Ausgewählte historische Romane. Levin Schucking

Ausgewählte historische Romane - Levin  Schucking


Скачать книгу
stand einen Augenblick, wie sich besinnend, was zu tun. Dann legte er plötzlich den Finger auf den Mund und flüsterte, zu Traudchen sich niederbeugend: »Mir ist, als hörte ich reden ... Pst ... hören Sie nichts?«

      Traudchen antwortete nicht – aber sie wies mit ihrem Zeigefinger über Huberts Kopf fort in die Höhe.

      Hubert folgte mit den Augen der Richtung, in welcher sie deutete, die Treppe hinauf. Dann schlug er rasch einen Mantelzipfel um die Laterne, und nun wurde bei der um die jungen Leute entstehenden Dunkelheit doppelt sichtbar, was Traudchen eben bemerkt und worauf sie gedeutet hatte.

      Es drang ein schwacher Lichtschimmer von oben her die Wendelstiege herab. Der Schimmer lag bleich und dämmerig auf der Mauerfläche, die über der nächsten Wendung der Treppe sichtbar war.

      Hubert drang jetzt, ohne sich lange zu besinnen, keck vorwärts, weiter hinauf, Traudchen aber überkam eine unwillkürliche Angst. Sie blieb wie gefesselt stehen.

      Nach einer Pause, während deren das junge Mädchen die Schläge ihres eigenen Herzens hatte vernehmen können, erschien Hubert zurückkommend, oben auf der Treppe wieder – er winkte heftig mit der Hand. »Folgen Sie mir doch, kommen Sie, Traudchen – nur kühn vorwärts – kommen Sie rasch!« flüsterte er hinab.

      Traudchen ermannte sich und stieg empor. Nachdem die Treppe noch eine Wendung gemacht, zeigte sich dem jungen Mädchen eine kleine Fensteröffnung, die etwa anderthalb Fuß im Gevierte haben mochte und durch welche heller Lichtschein fiel. Das Fenster gingen das Innere des Hauses hinein.

      Hubert deutete Traudchen an, ihr Gesicht dem Fenster nahe zu bringen, und indem die letztere sich auf den Zehen erhob, gelang es ihr, in den Raum zu blicken, aus welchen der Lichtschein hervordrang. Sie zog sogleich das Gesicht wieder von den Scheiben zurück, um mit der Miene der äußersten Überraschung Hubert anzublicken.

      Dieser legte den Finger auf den Mund und brachte zu gleicher Zeit sein Ohr der Decke des Fensterchens nahe, wo eine der kleinen bleigefaßten Scheiben zerbrochen und ausgefallen war.

      Jungfer Traud dagegen war noch ganz Auge. Sie blickte mit weit aufgerissenen Lidern in ein Gemach von mittlerer Größe, das viel wohnlicher eingerichtet war, als der Zustand des übrigen Gebäudes es erwarten ließ. Den Boden bedeckte ein Teppich, die Wände, bis zur halben Höhe mit Holz getäfelt, zeigten oben blanken weißen Estrich, mit dem sie bis an das Gesimse belegt waren, und am oberen Ende, wo ein kleiner französischer Kamin sich befand, flackerte ein lustiges Holzfeuer, das einen hellen Schein in den Raum warf. Auf einem runden, dem Kamin nahegerückten Tische standen außerdem zwei altfränkische gewundene Leuchter mit brennenden Wachslichtern. Auf den Stühlen mit hohen Rückenlehnen von Rohrgeflecht, die sich an den Wanden zeigten, lagen Kleidungsstücke und allerlei Gegenstände, wie sie Personen um sich verbreiten, die eben von einer Reise einkehren und nun mit Mänteln, Hüten, Fußsäcken und Etuis die Räume füllen, welche sie betreten.

      Vor den tiefen Fensternischen zeigten sich dicht zusammengezogene Vorhänge von schwerem Stoffe.

      Vor dem flammenden Kamin aber saßen zwei Gestalten, in lebhafter Unterredung begriffen.

      Die eine der beiden Gestatten war eine Dame, die nachlässig auf der Hälfte eines Kanapees ruhte, welches, um einen fehlenden bequemen Fauteuil zu ersetzen, zwischen dem runden Tische und der Kammecke dem Feuer nahegerückt war.

      Ihr gegenüber an der andern Seite des Feuers, auf einem der Stühle mit den hohen Rückenlehnen, saß ein Mann, der seine Füße in bequemer Lage dem wärmenden Scheine der Flammen entgegenstreckte.

      Die Dame stand in reiferm Alter; ihr Gesicht hatte ernste, scharf ausgeprägte Züge, in denen sich mehr Klugheit und Entschlossenheit als Wohlwollen und weibliche Milde spiegelten. Die hohe Stirn war stark gerundet, die Nase gebogen, und so bildete das Profil eine Linie, die dem Segment eines Kreises zu nahe kam, als daß diese Frau je hatte von großer Schönheit sein können. Und doch hatte ihr Antlitz etwas Edles, Vornehmes, und ihre ruhige, selbstbewußte Haltung, ihre Bewegungen erhöhten diesen Eindruck. Obwohl, ihr Gesicht und ihre Haltung nichts von Spuren des Alters verrieten, zeigten doch ein paar grauschimmernde Locken, welche unter einer kleinen, mit Spitzen besetzten Haube hervortraten, daß sie über die Mittagshöhe des Lebens weit hinaus sei und an der Schwelle des Alters stehe.

      Sie war in eine Robe von schwarzer Seide gekleidet, über welcher sie einen dunkeln, mit braunem Pelz besäumten Überwurf trug, dessen weite Ärmel von den Ellenbogen an den Unterarm freiließen.

      Der Herr ihr gegenüber wandte den lauschenden jungen Leuten den Rücken zu. Sie konnten nur aus seiner kräftigen und in den Schultern breiten Gestalt schließen, daß auch er in reifem Jahren stehe. Er trug ein dunkelgrünes Kleid, über dessen Kragen ein starker Zopf niederhing; zu seiner Rechten auf dem Tische lag ein Hirschfänger mit breiter Koppel und ein dreieckiger, mit schmaler Goldborte besetzter Hut.

      Während Jungfer Traud mit ihren weit aufgerissenen Augen diese Beobachtungen machte, horchte Hubert Bender voll Spannung auf die Worte, welche die beiden fremden Menschen vor dem Kamin miteinander sprachen.

      »Davon kein Wort mehr, Gebharde!« sagte der Mann vor dem Kamin mit einer volltönenden, etwas rauhen Stimme, die durch Anstrengungen in Wind und Wetter von ihrem ursprünglichen Metall verloren zu haben schien, und mit einem etwas fremdländisch klingenden Akzent. »Davon kein Wort mehr! Als Capitaine des chasses zu Chantilly konnte ich dieses vermaledeite Frankreich erträglich finden. Seitdem aber der Herzog von Condé zum Teufel gejagt, Chantilly geplündert und meine Kapitanerie wie jede andere vernünftige Einrichtung, die den Pöbel in seinen Schranken hielt, von der Kanaille über den Haufen gestürzt ist, sprich mir von keiner Rückkehr dahin! Ich sage dir, das ganze schöne Frankreich ist ein Tollhaus geworden, in welchem die Narren frei find und die Vernünftigen zu Tode hetzen, die sich nicht haben beizeiten retten können. Ich gehe nicht dahin zurück.«

      Die Dame antwortete etwas, das nicht laut genug gesprochen wurde, um es verstehen zu können.

      »Sie überschätzen meinen Einfluß, Wilbrand,« sagte die Dame dann nach einer Pause.

      »Aber der Tolle ...«

      »Der Tolle haßt mich, weil ich zwischen ihn und eins seiner Opfer getreten bin.«

      »So tritt zurück aus dieser gefährlichen Position, und bedinge dir dabei aus, daß er dir deinen Willen tue.«

      Die Dame stützte ihre Stirn auf ihre Hand, so daß ihre grauen Locken über ihre Weißen schmalen Finger niederfielen; so blickte sie eine Zeitlang nachdenklich in die Flammen des Kamins.

      »Es wäre ein Seelenverkauf!« sagte sie endlich.

      Der Mann ihr gegenüber zuckte die Achseln.

      »Ah bah! Lassen wir es. Ich werde nach zwei oder drei Wochen mich dem Tollen vorstellen, und du wirst dann alles geordnet haben«, sagte er mit großer Bestimmtheit.

      »Es ist auch nicht das allein,« fuhr die Dame mit einem Seufzer fort, »es ängstigt mich der Gedanke ...«

      »Doch nicht etwa, daß man mich erkennen könnte?«

      »Und wenn es so wäre?«

      »Torheit! Die Zeit, das Leben und meine Schramme haben mich vollständig verwandelt. Und wieviel lebt denn noch von meinen alten Kumpanen und Bekannten dort? Es werden ihrer verzweifelt wenig sein! Dem alten Stier, dem Eggenrode kann ich aus dem Wege gehen. – – Der Gedanke, daß man mich erkennen könnte, ist es auch eigentlich nicht, was dich ängstigt«, fuhr der Mann nach einer Pause fort. »Es ist etwas anderes!«

      »Und was sollte es sein?« fragte sie mit resigniertem Tone.

      »Der Gedanke, mich in deiner Nähe zu wissen.«

      Sie antwortete nicht.

      »Gestehe, Gebharde, ist es nicht das?«

      »Wenn es Ihnen Vergnügen macht, es zu hören – nun ja, allerdings.«

      Der Mann legte die Arme auf der Brust übereinander, streckte behaglich noch weiter seine Füße aus und versetzte: »Ich kann es dir einmal nicht ersparen. Also mache


Скачать книгу