Dr. Daniel Staffel 6 – Arztroman. Marie Francoise
dem Chiara sich bedeckt hatte. Die junge Frau zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen.
»Nicht erschrecken, Chiara, ich werde Ihnen bestimmt nicht weh tun«, erklärte Dr. Daniel mit ruhiger Stimme. »Versuchen Sie, sich wieder zu entspannen. Ich muß als erstes einen Abstrich nehmen.«
Chiara fühlte, wie der Arzt den Abstrich nahm, und unwillkürlich begannen ihre Beine zu zittern.
»Nicht verkrampfen, Chia-ra«, bat Dr. Daniel. »Es ist gleich vorbei.« Er stand auf. »Ich muß noch die Gebärmutter und die Eierstöcke abtasten. Letzteres empfinden die meisten Frauen als sehr unangenehm, aber ich werde mich bemühen, vorsichtig zu sein.«
Chiara versteifte sich schon, als sie nur sah, wie Dr. Daniel die Plastikhandschuhe überstreifte. Die unzähligen schmerz-
haften Untersuchungen, die ihr Vater an ihr durchgeführt hatte, waren ihr natürlich im Gedächtnis. Mit beiden Händen krallte sie sich an dem gynäkologischen Stuhl fest.
Dr. Daniel spürte ihren massiven Widerstand, und dabei stieg eine maßlose Wut in ihm auf. Wie entsetzlich grob und unsensibel mußte dieser Dottore Cardello mit seiner Tochter umgegangen sein, daß sich so viel Angst in ihr hatte aufstauen können?
»Bitte, Chiara, entspannen Sie sich.« Dr. Daniels Stimme klang immer noch ruhig und sanft. Es war genau der Ton, der in seinen Patientinnen so großes Vertrauen weckte, und Chiara machte darin keinen Unterschied – auch wenn es bei ihr ein wenig länger dauerte, bis
die Verkrampfungen allmählich nachließen. »So ist es gut.«
Chiara schloß wieder die Augen und wartete mit zusammengebissenen Zähnen auf den unerträglichen Schmerz, doch dieser blieb überraschenderweise aus.
»Den ersten Teil der Untersuchung haben Sie schon überstanden«, meinte Dr. Daniel lächelnd.
Chiara riß die Augen auf und sah in sein sympathisch wirkendes Gesicht.
»Aber…, das hat ja gar nicht weh getan«, erklärte sie erstaunt.
»Das soll eine gynäkologische Untersuchung ja auch nicht«, erwiderte Dr. Daniel, dann griff er mit einer väterlichen Geste nach ihrer Hand und drückte sie sanft. »Glauben Sie, daß Sie es über sich bringen würden, sich jetzt auch oh-
ne den Rock dort hinaufzu-
legen? Das wäre für die nöti-
gen Röntgenaufnahmen nämlich besser.«
Chiara zögerte, dann nickte sie bereitwillig.
»Sie müssen auch vor dieser Untersuchung keine Angst haben«, meinte Dr. Daniel, als sie wieder auf dem Stuhl lag. »Ich nehme jetzt die örtliche Betäubung vor. Den Einstich werden Sie noch spüren, alles andere fühlen Sie zwar, aber Sie werden keine Schmerzen haben. Und ich erkläre Ihnen jeden Handgriff, bevor ich ihn ausführe.« Er schwieg kurz und setzte die Injektion. »Na also, den kleinen Pieks haben Sie schon überstanden. War’s schlimm?«
»Nein«, flüsterte Chiara tapfer, obwohl ihr der Einstich doch weh getan hatte. Aber das kam wahrscheinlich daher, daß sie schon wieder ziemlich verkrampft war.
»Wir warten jetzt noch einen Moment, bis die Spritze wirkt«, meinte Dr. Daniel, dann bereitete er alles für die weitere Untersuchung vor und lächelte Chiara schließlich aufmunternd an.
»Ich glaube, wir können anfangen.« Er hielt die Instrumente so, daß Chiara sie nicht sehen konnte, um zu verhindern, daß sie wieder Angst bekam. Normalerweise bevorzugte Dr. Daniel für die Hysterosalpingografie ein Pertubationsgerät, das gewährleistete, daß das Kontrastmittel kontinuierlich und mit stabilem Druck in den Uterus gepreßt wurde, doch ganz so modern war man in dieser kleinen Klinik noch nicht eingerichtet.
»Mit Hilfe eines Katheters spritze ich nun das Kontrastmittel in Ihre Gebärmutter und in die Eileiter«, erklärte er mit einem kurzen Blick zu Chiara. »Keine Angst, Sie werden nichts davon spüren.«
Dann schob Dr. Daniel das Röntgengerät über ihren Unterleib und machte einige Aufnahmen.
»So, Chiara, das war’s schon«, meinte er schließlich. »Sie bleiben jetzt bitte noch ein bißchen hier liegen. Die örtliche Betäubung wird bald nachlassen.« Fürsorglich breitete er noch eine dünne Decke über sie, um ihr dadurch ein wenig Sicherheit zu vermitteln.
»Herr Doktor, wann wissen Sie, ob ich Kinder bekommen kann?« fragte Chiara leise.
»Die Röntgenaufnahmen müssen erst entwickelt werden«, antwortete Dr. Daniel. »Ich kann Ihnen leider nicht sagen, wie lange das hier dauern wird, aber ich nehme an, daß wir das Ergebnis der Untersuchung spätestens Anfang nächster Woche besprechen können.«
Chiara nickte, dann griff sie nach Dr. Daniels Hand und brachte dabei sogar ein leichtes Lächeln zustande.
»Danke, Herr Doktor. Sie sind wirklich ein wundervoller Mensch.«
*
Die Heimfahrt von Elio und Chiara verlief schweigend. Die junge Frau saß im Auto, hatte die Hände im Schoß verkrampft und hielt den Kopf gesenkt. Elio hatte ihr bereits mehrere Male einen kurzen Blick zugeworfen, doch Chiara verharrte so bewegungslos wie eine Statue. Schließlich hielt Elio es nicht mehr länger aus. Er brachte den Wagen am Straßenrand zum Stehen, schaltete den Motor aus und wandte sich dann Chiara zu.
»Cara mia«, sprach er sie leise an und legte dabei zärtlich eine Hand auf ihren Arm. Chiara zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen.
Mit einem Ruck wandte sie ihm ihr Gesicht zu, und in ihren dunklen Augen lag ein Ausdruck, den er noch nie bei ihr gesehen hatte. Es war eine Mischung aus Angst, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit.
»Cara mia«, wiederholte Elio. »Ich…, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Gerade jetzt…, wo du mich am dringendsten gebraucht hättest, habe ich total versagt.« Hilflos zuckte er die Schultern. »Verzeih mir bitte.«
Chiara wandte den Blick wieder ab. Ihr Kopf sank nach unten, und ihr langes schwarzes Haar verdeckte ihr Gesicht wie ein dichter Schleier.
»Warum, Elio?« wollte sie nur wissen, und ihre Stimme war dabei nicht mehr als ein heiseres Flüstern.
Der junge Mann atmete tief durch. Er wußte, daß er Chiara jetzt die Wahrheit sagen mußte, aber das Eingeständnis, an ihr gezweifelt zu haben, tat weh.
»Ich habe einen Fehler gemacht«, erklärte er und bemühte sich dabei, seiner Stimme Festigkeit zu geben, was ihm aber nicht so ganz gelang. Er wünschte, er könnte alles, was vorgefallen war, ungeschehen machen. »Ich habe meinem Vater geglaubt, obwohl ich seine Vorwürfe weit von mir hätte weisen müssen. Ich hätte…, ich hätte dir vertrauen sollen, doch das habe ich nicht getan.«
Langsam hob Chiara den Kopf und strich mit einer Hand ihr langes Haar zurück.
»Du hast gedacht, ich würde verhüten.«
Unwillkürlich zuckte Elio zusammen, als Chiara diese Behauptung aussprach. Viel schlimmer, als die Worte selbst war jedoch die Gelassenheit, mit der sie sie vorbrachte. Es schien, als würde sie ohne jede innere Anteilnahme sprechen.
Um so mehr schockierte es Elio, daß sie unmittelbar darauf in Tränen ausbrach. Ihr ganzer Körper wurde von heftigem Schluchzen geschüttelt.
»Wie konntest du nur!« brachte sie mühsam hervor. »Wenn ich das wirklich getan hätte…, was würde es mir dann ausmachen, dich zu verlieren?«
Elio fühlte sich elend. Natürlich hatte Chiara völlig recht. Wie hatte er auch nur einen Gedanken an diesen unsinnigen Verdacht verschwenden können?
»Cara mia, es tut mir leid«, flüsterte Elio zerknirscht, doch Chiara reagierte überhaupt nicht. Noch immer schluchzte sie leise vor sich hin.
Elio zögerte, doch dann tat er das einzig richtige. Er zog Chia-ra in seine Arme und drückte sie liebevoll an sich.
»Es wird nie mehr passieren«, versprach er, und Chiara spürte, daß er das nicht einfach so