Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme

Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme - Jodocus Temme


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Regierungsbezirk geworden und stand im Begriff, die Zollwache an den Grenzen neu zu organisieren, die unter seinem Vorgänger vernachlässigt worden war. Er konnte sich dadurch neue Verdienste, baldige Weiterbeförderung erwerben.

      Ich traf ihn an der hannoverschen Grenze in dem Flecken Rahden. Ein Ministerialrat aus Berlin machte gemeinschaftlich mit ihm die Reise; mehrere andere Beamte waren mit ihnen.

      Es war Abend, als ich in dem Städtchen eintraf und in dem einzigen Gasthofe abstieg. Ich erfuhr, dass die Herren, seit einer halben Stunde von einer Inspektion zurückgekehrt, sich soeben unten im Gastzimmer zur Abendtafel gesetzt hatten.

      Ich begab mich in das Gastzimmer. Ich trat ein während einer lebhaften Unterhaltung.

      War mein ältester und treuester Freund der Verräter, der Verführer meines Weibes? Er hatte mit jener Sicherheit und Klarheit mir den Brief über ihre unbegreifliche Flucht schreiben, er hatte dann, vor noch wenigen Wochen, mit jener wahren Freundesteilnahme seinen Brief mir bestätigen können — musste er nicht der elendste Schurke und vollendetste Heuchler sein, wenn er der Verräter und Verführer war? Aber hätte auch ein anderer als der verworfenste Bösewicht und schamloseste Heuchler so den Freund verraten, eines Freundes Weib zu seinem Opfer machen können?

      Ich musste ihm in einer Weise begegnen, dass er nicht noch einmal seine Künste der Heuchelei gegen mich versuchen konnte.

      Ich trat von ihm unbemerkt in das Zimmer.

      Er führte das lebhafte Gespräch, das ich vor der Tür vernommen hatte. Er war dessen Mittelpunkt. Er saß neben dem Berliner Geheimrate; er setzte diesem und den andern Beamten etwas auseinander. Sie hörten ihm mit dem Ausdrucke gespannter Aufmerksamkeit, ungeteilten Beifalls zu. Jeder Zug seines Gesichts zeigte, wie ihm das schmeichelte, wie es ihn beglückte. So hatte er auf nichts anderes geachtet, meine Ankunft nicht gewahrt. Er saß zur Linken des Ministerialrats und sprach nach diesem hingewandt.

      Ich suchte mir an der Tafel einen Platz aus, dass ich ihm schräg links gegenüber saß. Sowie er den Kopf wandte, musste er mich sehen.

      Es dauerte lange, ehe er sich wandte.

      Ich hielt ihn fest im Auge. Sowie er mich sah, sollte er auch meinem still und fest nur auf ihn gerichteten Blick begegnen.

      Er war so glücklich, so sorg-, so ahnungslos. War es denn möglich, dass er der Schurke, der Heuchler war? Die langen Jahre unserer treusten, offensten Freundschaft traten wieder vor mich, sein reicher, klarer Geist, sein Herz, das ich nur als edel, als hingebend erkannt hatte.

      Er hatte freilich immer den unbändigen Ehrgeiz besessen; aber muss; der Ehrgeiz ehrlos machen?

      Er wandte sich um, schnell, plötzlich. Ein Beamter, der mein zweiter Nachbar war, hatte eine Frage an ihn gerichtet; er musste auf die Frage antworten; sein Blick musste mich streifen, mich treffen.

      Er traf mich. Unsere Augen begegneten einander.

      Ich saß ruhig, unbeweglich da, die Lippen zusammengepresst; mein Gesicht mochte bleich genug sein; so sah ich ihn an, stumm, regungslos, mit dem festen, finstern Blicke, der seine Augen bis auf den Grund durchbohren, durch sie in die tiefste Tiefe seines Innern dringen, darin den Verrat, die Tücke, die Niederträchtigkeit, die Gemeinheit aufsuchen wollte.

      Er wurde weiß wie die Wachskerze, die vor ihm stand, seine Augen flogen, wie von einem blendenden Blitze getroffen, zu Boden, suchten dann irr umher, nur nach mir nicht; seine Stimme verjagte ihm den Dienst.

      Die andern sahen ihn verwundert, erschreckt an. Sie sahen von ihm aus mich.

      Sie mochten über meinen Anblick noch mehr erschrecken. Ich war wie ein unheimliches Nachtgespenst unter ihnen.

      Ich erhob mich langsam und verließ schweigend den Saal. Ich sah mich nach keinem von ihnen mehr um.

      So begab ich mich auf mein Zimmer.

      Was nun weiter?

      Der Elende war der Verräter, der Heuchler. Der Heuchler war er vielleicht schon immer gewesen. Nur die stärksten, die edelsten Charaktere können der Unwahrheit widerstehen, mit welcher Ehrgeiz nur zu gern sich umgibt. Der Weg der Unwahrheit ist der zur Ehrlosigkeit.

      Aber was nun weiter mit ihm?

      Er hatte mein braves Weib verdorben, meine Ehre vernichtet.

      Mein erster Gedanke war sein Blut.

      Ich musste lange mit mir kämpfen, um zu der Einsicht zu gelangen, dass Rache nie die Genugtuung eines Mannes sein dürfe, dem die innere Ehre durch keinen äußern Angriff verletzt werden kann.

      Ich vermochte auf jede Rache zu verzichten, es war ein schwerer Sieg, den ich über mich gewann.

      Ich wartete in meinem Zimmer, bis unten das Nachtessen zu Ende war, bis ich einzelne der Herren herauskommen und in ihre Zimmer gehen hörte. Dann schickte ich den Kellner zu Schilden und ließ ihn bitten, zu mir zu kommen. Ich war begierig, ob er kommen werde; kam er nicht, so wollte ich zu ihm gehen; wollte er mich nicht zu sich einlassen, dann verdiente seine Feigheit eine Züchtigung.

      Er kam.

      Ich empfing ihn mit vollkommener Ruhe. Nicht mit Kaltblütigkeit; das Blut kochte in mir. Aber der Himmel hatte mir eine fast wunderbare Kraft gegeben, mich zu beherrschen. Sie war mir ein Zeichen, wie sehr ich den rechten Weg gegen den Elenden eingeschlagen habe.

      Er trat mit blassem Gesichte, mit unsicherem Blick zu mir ein. Er wollte sich Mut machen, er vermochte es nicht. Die vollste Feigheit hatte ihn zu mir geführt, die Feigheit des schlechten Gewissens, das Bewusstsein der eigenen Niederträchtigkeit, die zu gar nichts mehr Mut hat, nicht zum Widerstehen, nicht einmal zum Fliehen, die nur noch dies Resignation hat, alles über sich ergehen zu lassen, was kommen wird, damit es nur so bald wie möglich zu Ende sei.

      Ich musste ihn darauf ansehen, lange, schweigend.

      Er konnte meinen Blick, die Stille nicht ertragen, der Elende.

      ‚Was wolltest Du von mir?‘ sprach er mit zitternder, kaum hörbarer Stimme.

      ‚Hast Du meine Frau verführt?‘ fragte ich ihn.

      Ich war unwillkürlich näher an ihn herangetreten.

      Er wich in seiner Feigheit an die Tür zurück.

      Ich konnte ein Lächeln der Verachtung für ihn haben.

      ‚Fürchte Dich nicht, Schilden. Aber antworte mir!‘

      Er konnte nicht sprechen.

      ‚Wenn Du mir nicht antwortest‘, fuhr ich fort, ‚oder wenn Du lügst, dann fürchte mich.‘

      ‚Ja!‘ presste er heraus.

      ‚Du bist also der Verführer des armen Weibes?‘

      ‚Ich sagte es Dir.‘

      ‚Hast Du für sie gesorgt? Vielleicht auch für ihr Kind?‘

      ‚Sie wollte nichts von mir annehmen.‘

      ‚Hat sie ein Kind?‘

      ‚Ja.‘

      Ich hatte keine Frage weiter an ihn; ich war also mit ihm fertig.

      Aber es zuckte unwillkürlich in mir, ihn zu züchtigen.

      Meine Hand erhob sich nach ihm, nach seinem von der Furcht fast verzerrten Gesichte.

      Ich überwand auch das.

      Er war mir zu verächtlich. Der Büttel züchtigt den Ehrlosen.

      ‚Geh!‘ sagte ich.

      Er ging.

      Draußen mochte es ihm leichter werden.

      Ich konnte seit langer Zeit zum ersten Male wieder aus freierer Brust aufatmen. Ich war in keiner Ungewissheit mehr. Ich hatte den schwersten Sieg meines Lebens erkämpft. Ein tiefer und schneidender Schmerz war allerdings in meiner Brust zurückgeblieben; ich konnte ihm gebieten, dass er nicht die Herrschaft über mich gewann.

      Das


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