares Etwas sich wie ein leichter Schleier über ihr Wesen gelegt, daß sie ernster und reifer geworden war.

      Langsam schlenderte sie durch die Felder, hier und da eine Blume brechend, bis sie ihren Lieblingsplatz erreicht hatte, eine Bank am Waldessaum, beschattet von den Zweigen einer mächtigen Eiche.

      Rose setzte sich müde auf die einfache, von Baumästen gefertigte Bank; sie sah in das Abendrot und preßte die Hand auf die Augen, als wäre sie geblendet von dem scheidenden Licht.

      »Rose!« sagte leise eine tiefe Stimme neben ihr. Sie blickte empor mit stockendem Atem, ahnungsvoll und doch ihren Ohren nicht trauend – aber nein, es war keine Sinnestäuschung, die ihr vorgespiegelt, wonach sie sich gesehnt – es war wirklich und wahrhaftig Johann van der Lohe selbst, der unbemerkt hinter sie getreten war.

      »Heideröslein,« sagte er nochmals, und eine tiefe, große Bewegung machte seine Stimme rauh und unsicher. Jetzt wußte sie's, es war kein Traum mehr. Sie stand auf und sah ihm, blaß bis an die Lippen, in die Augen.

      »Kommen Sie, das ›Wort‹ von mir zu hören?« fragte sie tonlos. »Ich werde es nicht aussprechen, niemals!«

      »Nein, Rose,« erwiderte er mit mühsam beherrschter Bewegung, »ich komme, Ihre Verzeihung zu erbitten für zwei Menschen, von denen der eine sich an Ihnen schwer versündigt, der andere aber Ihnen ein Unrecht getan, das er nur durch die aufopfernde Liebe eines Lebens wieder gut machen kann. Der eine der zwei Menschen ist meine Mutter. Ihr Körper, ihre Zunge waren seit Monaten gelähmt, gestern fand sie die Sprache wieder und bekannte mir, daß – Rose, es ist bitter zu sagen, – daß sie es war, die Sie durch Olga von Willmer in Eichberg von mir trennen wollte, daß sie in der Nacht, als Sie den Abschiedsbrief für mich nicht schreiben wollten, Sie tätlich bedroht – und daß sie abermals durch Olga von Willmer, die sich an mir rächen zu müssen glaubte, den Anhänger in das Kästchen legen ließ, während sie es herausnahm und öffnete.

      Dies ist das Bekenntnis meiner Mutter; es ist mir wahrlich nicht leicht geworden, es Ihnen zu wiederholen. Meine Mutter liegt daheim, dem Tode nahe, aber sie will ohne Ihre Vergebung nicht sterben, denn – welch tiefes, unergründliches Rätsel des Menschenherzens – die Tochter ihres Todfeindes, den sie trotz allem Haß geliebt bis heute, ist ihr ans Herz gewachsen wie ihr eigenes Kind. Rose, können Sie das alles vergeben?«

      Rose stand still, die


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