Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme

Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme - Jodocus Temme


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Frage und schien eine sonderbare Alternative für Gisbertine zu enthalten. Aber sie musste sich schnell entscheiden und sie konnte es.

      »Du erlaubtest mir ja schon vorhin, Onkel Florens, Dich zu begleiten.«

      »So stoßt an, Kinder! Stoßt an! Der liebe Gott wolle — Solch ein Gläserklang ist auch ein Gebet zum Himmel und manchmal ein recht inbrünstiges und sicher Gott wohlgefälliges. Und so wolle er ihn denn auch jetzt anhören und die zitternden Wünsche Eurer Herzen, die darin wie Orgelklang zu ihm emporsteigen!«

      Sie stießen an, nicht jubelnd, nicht laut. Aber auch die leisen, bebenden Töne stiegen zum Himmel empor wie leise und desto innigere Gebete.

      »Erzählt Euch, erzählt Euch! Ich bin gleich wieder bei Euch!« sagte der Domherr dann plötzlich, und er sprach es mit einer Angst, die er kaum vor den mit sich voll beschäftigten Frauenherzen verbergen konnte

      Seine lebhaften Augen hatten zwei Personen gesehen, die von verschiedenen Seiten her auf die Laube zukamen.

      Aus der Tiefe der Schlucht kam der lahme Schullehrer Hausmann.

      Von dem Tanzplatze her nahte sich auf seinen zwei Krücken der General von Steinau.

      »Die dürfen einander nicht sehen«, sagte sich der Domherr. »Wenigstens heute nicht. Mein Vetter Steinau wird sich auch die Strafe noch einmal verdienen. Die Krücken hat er sich an dem armen Menschen da schon verdient, vor langen Jahren. Die Strafe ist spät gekommen, aber sie kommt immer.«

      Er ging dem General entgegen.

      »Ich komme zu Ihnen, Vetter Steinau. Bleiben Sie. Das Gehen wird Ihnen sauer.«

      »Ich wollte doch sehen, was für schöne Damen mein geistlicher Vetter bei sich hat.«

      »Lauter Offiziersfrauen, Vetter Steinau, eigentlich Frauen und Bräute.«

      »Ei, ei, Vetter Aschen!«

      »Und die Männer und Bräutigame sind alle in der preußischen Armee, alle Kameraden Eurer Exzellenz!«

      »Aber sehe ich nicht auch die Kellnerin dort?«

      »Auch die, Vetter Steinau!«

      Der General hatte noch immer Miene gemacht, nach der Laube zu gehen. Jetzt stand er. Sein Gesicht verfinsterte sich.

      Er kehrte um.

      »Hatte er da nicht schon die Strafe verdient?« fragte sich der Domherr.

      »Ich begleite Sie, Vetter Steinau«, sagte er; »ich muss Ihnen doch die militärischen Familiengeschichten erzählen.«

      »Wenn es Ihnen Vergnügen macht«, sagte kalt der General.

      »Ich hoffe, es wird auch Sie interessieren, Vetter Steinau. Da ist zuerst unsere gemeinschaftliche Nichte Gisbertine. Nun, deren Schicksale kennen Sie.«

      Der General brummte etwas vor sich hin. —

      »Dann kommt«, fuhr der Domherr fort, »eine Mamsell Lohrmann. Sie hat ein Lehnschulzengut hier in der Gegend, ist wohl situiert. Ihr Bräutigam wird Ihnen bekannt sein, Vetter Steinau. Es ist der Obristlieutenant Friedrichs; er kommandiert ein Regiment ——«

      »Ein Landwehrregiment!« fuhr der General auf und schritt auf seinen Krücken so hastig voran, dass der Domherr mit seinen gesunden Beinen ihm kaum folgen konnte.

      »Ah, ah«, sagte der Domherr für sich, aber doch laut genug, »kommt das jetzt schon?«

      »Was käme schon?« fragte der General.

      »Hm, Vetter Steinau, Sie kennen doch den ‘Fiesko’ vom seligen Schiller?«

      »Ich habe das Stück aufführen sehen.«

      »Darin kommt ein Mohr vor, der gehen kann, nachdem er seine Schuldigkeit getan hat!«

      »Von Rechtswegen.«

      »Aber von Klugheitswegen jagt man den Mohren nicht fort, der mitten in seiner Arbeit steckt.«

      »Bester Aschen, wir wären auch ohne die Landwehr fertig geworden.«

      »So?«

      »Ja! Jetzt freilich darf man das noch kaum aussprechen. Die Landwehren, die Landwehren! Das ist ja das Wort des Tages. Die Landwehr ist der Inbegriff alles Mutes, aller Tapferkeit, alles Sieges, alles Ruhms.

      Sie kennen ja den Satz eines neuern Philosophen — Sie sind ein studierter Mann — wenn der Wahnsinn epidemisch wird, so heißt er Vernunft. Aber eine spätere Zeit, schon die nächste Zeit nach uns, die Geschichte wird es an den Tag bringen, dass die Landwehr eine Erfindung ist, welche die Armee, den Staat, das Königtum ruinieren muss!«

      »Die Fälschung der Geschichte, Vetter Steinau!« sagte der Domherr.

      »Gefälscht wird die Geschichte nur von den Zeitgenossen, Vetter Aschen!«

      »Von jedem, der Interesse bei der Fälschung hat, Vetter Steinau.«

      »Und wer sollte ein Interesse bei jener Fälschung haben?«

      »Was Sie die Armee, den Staat, das Königtum nennen. Wir andern Leute nennen es Junkertum und Lieutenantstum.«

      »Hm, Ihr zähen Westfalen seid nun einmal in dieser Ansicht unverbesserlich.«

      »Weil wir das freie Bürgertum lieben.«

      »Das sagen Sie als Edelmann, als Mitglied jenes alten stolzen Adels der roten Erde, der im Grunde seines Herzens unsern preußischen Adel tief verachtet?«

      »Gerade darum, Vetter Steinau!«

      »Streiten wir nicht weiter darüber. Ich weiß, Sie haben ja immer diese republikanischen Ideen.«

      Der Domherr schwieg, aber er sah sich um nach der Gegend, aus welcher er vorher den Schullehrer hatte kommen sehen. Er sah ihn in der Nähe der Laube stehen, in der die Frauen waren.

      »Er muss seine Strafe haben!« glitt es leise über die Lippen des Domherrn.

      »Vetter Steinau«, sagte er laut, »streiten wollen wir nicht; aber belehren Sie mich, was Sie denn eigentlich gegen die Landwehr haben, was sonst, als dass der freie Bürger und Bauer nicht mehr gedrillt werden kann wie der Liniensoldat?«

      »Drillen?« rief der General. »Das ist auch eins der Schlagwörter der Zeit. Aber die Wahrheit haben Sie getroffen. Ein freier Bürger und Bauersmann und der soldatische Gehorsam, sie passen nicht zusammen, das ist es gerade; das habe ich in der Kommission, die über die Reform des Heeres vom Könige eingesetzt wurde, so oft geltend gemacht, aber da war der phantastische Scharnhorst — nun, er ist tot, und er· ist den Tod des Helden auf dem Felde der Ehre gestorben, und im Grunde war der Landwehrgedanke nicht von ihm ausgegangen; er war nur instruiert von jenem Zivilisten, dem Schwärmer, der jetzt Major oder gar Obristlieutenant und Regimentskommandeur ist.«

      »Dem Friedrichs?« sagte der Domherr.

      »Von wem anders?«

      »Ah, ah, meine liebe Karoline! Vetter Steinau, gehen wir zu jener Laube. Gisbertine wird sieh bei den Landwehrsfrauen ennuyieren. Befreien wir sie.«

      Der General kehrte mit dem Domherrn um. Sie mussten, um zu der Laube zu gelangen, nahe an dem lahmen Schullehrer Hausmann vorbei. Wenigstens einer von den beiden, entweder der General oder der Schulmeister, musste den andern erkennen.

      »Hm, Vetter Steinau«, sagte der Domherr, »wie lange dienen Sie schon?«

      »Seit vierzig Jahren. Ich trat mit dreizehn Jahren als Junker in die Armee.«

      »Die gewöhnliche Offizierskarriere der damaligen Zeit. Sie ist jetzt anders.«

      »Man kommt jetzt in ein Kadettenhaus.«

      »Es ist seit jenen vierzig Jahren überhaupt wohl manches anders geworden, Vetter Steinau.«

      »Aber nicht immer besser.«

      »Doch menschlicher!«

      »Menschlicher?


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