Ausgewählte historische Romane. Levin Schucking

Ausgewählte historische Romane - Levin  Schucking


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es beleuchtete keinen andern Gegenstand in dem düstern Räume als die Vorräte, Kisten und Geräte des Ohms Gymnich. Traudchen arbeitete sich darüber fort, bis an die Tür in der Ecke, die in den Turm hinaufführte. Diese Tür war jetzt verschlossen. Es war von innen der Riegel vorgeschoben. Traudchen versuchte ihn zu heben, wie es früher nach ihrer Anweisung Hubert gemacht; der Riegel leistete Widerstand; er mußte jetzt von innen irgendwie festgemacht sein. Traudchen legte nun das Ohr an die Tür; sie hörte oben im Turm noch eine Tür sich bewegen; dann hörte sie nichts mehr. Aber wie sie so lauschend den Kopf gesenkt dastand, erblickte sie etwas, das sie mit dem höchsten Schrecken erfüllte. Es war Blut. Eine Blutlache stand auf der untersten, in den Kellerraum vorspringenden steinernen Stufe der Wendeltreppe.

      Traudchen zitterte an allen Gliedern. Was war das? Hatten sie ihn ermordet?!

      Sie stand und stand, und wußte vor Schrecken und fürchterlicher Angst nicht zu Gedanken und Überlegung zu kommen. Was sollte sie tun, was beginnen? Zu den Nachbarn laufen und Lärm schlagen und die Menschen auffordern, mit Gewalt in das alte Haus einzudringen? . .. sollte sie davonstürzen und den Ohm im Weinhause aufsuchen und ihn zu Hilfe rufen für den Studenten? ... Sie konnte sicher sein, den Ohm jetzt trunken zu finden, und wenn sie ihm gestand, was sie mit dem Studenten zusammen gewagt, dann war sie vor Mißhandlungen nicht sicher. So entschloß sie sich für das erstere; sie stürzte davon und gedachte den ersten besten Nachbar herbeizurufen. Als sie so atemlos dahinflog und eben den Torbogen des Vorbaues erreicht hatte, öffnete sich von außen, von dem Platze her, das Einlaßtürchen, und eine Gestalt im Mantel, eine Laterne in der Hand, trat ein.

      »Der Ohm!« schrie Traudchen auf, »um Gottes willen, Ohm Gymnich ...«

      Der Mann hob seine Laterne empor, und sie dicht bis vor das Gesicht des jungen Mädchens bringend, das in allen Zügen Entsetzen ausdrückte, sagte er mit einer Zunge, die entweder von Natur oder unter dem Einflüsse jener Stoffe, welche mehr zur Erhöhung der Gesichtsfarbe als der Besonnenheit beizutragen Pflegen, etwas schwer Lallendes hatte:

      »Traud ... wat eß ...?«

      Traudchen erfaßte krampfhaft den Arm ihres Oheims und überschüttete ihn mit einer Mitteilung, welche der Alte, sie mit stieren, beinahe verglasten Augen anstarrend, vernahm.

      »Ohm, wenn Ihr nicht sogleich geht und dem jungen Menschen helft,« sagte sie entschlossen, »so laufe ich und rufe die Nachbarn herbei.«

      Ohm Gymnich sah sie zuerst wieder stier, wie verwundert an; dann brach er plötzlich in eine Flut von Flüchen aus; aber er ging in seine Schlafkammer, öffnete dort das Schlüsselspind, und nachdem er mit einem Bunde rasselnder alter Schlüssel zurückgekommen war, ergriff er seine Laterne, welche noch brennend dastand. Dann verließ er seine Wohnung und ging quer über den Hof, dem Holzschuppen zu ...

      Jungfer Traud hat uns früher gesagt daß der Ohm von dort aus in das alte Haus einzudringen pflegte, wenn er nach langen Zeitabschnitten es einmal betrat. Sie wollte ihm folgen, aber mit einer gebieterischen drohenden Bewegung befahl er ihr, zurückzubleiben.

      Drittes Kapitel

       Jungfer Traud

       Inhaltsverzeichnis

      Trotz des Befehls, in der Stube zurückzubleiben, hielt Traudchen es zwischen den engen vier Wänden natürlich nicht aus. Sie folgte dem Ohm leise bis auf den Hof. Zehn Minuten, vielleicht noch mehr mochten vergehen. Auf den Stadttürmen schlug es halb zehn. Aus dem Hintergrunde des Holzstalles blitzte ein Lichtschein auf; es war der Ohm, der zurückkam.

      »Um Gottes willen, was habt Ihr gesehen, Ohm?« sagte sie, zitternd vor Spannung.

      »Blohß de Lantän' uus!« versetzte der Ohm. »Gangk noh'm Bett. – Kömmer dich nicht drömm; ich sagen deer, et eß dien Unglöck, wann do e Woht dervun sprichs!«

      Ohm Gymnich sprach diese Worte nicht mehr in zornigem, kreischendem Tone wie vorher, sondern ruhig, halblaut. Seine Trunkenheit war mit einem Male verschwunden. Das braune, wettergepeitschte Gesicht zeigte viel mehr Spuren der Betroffenheit und Niedergeschlagenheit als des Zorns. Er nahm ein großes zerlesenes Buch, ein Leben der Heiligen, von der Fensterbank und schlug es vor sich auf; aber Traudchen bemerkte nicht, daß er die Blätter umwandte; er stierte darauf hin, offenbar mit andern Gedanken beschäftigt.

      Das junge Mädchen wußte nicht, was beginnen. Die Ruhe des Alten brachte sie zur Verzweiflung. Sie versuchte nach einer Weile, unbeachtet wieder hinauszuschlüpfen. Der Ohm bemerkte es jedoch und rief sie zurück.

      »Aber Ohm, so sprecht doch, so tut doch Euern Mund auf ... Was haben sie angefangen mit dem Studenten?«

      »Geiht et dich jet an?«

      »Sie haben ihn totgemacht!« schrie sie in ihrer Seelenangst auf, ohne ihre Stimme im mindesten zu dämpfen.

      »Dhudt! Mer mäht ene Minsch nit esu bahl dhudt! Wat hät dä Lotterbov en dem ahlen Huus zu dhunn gehat? Wat hät hä sich enzoschliche we 'nen Deev, dä Cujon?«

      Mit solchen Reden war Traudchen freilich nicht beschwichtigt, aber es gelang ihr nun einmal nicht, dem alten tückischen Manne mehr abzugewinnen. Sie mußte sich endlich zur Ruhe legen, ohne auch nur durch eine Silbe weiter von ihm beruhigt zu werden, und mußte noch obendrein ihrem Schöpfer danken, daß des Oheims Zorn sich nicht in hellen Wogen über sie ergoß, obwohl dies wieder ein neuer Grund der Angst für sie wurde. Hatte das, was er drinnen gehört oder gesehen, ihn so erschüttert, daß er darüber seinen Zorn gegen sie vergessen? Mußte es nicht etwas Fürchterliches sein, was ihn sofort nüchtern gemacht? Über was brütete er, daß er gar kein Verhör mit ihr anstellte, wie denn alles gekommen? – Daß Traudchen über alledem die ganze Nacht schlaflos zubrachte, brauchen wir nicht zu erwähnen. Mit dem frühesten war sie am andern Morgen wieder auf. Der Ohm schlief noch ... sie öffnete sacht die Tür zu seiner Kammer und überzeugte sich, daß er wirklich ruhig schnarchte. Sie machte ein absichtliches Geräusch, um ihn zu wecken. Sie wollte sein Ausgehen beschleunigen. Nach dem Frühstück ging der Alte zu einer Cichorienfabrik im Ferkulum, wo er die zahlreichen Mußestunden, die ihm sein Hausmeisteramt übrigließ, durch Teilnahme an dem Geschäft als eine Art Magazinverwalter verwertete. Gegen neun Uhr sah Traudchen ihn denn auch wie immer, in seinen Mantel gehüllt, richtig abziehen. Darauf nur hatte sie gewartet, um nun ihre weiteren Nachforschungen zu beginnen. Sie eilte in den hintern Hof zu den alten verfallenen Stallungen und Nebengebäuden, ob sich Hubert Bender dahin vielleicht gerettet. Aber sie waren verschlossen wie immer, der feuchte Boden vor denselben zeigte keine Spuren von Fußstapfen. In dem Raume unten im Treppenturme konnte sie dann mit Muße die große, jetzt schwarz geronnene Blutlache betrachten. Noch einmal versuchte sie die ins Innere führende Tür zu öffnen, aber vergeblich; auch als Traudchen unten, wo die Tür etwas aufklaffte, den Stiel eines von den alten Gartengeräten einschob und damit die Tür aufzusprengen versuchte, leistete diese hartnäckigen Widerstand. Dabei kam ihr der Gedanke, daß es noch einen Zugang zu dem geheimnisvollen Hause gebe. Er lag seitwärts an einer der nach dem Georgsplatz führenden Gassen. Zwei Häuser standen dort, die, mit den Hinterseiten an den alten Bau stoßend, ein ganz schmales Gäßchen zwischen sich freiließen. Das Gäßchen aber war mit einer Holzplanke, die nie geöffnet wurde, verschlossen. Doch eilte Traudchen dorthin. Sie fand, wie sie erwartet hatte, von dem verwitterten alten Brett den Zugang zum Gäßchen gesperrt. Durch eine Ritze an der Seite konnte sie jedoch wahrnehmen, daß der Gang, der eigentlich nur eine Gasse zwischen den beiden Häusern war, auf eine kleine spitzbogige Tür zulief, die in das Gebäude, in welches sie so gern eingedrungen wäre, führte. Draußen, da, wo sie jetzt spähend stand, befanden sich, dem Schmutze der Straße eingedrückt, Fußstapfen, auch Wagenspuren genug. Sie konnten aber von den Vorübergehenden, die an den vergleichungsweise trocknern Seiten der Straße ihren Weg gesucht hatten, gemacht sein. Im Innern der schmalen Gasse, die gepflastert war, suchte Traudchen vergeblich Fußstapfen zu erspähen. Nun wäre sie gern zu dem Hause gegangen, in welchem, wie sie wußte, Hubert Bender wohnte. Sie dürstete nach der Gewißheit, daß er nicht heimgekommen. Aber eine eigentümliche Scheu hielt sie ab. Es war ihr, als würde man den unglücklichen jungen Mann von ihr verlangen, als würde


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