DAS RÄTSEL SALOMONS. Daphne Niko

DAS RÄTSEL SALOMONS - Daphne Niko


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werden ihre Klauen ausfahren und an eurem Fleisch reißen.

       Ihre Ochsen werden euch durchbohren und ihre Adler werden euch mit ihren Schreien betäuben.

       Ihre Dämonen werden euch mit ihren gespaltenen Zungen niederstechen,

       Und ihre Schlangen werden sich um eure Füße winden und euch lähmen.

       Nur der, der reinen Herzens ist und sanfter Natur,

       Kann ihre Bestien zähmen und die Frucht ihres Leibes besitzen.

       Doch bist du der Auserwählte,

       So wird sie dich mit einem Schatz belohnen, der seinesgleichen sucht,

       geschmiedet aus Engelsflüstern und von Königen in alle Ewigkeit bewacht.

      Dies, mein Sohn, ist deines Vaters Geschenk an dich.

       Öffne deine Hand und empfange es mit dankbarem Herzen.

       Öffne deinen Verstand, und du sollst seinen Wert erkennen.

       Suche stets das Göttliche inmitten des Irdischen

       Und folge der Führung des hellen Sterns,

       Dessen fünf Lichtstrahlen zur einen himmlischen Wahrheit deuten,

       Die dich durch Wirren geleiten und dich in deiner dunkelsten Stunde erlösen wird,

       So wie auch deinen Vater und dessen Vater zuvor.

      Vom Gewicht der Worte aufgewühlt, deren Bedeutung sie noch nicht vollständig begreifen konnte, las Sarah die übersetzten Passagen wieder und wieder. Sie verschränkte die Arme und sank in den schwarzen Ledersessel mit Knopfpolsterung, der so tief und hochlehnig wie ein Thron war.

      Mit seinem langen, glänzenden Walnussholztisch, um den vierundzwanzig dieser Ledersessel aufgestellt waren, sah der Konferenzraum der König-Saud-Universität eher wie ein Firmensitzungssaal aus. Die Wände waren grau gestrichen und frei von jeglicher Kunst – mit Ausnahme eines Porträts des Königs –, was dem Raum trotz der Fülle des Mobiliars eine klinische Atmosphäre bescherte.

      Sie sah Daniel über den Konferenztisch hinweg an. Er hatte sein markantes Kinn, das mit einem Zweitagebart bedeckt war, auf eine Hand gestützt, und seine sonnengebräunten Züge waren verhärtet, als ob er versuchte, aus seiner Lektüre schlau zu werden.

      Am Ende des Tisches saß ihre Gastgeberin. Mariah Banai, sprachwissenschaftliche Leiterin der Fakultät für Sprachen und Übersetzung der König-Saud und eine der führenden Gelehrten für althebräische Studien in der wissenschaftlichen Welt, war über ihr Mobiltelefon gebeugt und tippte auf den Bildschirm.

      Mariah, die aus Israel stammte, trug eine bodenlange türkisfarbene Djellaba mit dazugehörigem Hidschab, der lose um ihren Kopf geschlungen war. Da sie mit überschlagenen Beinen dasaß, blitzten ihre Zehn-Zentimeter-Absätze in stummem Trotz unter dem Stoff hervor. Sie sah aus, als sei sie Anfang vierzig, aber aufgrund ihrer straffen, honiggoldenen Haut ließ sich ihr Alter schwer schätzen. Ihre Nase war so gerade und spitz wie die einer römischen Statue und ihr mahagonifarbenes Haar war wie das eines Jungen geschnitten und so zerzaust, als sei sie gerade aus einem Sturm gekommen. Ihre tief liegenden braunen Augen waren von geschwungenen Brauen überspannt, die wie dicke, schwarze Pinselstriche aussahen.

      Mariah legte ihr Telefon beiseite und musterte Sarah. »Sie scheinen verwirrt, Dr. Weston. Kann ich Ihnen etwas erläutern?«

      Ihr Blick war so hypnotisierend, dass Sarah sich veranlasst sah, wegzusehen. »Es gibt eine Sache, die ich nicht verstehe. Warum landet eine in ägyptischem Hieratisch verfasste Papyrusrolle mitten in der Wüste? Es gibt nichts, das darauf hindeutet, dass diese Sprache hier gesprochen oder geschrieben wurde.«

      »Zuallererst muss ich Sie korrigieren«, entgegnete Mariah. »Bei der Sprache handelt es sich um spätägyptisches Hieratisch. Die Hochsprache, um genau zu sein. Es gab verschiedene Formen des Hieratischen im alten Ägypten und die Unterschiede zwischen ihnen sind erheblich.«

      Sarah bemerkte die Spitze in Mariahs Stimme. Sie schien es sehr zu genießen, sie zu verbessern.

      Sarah ignorierte es. »Gut, okay. Spätägyptisches Hieratisch. Das war in schriftlicher Form seit Beginn des vierzehnten Jahrhunderts vor Christus weit verbreitet.«

      »Bis etwa 600 vor Christus, ja.«

      »In diesem Zeitrahmen hatten die Ägypter mehrere Feldzüge im Nahen Osten geführt, aber so weit herunter wagten sie sich nie. Also wurde diese Schriftrolle wahrscheinlich aus dem Heiligen Land mitgenommen. Die Frage ist, warum?«

      »Ich bin Sprachwissenschaftlerin, keine Historikerin«, sagte Mariah. »Das ist Ihr Job.«

      Daniel meldete sich zu Wort. »Das Tal des Windes war Teil einer Handelsroute. Meiner Vermutung nach kamen diese Menschen aus dem Süden, am wahrscheinlichsten aus Saba, und waren nach einer Handelsreise im Nahen Osten – Kanaan, Israel, Assyrien, Phönizien – auf dem Weg nach Hause. Die von uns gefundenen Gegenstände, die ägyptischen Ursprungs sein könnten oder auch nicht, waren vermutlich Teil eines Tauschgeschäfts.«

      »Es ist höchst unwahrscheinlich, dass jemand etwas gegen eine Schriftrolle eintauschen würde«, fiel Sarah ihm ins Wort. »Es sei denn, sie enthielt bedeutendes Wissen.«

      Daniel wandte sich an Mariah. »Sarah hat recht. Das hier wurde ganz offensichtlich von einem Vater an seinen Sohn verfasst. Damals war das Schreiben eine so große Sache, dass niemand es einfach nur zum Spaß getan hätte. Irgendetwas Wichtiges steckt in diesem Text – eine Anweisung vielleicht –, aber es wird durch die Sprache verschleiert. Das ist vielsagend, weil nicht jeder gebildet genug war, um eine Nachricht in Versen zu verbergen – oder so anspruchsvolle Prosa zu verfassen. Wer immer das schrieb, hatte einen hohen Stand in der Gesellschaft. Davon bin ich überzeugt.«

      »Die einzige Gesellschaft, die zu so etwas fähig gewesen wäre – falls diese Schriftrolle aus der späten Bronze- oder Eisenzeit stammt, wie der Text es nahelegt –, ist die ägyptische«, sagte Mariah.

      »Ich glaube das nicht.«

      Daniel und Mariah drehten sich beide zu Sarah um. Tiefe Stille hing über dem Raum.

      Sarah kreuzte ihre Arme auf dem Tisch und beugte sich vor. »In dem Text gab es einen Verweis auf Engel. Die Ägypter glaubten nicht an Engel. Die Menschen Mesopotamiens aber schon. Sumerer … Israeliten …«

      Mariah bedachte sie mit einem kühlen Blick. »Es gibt viele geflügelte Kreaturen in der frühen ägyptischen Ikonografie. Sie mögen nicht die Art Engel gewesen sein, wie wir sie kennen, aber sie waren göttliche Wesen.«

      »Aber Sie haben ausdrücklich das Wort Engel benutzt. Wollen Sie sagen, das sei nicht vollkommen akkurat?«

      Mariah wandte sich an Daniel, als sei Sarah nicht im Raum. »Zufällig bin ich Expertin in Althebraistik und Judaistik. Ich kann Ihnen versichern: Die Schrifttradition des alten Israels und seiner Nachbarn war weder derart hoch entwickelt, noch fand sie Ausdruck in einer ägyptischen Sprache. Meiner Meinung nach ist der Fall eindeutig. Dies ist ein ägyptisches Dokument.«

      Sarah hatte noch mehr zu sagen, behielt ihre Gedanken aber für sich. Sie war sich sicher, dass dies weder die rechte Zeit noch die rechte Gesellschaft dafür war. Sie fing Daniels Blick und hielt ihn für einen langen Augenblick fest. An der Eindringlichkeit in seinen karamellfarbenen Augen konnte sie erkennen, dass er versuchte, ihre Gedanken zu lesen – und scheiterte.

      Mariah sah auf ihre Uhr. »Vielleicht sollten wir das ein andermal fortsetzen. In fünf Minuten halte ich eine Vorlesung am anderen Ende des Campus.« Sie stand auf und sammelte ihren Stapel Bücher und Ordner zusammen, dann reichte sie Daniel die Hand. »Das war ein faszinierender Austausch. Halten Sie mich über die Datierung der Schriftrolle auf dem Laufenden. Vielleicht wird sie uns die Information liefern, die uns helfen wird, den Autor zu identifizieren.«

      »Und die Bedeutung«, fügte Daniel hinzu, während er ihre Hand schüttelte.

      Sie lächelte ihn an. Mit wieder ernstem Ausdruck warf sie Sarah einen flüchtigen Blick zu und verließ den Raum.

      Daniel


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