Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling

Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke - Eduard von  Keyserling


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mit den Metz­ger­bur­schen. Oh, und dann Wau­mer! Ein präch­ti­ger Mensch. Was für Arme der hat! Den Arm­bre­chen zu se­hen, ist der höchs­te Ge­nuss.«

      »Gut, gut! Sie füh­ren mich hin. Gott, was fängt man sonst an!« Am­bro­si­us gähn­te laut und streck­te sich.

      »Wir ha­ben auch einen Na­men für un­ser Kränz­chen«, fuhr Lurch eif­rig fort.

      »Nun?«

      »Gers­ten-Saft-Strauß. Ist das nicht ein­zig? Ein Strauß aus Gers­ten­saft. Wir sind die Blu­men. Das hat sich Silt er­dacht; wer wäre sonst dar­auf ge­kom­men! Köst­lich!«

      »Al­ler­dings!« mein­te Am­bro­si­us. »Ori­gi­nell – hm – al­ler­dings.«

      Eine Pau­se trat ein, die nur zu­wei­len von ei­nem ge­walt­sam auf­pras­seln­den La­chen un­ter­bro­chen ward, ge­gen das Lurch ver­ge­bens an­kämpf­te. Röt­li­che, schrä­ge Son­nen­strah­len dran­gen durch die Fens­ter­schei­ben und fie­len auf ein großes Be­hält­nis voll ge­dörr­ter Fi­sche, lie­ßen die­sel­ben wie bräun­li­che Gold­bar­ren er­glän­zen und leg­ten um die klei­nen to­ten Köp­fe win­zi­ge Hei­li­gen­schei­ne. Am­bro­si­us fand das poe­tisch und be­merk­te: »Se­hen Sie, Lurch, ganz al­ler­liebst –«

      »Ja! Ström­lin­ge«, er­wi­der­te Lurch.

      Am­bro­si­us zuck­te die Ach­seln. Er fand, dass es sei­nem Kol­le­gen an Schön­heits­sinn ge­brach, dann sag­te er plötz­lich: »Und Sal­ly, was hal­ten Sie von Sal­ly?«

      Lurch ward ver­wirrt und mur­mel­te: »Sehr hübsch – ge­wiss – sehr hübsch –«

      »Sie schielt?«

      »Nein, o nein!« rief Lurch in großer Auf­re­gung. »Ich habe das nicht be­merkt. Nein, ich glau­be es nicht, dass sie schielt. –«

      »Hm«, mein­te Am­bro­si­us. »Aber die Freun­din?«

      »Fräu­lein Rosa?« Bei die­sem Na­men ward Lurchs ar­mes gel­bes Ge­sicht ganz rot. »Fräu­lein Rosa ist sehr hübsch – sehr.«

      Am­bro­si­us blick­te ihn spöt­tisch an. »Kommt sie zu­wei­len zu Ih­nen?«

      »Zu­wei­len, doch nicht zu mir. Sie be­sucht Fräu­lein Sal­ly – dann ist Fräu­lein Sal­ly zu­wei­len nicht hier – dann war­tet Fräu­lein Rosa zu­wei­len im La­den.«

      »Ver­liebt?«

      »Nein, Herr von Tel­le­r­at! Gott, nein! Sie nimmt wohl hin und wie­der ei­ni­ge Ko­rin­then, aber das ist doch nicht Lie­be.«

      »Ich mein­te auch nicht, dass sie Sie liebt –«

      Lurch lach­te ge­zwun­gen. »Das konn­ten sie na­tür­lich nicht mei­nen. Nein! Ei­ni­ge Ko­rin­then – wei­ter ist’s nichts.«

      Am­bro­si­us dach­te nach, und zwar sehr tief, denn er leg­te sich mit dem Bauch über den La­den­tisch und stütz­te den Kopf in die Hän­de. Was war es denn mit die­sem Mäd­chen? Es war hübsch, es war blond – und blond muss­te nach sei­ner An­sicht ein Mäd­chen sein. Soll­te er sich ver­lie­ben? Wäre Rosa Herz der ge­eig­ne­te Ge­gen­stand? Es woll­te ihm so schei­nen, und er be­schloss, Rosa Herz zu lie­ben. Er seufz­te; das war der An­fang der Lie­be; dann rich­te­te er sich auf, schau­te Lurch mit­lei­dig an und sag­te ge­fühl­voll: »Ja, hm – ein al­ler­liebs­tes asch­blon­des En­gel­köpf­chen.«

      Der lau­te Ton von Kir­chen­glo­cken er­scholl.

      »Was gibt es?« frag­te Am­bro­si­us.

      »Abend­got­tes­dienst«, er­wi­der­te Lurch. »Heu­te ist Mitt­woch!«

      »Ah! Sal­ly woll­te hin­ge­hen.«

      »Ja, Fräu­lein Sal­ly ist fromm. Über­haupt die gan­ze Fa­mi­lie ist fromm«, be­merk­te Lurch und lä­chel­te.

      »Ich gehe auch hin«, be­schloss Am­bro­si­us und eil­te fort. In der Türe wand­te er sich noch ein­mal um und sag­te: »Zum Scherz – wis­sen Sie.«

      Die Kir­chen­glo­cken rie­fen laut und un­ge­dul­dig durch die Gas­sen. Aus al­len Häu­sern ström­ten Leu­te her­vor – has­tig – als fürch­te­ten sie, ge­schol­ten zu wer­den, wenn sie säum­ten. Sie knüpf­ten ihre Hut­bän­der oder zo­gen ihre Hand­schu­he erst auf der Stra­ße an und eil­ten der Kir­che zu. Nur ei­ni­ge Kom­mis und Schü­ler blie­ben sorg­los ste­hen, rück­ten ihre Müt­zen schief, steck­ten ihre Hän­de in die Ho­sen­ta­schen und pfif­fen, als woll­ten sie zei­gen, dass sie vom Kir­chen­ge­hen nichts hiel­ten.

      Die Räu­me der klei­nen Kir­che wa­ren ganz von Gläu­bi­gen er­füllt. Als Am­bro­si­us hin­ein­trat, stimm­te die Or­gel ein Lied an. Ein Chor dün­ner Frau­en­stim­men fiel ein und sand­te lang­ge­zo­ge­ne an­däch­ti­ge No­ten zur Wöl­bung auf. Der Al­tar war mit ei­ner rein­li­chen wei­ßen Mus­se­lin­de­cke und zwei As­t­ern­sträu­ßen ge­schmückt. Über ihm er­hob sich ein ho­hes Öl­ge­mäl­de, Chris­tus am Kreuz dar­stel­lend. Da das Kreuz und der Hin­ter­grund die­sel­be Far­be hat­ten, so mach­te der dür­re gel­be Leib des Er­lö­sers, ein­sam und tot im Lee­ren hän­gend, einen selt­sam düs­te­ren Ein­druck. Vor dem Al­tar stand der Pfar­rer, eine re­gungs­lo­se schwar­ze Ge­stalt.

      Am­bro­si­us lehn­te an ei­nem Kir­chen­stuhl und blick­te for­schend um sich. Ne­ben ihm saß eine alte Dame in ei­nem glän­zen­den At­las­man­tel und mit ei­nem großen Hut, über­deckt von ro­ten Sta­chel­bee­ren. Sie sah Am­bro­si­us streng und miss­bil­li­gend an, leg­te ihr Ta­schen­tuch auf das Pult des Kir­chen­stuhls, die Füße auf die Fuß­bank, rück­te an ih­rem Son­nen­schirm, der an ei­nem Na­gel un­ter­halb des Pul­tes hing, als woll­te sie be­wei­sen, dass sie all die­se Vor­keh­run­gen ken­ne und sich hier si­cher und wie zu Hau­se füh­le. – Rosa und Sal­ly sa­ßen nicht weit von Am­bro­si­us ne­ben­ein­an­der. Bei­de hat­ten ihn be­merkt. Sal­ly sand­te ihm einen lan­gen, erns­ten Blick zu, dann warf sie sich in plötz­li­cher Zer­knir­schung auf die Knie, barg ihr Ge­sicht in ihre Hän­de, ver­harr­te eine Wei­le in die­ser Stel­lung und rich­te­te sich mit schmerz­vol­ler Mie­ne auf, als habe sie einen ar­gen See­len­kampf be­stan­den. Rosa be­nahm sich leicht­fer­ti­ger. Sie blick­te oft zu Am­bro­si­us hin­über, lä­chel­te ein­mal ganz un­ver­hoh­len, strich sich die Löck­chen aus der Stirn, beug­te sich an das Ohr ih­rer Freun­din und flüs­ter­te ihr et­was zu, er­hielt je­doch nur einen stra­fen­den Blick.

      Der Ge­sang ver­stumm­te.

      Al­ler Au­gen rich­te­ten sich auf den Pfar­rer, der ru­hig da­stand und em­por­blick­te. Als er je­doch mit ei­nem lau­ten »O Herr!« be­gann, schi­en es un­er­war­tet zu sein, denn die alte Dame zuck­te er­schro­cken mit den Schul­tern. Jetzt wa­ren die tie­fe Stim­me des Geist­li­chen und ein be­stän­di­ges Hüs­teln, das die Run­de durch die Ge­stüh­le mach­te, die ein­zi­gen Lau­te im Raum. Blät­ter­schat­ten fuh­ren über den Estrich. Son­nen­strah­len spiel­ten an den Wän­den und über­gol­de­ten zu­wei­len jäh das an­däch­ti­ge, fal­ti­ge Ge­sicht ei­ner al­ten Frau. Am­bro­si­us gab sich wil­lig der ru­hi­gen, be­hag­li­chen Stim­mung hin, in der all die­se Men­schen ein­träch­tig bei­ein­an­der­sa­ßen, wie eine große Fa­mi­lie in ei­nem al­ten Fa­mi­li­en­zim­mer. Bei sei­ner Vor­lie­be für ab­ge­grif­fe­ne Wor­te nann­te er das »idyl­lisch«. Eine flüch­ti­ge Auf­merk­sam­keit schenk­te er auch der Pre­digt, die den Gang der zwei Jün­ger nach Em­maus


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