Wyatt Earp Staffel 4 – Western. William Mark D.
stehen. Er kehrte den Männern den gebeugten Rücken zu. Und plötzlich ging ein Zucken durch seinen ausgemergelten Körper.
»Wen?«
»Jack Norton suche ich.«
Der Alte kam an die Treppe und blickte in die stahlblauen Augen des Dodger Marshals. »Norton? Mann, der ist doch verschwunden. Längst verschwunden...«
Das irre Lachen auf den Lippen des Alten erstarb. Kalt und stechend ruhte sein Blick auf dem Marshal. »Yeah – Sie haben recht. Kommen Sie, ich werde Ihnen diese Frau zeigen.«
Wyatt folgte ihm, während O’Brian aus dem Sattel rutschte und mit einem unbehaglichen Gefühl in der Brust die Zügel des Falben an sich nahm.
Vaugham führte den Missourier durch einen dunklen Flur an eine Tür.
Flüsternd meinte er: »Da drinnen liegt sie. Aber... sie ist krank. Immer noch krank. Sie wird nie wieder gesund werden. Er hat sie am Kopf getroffen, der Tramp...«
Wyatt klopfte an und öffnete.
In einem Lehnstuhl vorm Fenster saß eine Frau. Sie mochte vielleicht dreißig Jahre alt sein, und ihr bleiches wachsgelbes Gesicht verriet noch deutliche Spuren einstiger Schönheit.
»Bist du es –?« fragte sie.
Wyatt war an der Tür stehengeblieben und hörte, wie der Farmer sie leise hinter ihm schloß.
Er hatte den Hut abgenommen. »Mein Name ist Earp, Madam –«
Der Kopf der Frau flog herum. Flammende Röte überflutete ihr Gesicht. »Earp! Was wollen Sie, wer sind Sie! Ich kenne keinen Earp –« Plötzlich stockte sie. Ihr Kopf fiel auf die Brust. »Doch«, flüsterte sie dann, »er hat von ihm gesprochen. Oft hat er von ihm gesprochen. Von Wyatt Earp, nicht wahr?«
Wyatt, der schon geglaubt hatte, eine Geisteskranke vor sich zu haben, schöpfte Hoffnung. Doch sie wurde jäh zerstört, als die Frau den Kopf wieder herumwarf und ihn anstarrte.
»Er ist weg, alle sind weg. Auch Wyatt Earp. Ich bin allein. Allein...«
Wyatt trat an den Lehnstuhl heran und sah in ihr Gesicht. »Madam –«
»Ich bin Mabel Vaugham. Bin keine Madam.« Sie lachte so, wie der Mann eben gelacht hatte. Plötzlich schrie sie gellend auf, fuhr hoch und sackte stöhnend wieder in ihren Stuhl zurück.
Der Junge erschien in der Tür. Langsam kam er heran. »Es tut mir leid, Marshal. Meine Schwester ist krank.«
Wyatt nickte. »Ich hätte sie gern etwas gefragt.«
»Bitte, versuchen Sie es.«
O’Brian, dem der Junge inzwischen die Pferde zur Versorgung abgenommen hatte, machte einen Gang um das Haus herum.
Durch das offene Fenster war der Schrei der Frau an sein Ohr geklungen.
Jetzt glaubte er, seinen Ohren nicht trauen zu können, als er die Stimme des Marshals hörte.
Die Stimme des rauhen, eisenharten Wyatt Earp. Sie war fast nicht wiederzuerkennen. Dunkel und samtweich klang sie jetzt. Etwas Hypnotisierendes lag in ihrem Klang:
»Miß Mabel. Es freut mich, daß er von mir gesprochen hat. Weil er gut gesprochen hat. Er war nämlich ein guter Mann.«
»Er war ein guter Mann. Und sicher wäre er gekommen...«
Da stieß die Frau heiser hervor: »Ja, Jack wäre gekommen. Aber Vater wollte ihn ja nicht, weil er ein Habenichts war, ein armer Teufel, wie wir arme Teufel sind. Vater wollte ja immer den reichen Rancher für mich haben. Jonny Callaghan...«
Längst fühlte der Missourier, daß er hier in ein Haus gekommen war, in dem tiefstes menschliches Elend herrschte.
Mabel Vaugham war geisteskrank. Höchstwahrscheinlich hatte der Schläfenschuß sie so furchtbar verletzt, daß die Funktionen ihres Gehirns stark in Mitleidenschaft gezogen worden waren.
Der Alte hingegen hatte sich die Sache, an der er vielleicht nicht ganz schuldlos war, so zu Herzen genommen, daß er verfiel und nervenkrank wurde.
Da sagte der Junge hart: »Sie war kerngesund. Und Vater auch. Aber er fühlt sich schuldig. Und nachts –«, er stockte, schluckte und sah zu Boden, »nachts hörte ich ihn in seiner Kammer weinen.«
Wyatt blickte den Jungen an. »Jack Norton war ihr Freund?«
»Ja, er war unser aller Freund. Aber als er dann die Farm verlor, war er bettelarm, und Vater sah es nicht gern, daß er sich weiterhin um Mabel bemühte.«
Wyatt hatte verstanden. »Aber er war doch Sheriff.«
»Damals noch nicht. Da half er bei dem alten Sheriff aus. Als aber Mabel von dem Verbrecher niedergeschossen worden war, tat Jack das, was er sonst nie getan hätte. Er forderte einen Revolvermann, der im Spielsaloon Fred Buncleys seit Wochen hockte und die ganze Stadt mit seinen verrückten Schießereien bedrohte, zum Gunfight auf. Er schoß ihn aus den Stiefeln – und da gab der Mayor ihm den Stern. Der alte Sheriff hatte ihn einen Tag vorher abgegeben, weil er auch nichts gegen den Schießer hatte ausrichten können. – Aber Jack hat es nur getan, um den Stern zu bekommen, um mit dem Stern den Schützen verfolgen zu können, der Mabel niedergeschossen hatte.«
Wyatt hatte aufmerksam zugehört. »Weißt du etwas von der anderen Sache?«
Der Bursche schüttelte den Kopf. »Nein. Mabel hat es einmal so und dann wieder völlig anders berichtet. Der Mann sah immer anders aus.«
»Wie konnte Norton ihm dann folgen?«
»Ich weiß es nicht. Niemand hat ihn gesehen. Vielleicht hat Mabel ihm irgend etwas gesagt, was ihn doch auf den Trail brachte. Er ritt eines Nachts los – und ist seitdem nicht wiedergekehrt. Vater meint, er käme nicht zurück, weil er sich schäme...«
Wyatt schüttelte den Kopf. »Nein, Jim, geschämt hat er sich sicher nicht. Weil er es nicht nötig hatte.«
»Haben Sie ihn getroffen? Wo lebt er?«
Wyatt wandte sich halb ab.
Mit der Hand deutete er unauffällig auf die Frau.
Jim winkte ab. »Sie hört nicht zu. Nur wenn man mit ihr spricht, hört sie zu. Und wie sie dann spricht, wissen Sie ja.«
Wyatt sagte leise: »Jack Norton ist tot.«
Ein markerschütternder Schrei zerriß die Luft im Zimmer.
Der alte Vaugham stand draußen, lehnte den Kopf an die Wand und verzog
vor Schmerz und Verzweiflung das Gesicht.
Mabel Vaugham wurde plötzlich leichenblaß, sank in ihrem Stuhl zusammen, rutschte nach vorn und wäre sicherlich zu Boden gefallen, wenn der Marshal sie nicht aufgefangen hätte.
Ohnmächtig lehnte sie jetzt an der Stuhllehne. Jim starrte den Marshal entgeistert an. »Norton ist tot? Sie wissen es?«
»Yeah. Ich habe ihn gefunden...«
»Wo?« unterbrach ihn der Junge ungeduldig.«
»Unten in Wyoming, im Jacksonsee.«
»Er ist ertrunken?«
»Nein, das glaube ich nicht. Er ist erschossen worden. Ich habe ihn entdeckt, er liegt im Eis...«
Da wurde die Tür aufgestoßen. Mit geisterhaft bleichem Gesicht stand der alte Farmer da. Sein Unterkiefer zitterte. »Das ist nicht wahr!« brach es von seinen Lippen. »Das ist – nicht – wahr –!«
Wyatt sah ihn fest an. »Doch, Mister Vaugham. Es ist wahr.«
Der alte Mann taumelte in den Raum und schlug sich mit seinen erdbraunen, behaarten Fäusten gegen seine eingesunkene Brust.
»Dann bin ich ein Verbrecher, ein Schuft, ein Mörder. Ich habe sie dahingebracht – meine Tochter! Ich... ich habe ihr gesagt, daß sie sich einen anderen suchen soll! Und er ist dem Tramp gefolgt, der sie niedergeschossen