Dr. Norden Bestseller Staffel 3 – Arztroman. Patricia Vandenberg
das nur eine barmherzige Lüge sein soll, können Sie beide zur Hölle fahren«, sagte sie. »Um mich braucht sich niemand zu sorgen. Ich habe genug angerichtet.«
»Gar nichts haben Sie angerichtet«, sagte Helmut Röck. »Sie brauchen sich keinen Vorwurf zu machen.«
»Und warum haben Sie mich wie eine Verbrecherin behandelt?« fragte sie. »So, als hätte ich Denni entführt?«
»Verstehen Sie mich doch bitte«, sagte er tonlos. »Es ist mein Beruf, den Dingen auf den Grund zu gehen. Ein Kind wurde vermißt, sie hatten das Geschäft frühzeitig verlassen und ich kannte Sie nicht.«
Leslie lachte auf. »Aber jetzt sitzen Sie hier, als würden Sie mich kennen«, sagte sie.
»Ich kenne Sie«, erwiderte er.
Ihre Augen weiteten sich, weil seine Worte so glaubhaft klangen. »Sie kennen mich?«
»Ich muß zuerst meine Pflicht erfüllen, dann kann ich mich mit den Menschen befassen, mit denen ich zu tun habe«, erwiderte er schwerfällig. »Leslie, denken Sie jetzt an sich und an Ihr Kind, an nichts anderes mehr.» Er nahm ihre Hand. Sie wollte sie ihm entziehen, aber er hielt sie fest.
»Ich bin nicht nur Beamter, sondern auch Vater, ich habe eine Tochter und meine Frau auch unter tragischen Umständen verloren. Wie Ihnen zumute ist, kann ich von ganzem Herzen nachfühlen.«
»Jack war noch nicht mein Mann«, sagte Leslie bebend.
»Er wäre Ihr Mann geworden, wenn er nicht so tragisch hätte sterben müssen, und Sie wären jetzt glücklich.«
Sie schloß die Augen. »Ich war nie richtig glücklich«, flüsterte sie. »Ich habe Jack geliebt, aber er war nie da. Ich wußte nicht, ob er jemals ganz bei mir sein würde, auch wenn ich seinen Namen trüge. Das Kind, ja, das Kind würde mir ganz gehören.
Wie heißt Ihre Tochter?« fragte Leslie.
»Annette.«
»Warum mußte Ihre Frau sterben?«
»An einem Blinddarmdurchbruch«, sagte Helmut Röck. »Aber warum erzähle ich das? Ich wollte Ihnen doch nur sagen, daß mir alles sehr leid tut und ich Ihnen und Ihrem Baby alles Gute wünsche. Sie dürfen sich jetzt nicht mehr aufregen. Es ist alles in Ordnung.« Er machte eine kleine Pause. »Darf ich Sie besuchen oder wenigstens nachfragen, ob es ein Bub oder ein Mädel ist?«
»Ich wußte bisher nicht, daß Polizisten so nett sein können«, sagte Leslie.
»Inzwischen habe ich es zum Kommissar gebracht. Man wird reifer mit der Zeit«, erwiderte er humorvoll.
Leslie lächelte. »Sie sind aufmunternd«, sagte sie, und dann dachte sie daran, daß er auch einiges durchgemacht hatte. Ganz sicher war er sehr glücklich mit seiner Frau gewesen. Er war von diesem Typ Mann, der Geborgenheit und Sicherheit vermittelt und trotz seines harten Berufes gutmütig und gefühlvoll war.
Sie war nicht mal empört gewesen, als er sie aufsuchte und zuerst so gezielte Fragen stellte. Man mußte ja mißtrauisch werden unter solchen Umständen, denn in ihrer Aufregung um Denise hatte sie ganz vergessen, das Büro zu unterrichten, das sich im oberen Stockwerk des gleichen Hauses befand und selbstverständlich war man dort bestürzt gewesen, daß sie einfach gegangen war, obwohl dort nichts von Denises Verschwinden bekannt war.
Nun aber hatte sich alles aufgeklärt und Kommissar Röcks Vermutung hatte sogar gestimmt.
Sie dachte nun, da er sich verabschiedet hatte, noch über ihn nach.
Er mußte ein guter Vater sein, da er so genau wußte, was in einer Kinderseele vor sich gehen mochte. Allerdings durfte man auch nicht vergessen, daß sein Beruf Erkenntnisse von Gefahren brachte, die der Normalbürger doch nicht so realistisch sah.
Es war das erste Mal, daß Leslie mit der Polizei zu tun hatte, abgesehen von den Strafzetteln für falsches Parken. Zum ersten Mal hatte sie einen Beamten als Privatmann kennengelernt. Guter Gott, was hegte man doch oft Vorurteile! So manches hatte sie an diesem Tag auch wieder dazugelernt, auch daß es mehr hilfsbereite Menschen gab, als sie angenommen hatte.
Dr. Leitner zum Beispiel. Er hatte nicht viel gefragt. Und die Schwestern waren so nett und fürsorglich.
Leslie dachte an ihr Baby und glitt ganz plötzlich in einen Zustand der Schwerelosigkeit, die wohl auf die Infusion zurückzuführen war, die man ihr gegeben hatte.
*
Als Denise am nächsten Morgen erwachte, es war schon zehn Uhr und Dr. Norden längst in der Praxis, konnte sie sich nicht gleich erinnern, was geschehen war. Sie lag in einem fremden Zimmer, in einem fremden Bett, und ihr kleines Herz begann angstvoll zu klopfen, bis die Erinnerung dann doch kam.
Heiße Glut schoß ihr in die Wangen, als Fee durch die Tür schaute. Mit beiden Beinen sprang sie aus dem Bett.
»Ich habe geschlafen«, sagte sie stockend. »Wie spät ist es?«
»Noch nicht so spät«, sagte Fee, »doch schon ein neuer Tag.«
Es klang verheißungsvoll: ein neuer Tag, aber für Denise war die Erinnerung an den vergangenen Tag wieder gegenwärtig. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und so sagte Fee schnell: »Ich habe schon mit deiner Mami telefoniert. Ich bringe dich nachher nach Hause, wenn du gefrühstückt hast.«
»Ist das wahr, was Dr. Norden mir gestern erzählt hat?« fragte Denise.
»Du meinst das mit Leslie?«
Denise nickte. Fee nahm ihre kleine Hand. »Ja, das ist alles wahr.«
»Und warum haben Mami und Papi nichts davon erzählt?« fragte sie.
»Sie meinten wohl, daß du es nicht verstehen würdest, daß Leslie nicht verheiratet ist.«
»Das gibt es doch aber oft, daß Mütter nicht verheiratet sind«, sagte Denise verwundert. »In meiner Klasse sind zwei Kinder, deren Mütter auch keinen Mann haben, und die eine ist sogar eine ganz berühmte Sängerin.«
»Und du bist ein sehr vernünftiges Mädchen, Denni«, sagte Fee. »Deine Mami hat den Fehler gemacht, dich noch nicht für so vernünftig zu halten, und du hast den Fehler gemacht, sie nicht einfach zu fragen, was nun eigentlich zwischen Leslie und deinem Papi ist.«
»Ich habe mich nicht getraut. Ich hatte solche Angst, daß sie auseinandergehen und daß Papi Leslies Baby lieber hat als mich. So vernünftig bin ich halt doch nicht, Frau Norden.«
Es war rührend. Fee nahm sie zärtlich in die Arme. »Auch Erwachsene machen sich manchmal so dumme Gedanken, Denni«, sagte sie, »und deshalb kommt es oft zu Konflikten, die dann in Streit ausarten. Anstatt sich auszusprechen, redet man aneinander vorbei. Aber bei euch war es doch nicht so, und nun wird es auch solch Schweigen hoffentlich nicht wieder geben. Mein Mann hat sich große Sorgen um dich gemacht, weil er sich gar nicht erklären konnte, warum du so verändert bist.«
»Es war sehr dumm von mir, ich sehe es ein«, sagte Denise. »Hoffentlich sind Mami und Papi mir nicht mehr zu böse.«
»Sie sind überhaupt nicht böse. Sie sind froh, daß dir nichts geschehen ist. Aber du darfst ruhig darüber nachdenken, was dir hätte geschehen können und was man so alles denkt, wenn man nicht weiß, warum ein Kind ausgerissen ist. Wir fürchteten, daß du entführt worden sein könntest.«
»Warum denn?« fragte Denise naiv.
»Um Geld zu erpressen.«
Denise senkte den Kopf. »Ich hatte bloß Angst vor einem richtigen Verbrecher«, sagte sie leise. »Ja, da hatte ich wirklich Angst, als es so dunkel wurde, aber ich habe auch gedacht, daß Mami und Papi Angst um mich haben und deshalb wieder beisammenbleiben.«
»Sie wollten sich niemals trennen, Denni«, sagte Fee. »Sie wollten Leslie nur helfen. Findest du das nicht gut?«
»Doch, schon, aber wenn sie mir alles gesagt hätten, dann wäre ich auch lieb zu Leslie gewesen«, sagte Denise. »Wenn es so ist, kann sie meinetwegen