DAS RÄTSEL SALOMONS. Daphne Niko
Sarah stieg in den Siebzigerjahre-Vintage-Rover und nahm ihren Hut ab. »Schalt die Klimaanlage in diesem Ding an, ja?« Sie benutzte ihren versnobtesten englischen Akzent, um ihn zu amüsieren.
»Die ist an«, sagte er und zeigte auf die offenen Fenster und die Belüftungslöcher im Fußraum. »Nicht raffiniert genug für ein Mädchen, das Privatflugzeuge und Bentleys gewohnt ist, hm?«
Der Kommentar traf sie. Sie hatte ihre gesamte Karriere auf der Flucht vor dem Stigma des kleinen reichen Mädchens zugebracht und ihr Leben der Ausgrabungsarbeit gewidmet. Um sich den Respekt ihrer Kollegen zu verdienen und sich vom Mythos ihres Familiennamens abzuspalten, arbeitete sie härter, als sie musste.
Daniel wusste das – umso mehr erschien ihr seine Bemerkung wie ein Schlag ins Gesicht.
Sein heiterer Ausdruck verfinsterte sich. »Sarah, ich mach nur Spaß. Entspann dich.« Er schüttelte den Kopf und lachte leise. »Ihr Briten habt keinen Sinn für Humor.«
Vielleicht hatte er recht. In letzter Zeit nahm sie alles so ernst. Sie verlor kein Wort mehr darüber und brachte das Flüstern in ihrem Hinterkopf zum Schweigen.
Er öffnete seinen Titanlaptop und hämmerte auf die Tastatur ein, dann drehte er ihr den Bildschirm zu. »Hier. Sieh dir das an.«
Sie erkannte das vertraute Logo auf dem Cover des PDF-Dokuments: ein rotgerändertes weißes Rechteck mit dem Wort BETA darin. Ihr Missmut verflüchtigte sich und hinterließ das vortreffliche Gefühl der Vorfreude. »Der Bericht des Radiokarbonlabors. Endlich.«
»Mach ihn auf.«
Sie öffnete die erste Seite des Berichts über den menschlichen Oberarmknochen des amerikanischen Labors und klickte sich durch, bis sie die vertraute Abbildung der 14C-Aktivität der Probe fand. Zuerst überflog sie das Ergebnis, dann beugte sie sich über den Bildschirm, um sicherzustellen, dass sie richtig gelesen hatte.
Sie wandte sich Daniel zu. »Zweitausendneunhundert Jahre BP?« Schnell rechnete sie das im Kopf nach, indem sie die Zahl von der Gegenwart abzog, die sich bei Radiokarbondatierungen auf das Jahr 1950 bezog. »Damit wären wir irgendwo im zehnten Jahrhundert vor Christus.«
»Das stimmt mit der Sprache überein.« Er zögerte. »Ich habe auch den Bericht der University of Arizona über den Papyrus bekommen.«
»Und?«
»Dasselbe. Sie haben ihn auf 920 vor Christus datiert, plus minus vierzig Jahre.« Er rief eine andere Ansicht auf dem Laptop auf. »Schau es dir selbst an.«
Sie las den Bericht. Er enthielt keine Überraschungen, sondern stimmte mit ihrem Verdacht überein, der sich anhand von Experimenten, die sie insgeheim durchführte, Stück für Stück erhärtete.
Sie sah aus dem Fenster und betrachtete gedankenverloren die Männer, die an der Grabstätte arbeiteten. Sie versuchte sich vorzustellen, wie der Ort zu der Zeit, als die Schriftrolle verfasst worden war, ausgesehen haben musste – und ob dies die Wüste war, von der der Autor sprach. Obwohl es Hinweise auf ausgetrocknete, mit Dattelkernen übersäte Flussbetten gab – was die Existenz von Wasser und einer Nahrungsquelle an den Rändern des Leeren Viertels nahelegte – wusste sie, dass die Wüste selbst eine offenkundig raue, unwirtliche Welt war, jetzt und zu allen Zeiten.
»Wer würde hier umherwandern und nach seiner Liebsten suchen? Der Ort war kaum bewohnt.« Ihre Gedanken wanderten in die Gebiete im Norden. »Es sei denn …«
»Es sei denn?«
»Es sei denn, dass nicht von dieser Wüste die Rede war.«
Daniel drückte sich in die Lehne seines Sitzes und blickte gedankenverloren zum oberen Rand der gesprungenen Windschutzscheibe. »Genau. Es gibt noch mehr Wüsten in Vorderasien. Ad-Dahna … Maranjab … Negev.«
»Die Judäische Wüste …«
Er schloss den Laptop. »Es wird interessant sein zu hören, was Mariah dazu zu sagen hat.«
»Du hast ihr das zugeschickt?«
»Nein. Ich wollte, dass du es zuerst siehst. Aber ich werde es ihr schicken.«
Ein leichtes Unbehagen erwachte in Sarah, das sie schnell abtat. Sie wusste, dass es ein wesentlicher Teil von Universitätsabläufen war, alle Beteiligten auf dem Laufenden zu halten. Sie sah auf ihre Timex. Es ging auf Mittag zu; Zeit, für heute Schluss zu machen.
»Tu, was du tun musst«, sagte sie, als sie die Tür des Rovers öffnete. »Ich werde die Männer abziehen, bevor sie noch an einem Hitzschlag sterben. Wir sehen uns im Camp.«
Die Nächte in der Wüste waren ungemein still. Es gab nichts – keine Stimmen, keine menschengemachten Vorrichtungen, nicht einmal Bäume, die im Wind raschelten –, das den Mantel des Schweigens hätte durchdringen können. Trotz all der Stille um sie herum konnte Sarah nicht zu innerer Ruhe finden. Schlaflos lag sie im Bett. Sie sah aus dem einzigen Fenster ihrer Hütte, die kaum mehr als ein schrankgroßes Lehmziegelgebäude mit einem Welldach aus Blech war, und bestaunte den nächtlichen Himmel über dem pechschwarzen Umriss des Tuwaiq. Ohne jegliche Lichtverschmutzung, die das Panorama hätte stören können, scharten sich die Sterne zu riesigen Kolonien zusammen, die in Wolken von Sternenstaub trieben und wie weit entfernte Glühwürmchen in der Dunkelheit blitzten. Das Einzige, das sich dort draußen regte, war der Festzug der Sternschnuppen, die alle paar Sekunden über den Himmel schossen und ein Spektakel bildeten, das jedes menschengemachte Feuerwerk in den Schatten stellte.
Sarahs schlafloser Verstand war eine Drehtür für Gedanken, die sie sonst gerne aus ihrem Bewusstsein verdrängte. Sie dachte an ihren Vater, mit dem sie sich zerstritten hatte, nachdem ihr Duell der Eitelkeiten zu einem ausgewachsenen Krieg eskaliert war, und fragte sich, ob sie den ersten Schritt für ein Friedensangebot machen sollte. Obwohl er sie mit seiner Ausgrenzung und Manipulation zutiefst verletzt hatte, war er doch ihr einziger lebender Verwandter. Sie hatte keine Geschwister, und ihre Mutter, die sie vergötterte, hatte sich vor vielen Jahren das Leben genommen.
Sie dachte, sie würde ihrem Vater nie für das vergeben können, was sie als den letzten Tropfen in einem Fass voller Demütigung betrachtete – sie hinter ihrem Rücken ans Ruder der Aksum-Expedition einzukaufen und ihr dann das Gefühl zu geben, sie sei zu mittelmäßig, um es sich jemals selbst zu verdienen –, doch jetzt, mehr als ein Jahr nach ihrer Konfrontation, wurde ihr der Verlust deutlich. Obwohl sie sich daran gewöhnt hatte, allein zu sein, es sogar mochte, fühlte sie sich zum ersten Mal in ihren fast siebenunddreißig Jahren einsam.
Sie betrachtete die Gebetsperlen, die drei Mal um ihr linkes Handgelenk geschlungen waren. Sie drehte die winzigen Knochenkugeln zwischen ihren Fingern und erinnerte sich an den Tag, an dem Daniel ihr die Kette, einst ein Geschenk von einem buddhistischen Mönch im Himalaja an ihn, gegeben hatte.
»Angeblich sollen die Glück bringen«, hatte er ihr gesagt, als sie sich für den Aufstieg mittels eines Lederseils zu einem Kloster auf einer Felskuppe in Äthiopien bereit gemacht hatte. »Behalte sie. Nur für den Fall.«
Sie seufzte. Vielleicht war es nur eine alberne Hoffnung gewesen, aber sie hatte erwartet, dass ihre Beziehung mit Daniel einen Teil der Leere füllen würde, die die abrupte Entzweiung mit ihrem Vater hinterlassen hatte. Das war nicht wirklich der Fall. Sicher, sie schenkten sich gegenseitig Respekt und Vertrauen und sie arbeiteten einwandfrei zusammen. Aber aus ihr unbekannten Gründen hatte sich jegliche physische Intimität, die sie während ihrer Zeit in Äthiopien und Europa geteilt hatten, in Luft aufgelöst, sobald sie saudischen Boden betreten hatte. Sarah hatte alles erwogen – von Dienstbeflissenheit über örtliche Sittenkodizes bis hin zu mangelndem Interesse.
Da die beiden nicht darüber gesprochen hatten, blieben all ihre Fragen unbeantwortet. Oft war sie kurz davor gewesen nachzuhaken, aber sie fürchtete sich vor der Antwort. Was auch immer die Gründe dafür waren, sie hatten sich zu Freunden und Arbeitskollegen entwickelt, und nichts weiter. Es versetzte ihr einen Stich, aber sie hielt sich nicht damit auf, sondern ließ stattdessen das Flüstern der Antike ihre Seele berühren, so wie sie es immer getan hatte. Darauf konnte sie zählen.
Sarah