DAS RÄTSEL SALOMONS. Daphne Niko
dass die archäologische Grabung nicht betroffen war.
Lange Zeit stand er vor der heruntergebrannten Krankenstation und verdeutlichte sich die ganze Tragweite des Geschehens. Seine Crew war dezimiert worden. Zwei Menschen waren tot, etwa ein Dutzend verletzt und die meisten anderen waren zu verängstigt, um zurückzukommen. Dank der SMS, die Sarah ihm während seines Krankenhausaufenthaltes geschickt hatte, wusste er, dass sich vier der Männer am nächsten Tag zur Arbeit gemeldet hatten, als sei nichts geschehen.
Sie sind dem Projekt treu, hatte sie geschrieben. Dir treu.
Er begab sich zum Labor auf der anderen Seite des Lagers. Da es den Großteil der Artefakte und die Expeditionsrechner beheimatete, war es das stabilste Gebäude von allen, aus Betonblöcken gebaut und mit wasserdichtem Flachdach und einer dicken Stahltür, ohne Fenster.
Und selbst die war beinahe aufgebrochen worden. Dem Himmel sei Dank, Sarah, dachte er. Hätte sie den Eindringling nicht angegriffen, hätte er sich bestimmt Zutritt verschafft. Diese einzigartige Demonstration von Mut und Einsatz erinnerte ihn daran, warum er sie von Anfang an als Partnerin ausgewählt hatte.
Er klopfte schnellfeuerartig; Sarah würde dieses Klopfen erkennen. Innerhalb weniger Augenblicke öffnete sich die Tür einen Spalt breit. Sarah war wie ein Leuchtfeuer in einem Sturm. Er wollte sie so gerne festhalten, den Duft ihrer Haare einatmen, ihre Wärme spüren.
Lächelnd hielt sie ihm die Tür auf. Als er eintrat, huschte ihr Blick über seine Schulter nach draußen. Sie schloss die Tür und verriegelte sie zweifach.
Sie musterte ihn, und plötzlich war er sich seines Dreitagebarts und seiner Kleider, die er seit dem Tag des Feuers getragen hatte, überdeutlich bewusst. In diesem Augenblick realisierte er, dass sein schwarzes T-Shirt und seine Wüstentarnhose wie das Innere eines Schornsteins rochen.
»Sorry«, sagte er mit einem Schritt nach hinten. »Ich bin nicht gerade eine Augenweide.«
»Na ja, du erinnerst mich ein bisschen an eine Vogelscheuche. Aber ich freue mich trotzdem, dich zu sehen.«
Er versuchte sich an einem leichten Tonfall, obwohl ihm schwer ums Herz war. »Also, was ist hier so angesagt? Wo sind alle?«
»Alle heißt im Moment Abdullah, Abdul-Qadir, Rasul und Walid. Sie haben darauf bestanden, wieder zur Arbeit zu kommen. Walid ist in der Kantine und bereitet das Mittagessen zu. Die anderen drei sind bei der Grabstätte und räumen eine der Grabkammern frei.« Sie sah auf ihre Uhr. »Sie sollten in Kürze zurück sein.«
»Also wie gehabt.«
»Das würde ich nicht gerade sagen. Aber wir tun, was wir können, unter diesen Umständen.«
Er sah auf und seufzte hörbar.
»Es tut mir leid, Danny«, sagte sie leise. »Es tut mir so leid.«
Er blickte in ihre strahlend blauen Augen. »Ja, mir auch. Das ist ein gewaltiger Rückschlag.«
»Wir können uns neu organisieren. Ich habe mich schon nach einem Ersatzbus umgesehen, und ein Team von Bauarbeitern steht bereit …«
»Wir können gar nichts tun, bevor die Polizei nicht ihre Ermittlungen abgeschlossen hat. Wir sind in Saudi-Arabien. Das könnte Monate dauern.«
»Könnte sich nicht jemand von der König-Saud einschalten? Die Dinge beschleunigen?«
Er zuckte mit den Schultern. »Das wäre reine Glückssache. Außerdem kommen die meisten Arbeiter sowieso nicht zurück. Und nicht nur wegen des Feuers. Alle wissen, dass etwas in der Luft liegt. Es ist schwer, eine Nachricht wie die auf dem Boden zu ignorieren.«
Er ging zum Labortisch, wo Keramikfragmente und Flintspeerspitzen auf ihre Klassifizierung warteten. Er nahm ein besonders schönes Stück nabatäischer Töpferei in die Hand, das mit schwarzen Schnörkeln bemalt war, und hielt es gegen das Deckenlicht. Diese einzelne Scherbe verzierten antiken Tons, die vermutlich über Kanaan oder Moab hierher gekommen war, war der Beweis für die Lage al-Faus als Kreuzweg zwischen Norden und Süden.
Er dachte an die Schriftrolle. Genau wie die Töpferware und andere Gegenstände des Nordens hatte sie ihren Weg ins Leere Viertel gefunden, entweder durch Handel oder durch Zufall. Er konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass sie zusammen mit ihr auch einen antiken Konflikt ausgegraben hatten, dessen Beilegung sich nun direkt vor ihren Augen abspielte.
Sarah ging zu ihm. »Sag mir nicht, dass du darüber nachdenkst, die Arbeiten für diese Saison einzustellen.«
»Wir könnten dazu gezwungen sein, Sarah. Ohne Crew können wir nicht arbeiten.« Er legte die Tonscherbe nieder und betrachtete wehmütig die Sammlung von Artefakten. »Wir haben in den letzten sieben Jahren so viel an Boden gewonnen. Es wäre eine wahre Schande, jetzt aufzuhören.«
»Richtig. Aber jemand will, dass wir genau das tun.«
Daniel wandte sich ihr zu. Im Neonlicht glänzte Sarahs Haut wie Alabaster und ihre Augen erschienen ihm wie lapisblaue Seen. Herausforderung flackerte in ihrem Blick auf. Wenn er eines über Sarah Weston wusste, dann, dass sie sich keinem Unrecht beugen würde.
»Ich weiß, dass du sie nicht gewinnen lassen willst, Sarah, und das will ich auch nicht. Aber die Leute, die das getan haben, werden wieder zuschlagen. Da bin ich mir sicher.«
»Apropos Leute, die das getan haben … der Mann, den ich angegriffen habe, trug das offizielle Gewand hochgeborener Beduinen. Und er hatte einen gravierten Silberkhanjar bei sich.« Sie blickte fort. »Es könnte ein Juwel am Griff gewesen sein. Ich kann es nicht genau sagen.«
»Interessant. Normalerweise trägt der Amir einen schwarzen Redan und einen silbernen Khanjar. Oder sein ältester Sohn und Erbe.«
»Der Kerl war eher jünger. Ich nehme an, er ist Letzteres.«
»Wenn sie den Segen des Amirs haben, bedeutet das, dass sie ziemlich gut organisiert sind. Das könnte uns noch ziemlich zu schaffen machen.«
»Das sehe ich auch so. Ich habe einen Wachmann engagiert, der nachts das Lager im Auge behält. Ich dachte, ein bisschen zusätzliche Sicherheit könnte nicht schaden.«
Er nickte in Richtung des Tresors, in dem die mysteriöse Schriftrolle eingeschlossen war. »Am besten schicken wir das Ding zur Sicherheitsverwahrung nach Riad.«
»Nein. Ich bin noch nicht fertig damit.«
Er studierte ihre entschlossenen Züge. »Hast du was Neues?«
»Ja, tatsächlich. Komm und sieh es dir an.«
Er folgte ihr zum Computer, wo sie ein dreidimensionales Abbild der Schriftrolle untersuchte. Sie rief das Bild der Unterseite auf und zoomte auf einen schwachen Abdruck auf dem Pergament. »Ich arbeite schon seit Wochen daran. Tut mir leid, dass ich nichts gesagt habe. Ich wollte sichergehen, etwas in der Hand zu haben, bevor ich dir davon erzähle. Jetzt habe ich etwas.«
Er lehnte sich vor, um besser sehen zu können. »Sieht aus wie eine Art Schmutzfleck.«
»Das dachte ich zuerst auch. Aber sieh genauer hin. Der Abdruck ist auf der Mittelachse, ungefähr da, wo die Schriftrolle verschnürt war.« Sie zoomte noch näher. »Hier. Siehst du das?«
Am Rand befand sich ein weiterer, kaum merklicher Abdruck.
»Interessant. Ruf das Raster auf.«
»Hab ich schon.« Sie drückte auf die Tasten und legte ein Raster über das Bild der Schriftrolle. »Die beiden Abdrücke sind bündig. Und als Krönung …« Sie gab den Befehl ein, der das Aufrollen des Pergaments simulierte, und drehte das Bild dann um dreihundertsechzig Grad. »… haben wir das hier.«
In dieser dreidimensionalen Ansicht wurde deutlich, dass die beiden Abdrücke auf der Schriftrolle selbst einen einzelnen bildeten.
»Hast du die Kordel untersucht?«, fragte er.
»Ich hab sie unters Mikroskop gelegt, ja. Irgendwelche Partikel sind darauf, aber unsere Auflösung ist nicht hoch genug für eine vollständige Aufschlüsselung.