Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme

Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme - Jodocus Temme


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stürzte vor ihm fort, hinten nach einer dichten Laube.

      Er folgte ihr.

      Hinter den verbergenden Zweigen und Blättern umschlang sie ihn, hing sie sich an seinen Hals, brach sie in ein lautes, heftiges Schluchzen aus und rief:

      »Ich bin eine Unglückliche, ich bin eine Elende! Ich habe den bravsten und edelsten Mann in den Tod gejagt! Durch meine Launen, durch meinen Eigensinn, durch meine Härte! Nein, nein, nicht durch meine Härte.

      Ich liebe ihn ja! Ich liebe ihn mit der ganzen Gewalt meines leidenschaftlichen Herzens, in dem nur zu viele und zu wilde Leidenschaften ewig streiten und sich bekämpfen. Ich kenne mich ja und habe doch keine Gewalt über mich. Wenn der arme Gisbert tot wäre! Wenn ich ihn hartherzig in den Tod getrieben hätte!«

      Sie konnte vor Weinen nicht weiter sprechen.

      Der Domherr hatte keinen Trost für sie, er schien ihn nicht haben zu wollen.

      »Du hast Recht«, sagte er. »Gisbert ist ein braver und edler Mann; sein Tod wäre für uns alle ein schwerer Verlust. Er ist auch ein Mann von Mut und von Ehre, und er ging, weil er des Lebens überdrüssig war; Du hattest es ihm verleidet. Es ist daher leicht möglich, dass er in diesen schweren Tagen den Tod gefunden hat. Gottes gnädige Hand kann ihn aber auch am Leben erhalten haben, in besonderer Gnade für Dich, Gisbertine, damit Du, wenn er zu Dir zurückkehrt, gegen ihn wieder gut machen kannst. was Du gegen ihn verschuldet hast. Und das, Gisbertine, nimm Dir jetzt vor, und in diesem Vorsatze bete zu Gott, dass er Deinen braven Gatten Dir wieder schenken möge. Und dabei wirf schon jetzt Deine Heftigkeit, Deinen Eigensinn, Deinen Hochmut und alle jene unbändigen Leidenschaften, von denen Du sprachst, aus Deinem Herzen heraus, das kein schlechtes Herz ist.«

      Gisbertine war zerknirscht.

      »Ja, ich schwöre es Dir, Onkel Florens!« rief sie.

      »Schwöre es nicht, Gisbertine. Wie oft habe ich so Deine Schwüre gehört! Wie noch öfter der arme Gisbert! Gelobe es Dir ohne Schwur, gelobe es Gott in der tiefsten Tiefe Deines Herzens.«

      Sie gab ihm weinend die Hand.

      Der Bediente des Generals kam zu melden, dass der Wagen angespannt sei und der General auf sie warte.

      Gisbertine ging zu dem Wagen.

      Der Domherr sah ihr gedankenvoll nach.

      »Wird es endlich helfen?« fragte er sich.

      Er schüttelte den Kopf.

      Dann kehrte er in die Laube zu den andern Frauen zurück.

       Zweiter Teil

       Inhaltsverzeichnis

       Erstes Kapitel.

       Der Domherr und ein Karrieremacher unter Schmugglern.

       Inhaltsverzeichnis

      An der Dahlheimer Sägemühle war es dunkel geworden. Die Sonne war schon lange hinter den hohen Spitzen des Eggegebirges untergegangen. Die vornehme Gesellschaft aus dem Bade Hofgeismar hatte den reizenden Platz verlassen. Sie hatten getanzt, bis es dunkel wurde. Einzelne Paare hatten dann den Tanz noch bei dem Scheine von Lampen fortsetzen wollen; zu einem Ball gehöre anderes Licht als das der Sonne und ein improvisierter Ball im Grünen müsse etwas Wundervolles sein. Ein paar ältere Damen hatten aber nicht zustimmen wollen; so war aus dem improvisierten Balle nichts geworden, und die Gesellschaft fuhr ab.

      Eine Zeit lang herrschte nun die tiefste Ruhe und Stille an der Sägemühle und in der ganzen Bergschlucht, in der sie lag. In der Mühle war die Arbeit schon mit dem Untergange der Sonne geschlossen worden.

      Mit dem letzten Wagen der Badegesellschaft hatten sich auch die letzten Gäste entfernt. Doch der Domherr von Aschen war noch da und die beiden Frauen, die er hergebracht hatte, die Mamsell Karoline Lohrmann und die Frau Mahler. Aber sie waren keine Gäste, von denen die Ruhe und Stille des Abends nur im Geringsten wäre gestört worden.

      Sie waren in jener dichten Laube des Gartens geblieben; der Domherr hatte nur ab und zu eine kleine Promenade durch den Garten gemacht; dafür hatte dann die hübsche Kellnerin Henriette Brand den Frauen Gesellschaft geleistet. Die drei Frauenherzen hatten sich ja so viel zu sagen, wenigstens zwei, und auch das dritte schien sich geöffnet zu haben, dass es mitsprechen konnte, weil es mitsprechen musste. Als der Domherr einmal einen weiteren Gang über den Garten hinaus nach den Bergen gemacht hatte und zugleich auch auf längere Zeit die Kellnerin abgerufen war, waren bei ihrer Rückkehr die beiden andern in einer so sonderbar, fast wie feierlich bewegten Stimmung Sie saßen Hand in Hand und ihre Augen glänzten noch; denen der Frau Mahler sah man noch an, dass sie geweint hatten; der Glanz in denen der Mamsell Karoline zeigte den milden und erhebenden Engel, der in ihrem Herzen wohnte. Ja, ja, hatte der Domherr von ihr zu der alten Christine auf Ovelgönne gesagt, wo es jemand nicht gut geht, da muss das brave Mädchen dabei sein, um zu helfen. So war es auch wohl hier gewesen. Die Kellnerin hatte es nicht beachtet. Die scharfen Augen des Domherrn sahen es umso klarer. Er sagte es nicht, die Freude in den leuchtenden Blicken, mit denen er das brave Mädchen ansah, zeigte es nur.

      »Wir brechen nun wohl auch auf«, sagte der Domherr, als es finsterer geworden war. »Ich bringe Euch nach Hause zurück.«

      »Unter einer Bedingung, Onkel Florens«, rief die Mamsell Karoline.

      »He, Du willst mir Bedingungen vorschreiben?«

      »Diesmal ja. Du bleibst die Nacht in Ovelgönne.«

      »Und Gisbertine,« sagte der Domherr. »Sie wird mich heute Abend noch sprechen wollen. Und muss sie es nicht? Sie musste zuerst allein sein, um ganz mit sich klar und fertig zu werden. Dann hat sie mit mir zu sprechen, viel, sehr viel. Mit dem General kann ihr Herz kein Wort reden; die beiden verstehen sich nicht.«

      »Ein Mädchenherz«, meinte die Mamsell Karoline, »wird nicht so schnell klar und fertig mit sich. Am besten geht es in der stillen, dunklen, einsamen Nacht, wenn man nicht schlafen kann und aufrecht in seinem Bette sitzen muss.«

      »So, so, Mädchen!« rief der Domherr, »das weißt Du schon?«

      »Ja, Onkel Florens. Als meine Mutter starb und ich —«

      »Hm, hm, Karoline, ich will mit Euch fahren und die Nacht bei Euch bleiben. Gisbertine kann sich zwar bis morgen früh wieder anders besonnen haben, aber dann ist ja auch nichts verloren.«

      Er ging, seinem Kutscher zu sagen, dass er bis morgen an der Mühle auf ihn warten solle. Sein Wagen war von Hofgeismar, wohin er den Kurier gebracht hatte, längst zurück. In dem Gebirge nach Ovelgönne konnten nur die Bergchaisen fahren.

      Fast unmittelbar darauf wurde es an der Sägemühle wieder lebendig.

      An dem Wirtshause fuhr ein Wagen vor. Mehrere Reiter begleiteten ihn. Die Reiter trugen Uniformen, aber keine militärischen.

      »Es scheinen«, sagte die Mamsell Karoline zu der Frau Mahler, »höhere Zollbeamte von der preußischen Grenze drüben zu sein. Einen von ihnen meine ich schon früher gesehen zu haben.«

      Die Mamsell und die Frau Mahler waren allein in der Laube. Die Kellnerin war zu dem Hause gerufen. In der Laube war es dunkel — sie hatten sich kein Licht wollen holen lassen; sie saßen so traulicher beisammen. Vor dem Wirtshause brannte eine Laterne. In ihrem Scheine sah man von der Laube aus die Reiter, freilich nicht ganz deutlich. Aus dem Wagen waren zwei Herren gestiegen. Sie konnte man in der Laube nicht erkennen; die Pferde standen fast ganz vor ihnen.

      Die beiden Herren und die Reiter begaben sich in das Innere des Hauses.

      Dass die Mamsell, indem sie die Reiter für preußische Zollbeamte gehalten, sich


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