Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling

Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke - Eduard von  Keyserling


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un­ter­brach sie Hans, »ich sehe nicht ein, warum du dei­ne Ver­glei­che von dort her­nimmst, von dort spre­chen wir doch nicht.«

      »Nein, von dort spre­chen wir nicht«, wie­der­hol­te Dora­li­ce.

      Sie ka­men am Strand­wächt­er­häus­chen vor­über. Durch das ge­öff­ne­te Fens­ter scholl eine lau­te Män­ner­stim­me, und ihr ant­wor­te­te eine Frau­en­stim­me lei­den­schaft­lich und schel­tend. Un­ten am Stran­de stand der Ge­heim­rat Knos­pe­li­us, eine klei­ne, wun­der­lich ver­bo­ge­ne Ge­stalt, er stand so nah am Was­ser, dass sein un­förm­li­cher Schat­ten sich in den Wel­len ba­de­te. Als Hans und Dora­li­ce sich nä­her­ten, grüß­te er, zog sei­nen Pa­na­ma sehr tief ab, das graue Haar flat­ter­te im Win­de, er lä­chel­te und das re­gel­mä­ßi­ge, bart­lo­se Ge­sicht sah aus wie ein großes, blei­ches Kna­ben­ge­sicht. »Gu­ten Abend«, sag­te Hans. Der Ge­heim­rat lach­te laut­los in sich hin­ein und zeig­te mit ei­nem merk­wür­dig lan­gen, dün­nen Fin­ger zum Hau­se des Strand­wäch­ters hin­auf. »Die strei­ten wie­der«, be­merk­te Hans.

      »Dort ist im­mer re­ger Be­trieb«, er­wi­der­te der Ge­heim­rat ge­heim­nis­voll, »die ar­bei­ten am Le­ben, bis ih­nen die Au­gen zu­fal­len. So was höre ich gern.«

      »Ja, hm!« sag­te Hans, »gu­ten Abend«, und sie gin­gen wei­ter.

      »Was sag­te er?« frag­te Dora­li­ce ängst­lich. Hans zuck­te die Ach­seln. »Ver­rückt wahr­schein­lich. Sol­che klei­nen Un­ge­tü­me sind ge­wöhn­lich ein we­nig ver­rückt. Kennst du ihn denn?«

      Dora­li­ce dach­te nach. »Ge­wiss, ich ken­ne ihn. Ich er­in­ne­re mich, auf ei­ner großen Ge­sell­schaft war es, es war spät, alle wa­ren müde und war­te­ten auf die Wa­gen. Da saß plötz­lich die­ser klei­ne Mann ne­ben mir. Sei­ne Füße reich­ten nicht an den Fuß­bo­den, son­dern hin­gen wie bei Kin­dern frei vom Stuh­le her­un­ter. Er sah mir ganz frech in die Au­gen, wie man das sonst nicht tut, und sag­te: ›Es fällt mir auf, Frau Grä­fin, dass jetzt, wo alle schon schläf­rig sind, Ihre Au­gen noch so wach sind; die war­ten noch.‹ Ich mach­te wohl ein sehr dum­mes Ge­sicht und frag­te: ›Worauf?‹ Da lach­te er ganz so, wie er jetzt eben lach­te, und sag­te: ›Nun dar­auf, dass was ge­schieht, dass was kommt. O, die ge­ben nicht nach, die ste­hen auf ih­rem Pos­ten.‹ – Mir war das un­heim­lich, ich war froh, als in dem Au­gen­blick der Wa­gen ge­mel­det wur­de.«

      »Ich weiß nicht, was du noch im­mer an al­len die­sen Erin­ne­run­gen hast, er­quick­lich sind sie nicht«, ver­setz­te Hans ver­stimmt.

      »Was kann ich da­für«, ver­tei­dig­te sich Dora­li­ce, »ich habe doch noch kei­ne an­de­ren Erin­ne­run­gen, und dann, sie krie­chen ei­nem doch über­all nach. Da steht der Ge­heim­rat Knos­pe­li­us plötz­lich am Stran­de, drü­ben im Bul­len­krug zieht die Ge­ne­ra­lin von Pa­li­kow und die Baro­nin Butt­lär ein, auf Schritt und Tritt das alte Le­ben. Weißt du, was ich möch­te? Dort drü­ben über dem Meer müss­te man eine Hän­ge­mat­te auf­hän­gen kön­nen, ge­ra­de so hoch, dass die Wel­len sie nicht er­rei­chen, aber doch so, dass, wenn ich die Hand her­ab­hän­gen las­se, ich den Wel­len in die wei­ßen Bär­te fas­sen kann, und so, siehst du, könn­ten, glau­be ich, kei­ne Erin­ne­run­gen kom­men und kei­ne Knos­pe­li­us und Pa­li­kows könn­ten ei­nem be­geg­nen.«

      Hans blieb nach­denk­lich ste­hen: »Du«, sag­te er, »das wol­len wir ma­chen.« Er er­griff Dora­li­ce, leg­te sie auf sei­ne Arme: »Lieg«, rief er, »wie ein Kind auf den Ar­men des Pa­ten wäh­rend der Tau­fe«, und nun be­gann er lang­sam in das Meer hin­ein­zu­ge­hen. Re­gungs­los lag Dora­li­ce da und schau­te hin­auf in den Him­mel, der bleich von Mon­den­schein war. Das We­hen, das vom Mee­re kam, das Rau­schen un­ter ihr, das gol­de­ne Flie­ßen und Flim­mern rings­um­her, all das schi­en sie zu wie­gen und zu schau­keln, und dann war es ihr, als fie­le sie, fie­le sie in einen Ab­grund von Licht, das sie den­noch trug und hielt.

      »So, so, wei­ter, wei­ter, jetzt sind wir ganz bei ih­nen, mit­ten un­ter ih­nen, das dum­me Land ist fort.« Dora­li­ce sprach mit ei­ner Stim­me, wie Schla­fen­de es tun, lach­te ein lei­ses, ganz hel­les La­chen wie Kin­der, die auf ei­ner Schau­kel sit­zen. Sie ließ ihre Hand her­ab­hän­gen, griff in den Schaum der Wel­len, schnalz­te mit den Fin­gern, als woll­te sie klei­ne Hun­de sprin­gen las­sen. »Wie sie zu mir her­auf­wol­len«, rief sie, »kommt, kommt, nein, das ist zu hoch.« Hans stand bis über die Knie im Was­ser und lä­chel­te, das Ge­sicht rot vor An­stren­gung. Aber all­mäh­lich wur­de er müde, es war nicht leicht, si­cher im Was­ser zu ste­hen, und lang­sam zog er sich an das Ufer zu­rück. Mit ei­nem be­frie­dig­ten: »So, das war eine Leis­tung«, setz­te er Dora­li­ce auf den Sand zu­rück. Sie schwank­te ein we­nig auf ih­ren Fü­ßen wie be­rauscht, sie leg­te die Hand auf die Au­gen, al­les um sie her schi­en noch sacht zu schwan­ken. Sie muss­te sich an Hans an­leh­nen. »Du siehst«, sag­te sie, »ich ver­tra­ge dies dum­me Land nicht mehr.«

      »Das kommt noch«, mein­te er, »das Land wird uns jetzt sehr gut schme­cken. Eine war­me Stu­be und Rot­wein, ich bin nass und mich friert.« – »Ja, ge­hen wir«, sag­te Dora­li­ce klein­laut, »wir ge­hö­ren ja doch nicht zu de­nen dort. Aber wie stark du bist, dass du mich so hal­ten konn­test.«

      »Nicht wahr«, er­wi­der­te Hans stolz, »und weißt du, wie ich dich so hielt, wenn ich den­ke, das war ei­gent­lich sym­bo­lisch, mit­ten in den Wel­len, und ich hal­te dich.«

      Aber Dora­li­ce sag­te müde: »Ach nein, lass es lie­ber nicht sym­bo­lisch sein.«

      Hans schau­te sie ver­wun­dert an und mur­mel­te dann ein we­nig emp­find­lich: »Nun dann auch nicht.«

      Um den Hof des War­de­in­schen An­we­sens stan­den die nied­ri­gen stroh­ge­deck­ten Häu­ser, der Schup­pen, der Stall, der Spei­cher, in dem jetzt die Fa­mi­lie des Fi­schers wohn­te, und das Wohn­haus, das Hans Grill ge­mie­tet hat­te. Hier schi­en die Hit­ze des Ta­ges noch ein­ge­schlos­sen zu sein, die Luft war schwer von den Gerü­chen des Strohs, der an Schnü­ren trock­nen­den Fi­sche und feuch­ter Net­ze. Man hör­te durch die klei­nen ge­öff­ne­ten Fens­ter den Atem schla­fen­der Men­schen, ir­gend­wo schlug ein Hahn auf sei­ner Stan­ge mit den Flü­geln und im Schup­pen grunz­te ein Schwein im Traum. Und hier fiel von Dora­li­ce der Rausch der Wei­te und des Lich­tes ab, ganz jäh, es schmerz­te fast kör­per­lich, und als sie durch die Tür tra­ten, die so nied­rig war, dass Hans sich tief bücken muss­te, sag­te Dora­li­ce kla­gend: »So schlüp­fen wir denn auch in un­ser Loch.« – »Ja, ja«, mein­te Hans eif­rig, »das wird gut tun.« In dem klei­nen Wohn­zim­mer brann­te eine Pe­tro­le­um­lam­pe auf dem Tisch, und es fiel Dora­li­ce auf, wie häss­lich un­rein die­ses Licht war, mit welch schläf­ri­ger All­täg­lich­keit es den weiß­ge­tünch­ten Raum füll­te. Hans war ganz ge­schäf­tig. »Köst­lich, köst­lich«, sag­te er, »setz’ du dich dort in den Korb­stuhl, ich bin gleich wie­der da.« Er ver­schwand, kam dann in wei­chen Filz­schu­hen zu­rück, ging ab und zu, hol­te Glä­ser, den Rot­wein, schenk­te die Glä­ser voll, setz­te sich end­lich Dora­li­ce ge­gen­über an den Tisch, rieb sich die Hän­de und lach­te über das gan­ze Ge­sicht. Er sah sehr jung aus, das Ge­sicht von der Luft ge­rötet und der Bart und das kurz­ge­lock­te Haar ho­nig­gelb, die brau­nen Au­gen blin­zel­ten blank vor Freund­lich­keit. »Köst­lich«, wie­der­hol­te er, »das nen­ne ich eine Le­bens­la­ge, man sitzt so bei­ein­an­der und die Lam­pe brennt, man hat sei­nen Rot­wein und dazu sein wun­der­schö­nes Weib.«

      Dora­li­ce lehn­te sich in ih­ren


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