Dr. Daniel Staffel 6 – Arztroman. Marie Francoise
wollte. »Ich erwarte, daß Sie mir diesmal die Wahrheit sagen.«
»Nichts, was soll schon mit mir los sein?« entgegnete Elio, und Dr. Daniel spürte die versteckte Agressivität, die hinter diesen Worten stand.
»Als ich Sie und Chiara das erste Mal gemeinsam sah, waren Sie voller Zärtlichkeit Ihrer Frau gegenüber«, erklärte Dr. Daniel. »Heute dagegen benehmen Sie sich deutlich distanziert…, beinahe kalt, und ich möchte gern den Grund dafür wissen.«
Elio kämpfte sichtlich mit sich, und dann stellte er eine Frage, mit der Dr. Daniel nicht gerechnet hatte.
»Wenn Chiara verhüten würde…, würden Sie das bei dieser Untersuchung bemerken?«
Verständnislos blickte Dr. Daniel ihn an. »Wieso sollte Ihre Frau verhüten, wenn sie sich doch ein Kind wünscht, und vor allem…, warum sollte sie eine solche Untersuchung auf sich nehmen, wenn sie von vornherein wüßte…«
Elio sackte in sich zusammen. »Ich kann mir vorstellen, was Sie jetzt von mir denken, aber… ich bekomme diese schrecklichen Zweifel einfach nicht mehr aus mir heraus.«
»Vor ein paar Tagen waren diese Zweifel aber offensichtlich noch nicht da«, erwiderte Dr. Daniel ruhig.
»Doch, aber ich habe sie unterdrückt…, ich unterdrücke sie jetzt schon seit Monaten.« Elio seufzte tief auf. »Mein Vater stichelt bei jeder sich bietenden Gelegenheit in mich hinein, und fast immer fallen dabei solche Behauptungen… Chiara würde bestimmt irgend etwas tun, um nicht schwanger zu werden.« Er schwieg einen Moment. »Ich war immer ziemlich sicher, daß sie die Pille nicht nehmen könnte, ohne daß ich es merken würde, aber heute sagte mein Vater etwas…, nun ja, es gibt da diese Spiralen, die sich Frauen einsetzen lassen, und… das würde ein Mann doch nicht merken, oder?«
»Nein, wahrscheinlich nicht«, antwortete Dr. Daniel ehrlich. »Ich kann Ihnen aber versichern, daß ich eine solche Spirale bei der Untersuchung, die ich vornehmen werde, sehen würde. Allerdings bin ich überzeugt, daß ich in dieser Hinsicht nichts finden werde.« Seine Stimme wurde noch eindringlicher. »Elio, denken Sie doch einmal logisch. Ihre Frau hat schreckliche Angst davor, von Ihnen verlassen zu werden, weil sie keine Kinder bekommen kann. Glauben Sie denn wirklich, daß sie in einem solchen Fall ihre Kinderlosigkeit auch noch provozieren würde?«
Elio fragte sich, weshalb er nicht selbst auf dieses Gegenargument gekommen war, obwohl es doch eigentlich äußerst naheliegend war.
»Ich glaube, ich habe mich in den vergangenen Stunden schrecklich dumm benommen«, gestand er zerknirscht ein. »Ich habe mich von meinem Vater mit den ständigen Zweifeln, die er in mir gesät hat, vollkommen in die Irre führen lassen, und ich fürchte, wenn Sie nicht gewesen wären…, wenn Sie mich jetzt nicht mehr oder weniger gezwungen hätten, die Wahrheit zu sagen, dann wäre unsere Ehe wirklich in Gefahr geraten.«
»Machen Sie sich deswegen keine Vorwürfe«, riet Dr. Daniel ihm. »Ihre Ehe steht ja praktisch unter einer dauernden Belastung. Da ist nicht nur der Kinderwunsch von Ihnen und Ihrer Frau, der unerfüllt geblieben ist, sondern auch noch die Tatsache, daß Sie Ihre Ehe vor Eltern und Schwiegereltern ständig verteidigen müssen. So etwas ist zermürbend und führt zwangsläufig zu Krisen. Wichtig ist, daß Sie sich Ihrer Liebe zu Chiara bewußt sind und daß Sie beide in jeder Situation fest zusammenhalten.« Er schwieg kurz. »Von Vorteil wäre es auch, wenn Sie sich zumindest für eine Weile von Ihren Eltern und Schwiegereltern fernhalten könnten. Dasselbe gilt natürlich für Chia-ra.«
Elio seufzte. »Ich fürchte, das wird nicht möglich sein, Herr Doktor. Mein Vater und ich führen die Pizzeria gemeinsam. Ich kann ihn jetzt nicht mit der ganzen Arbeit allein hängenlassen.«
Dr. Daniel nickte verständnisvoll. »Das erschwert die Sache natürlich noch zusätzlich, aber ich kann Ihren Standpunkt da sehr gut nachvollziehen. Ich würde in einem ähnlichen Fall wohl nicht anders handeln.« Dann stand er auf. »Jetzt werde ich erst mal die nötige Untersuchung durchführen, und wer weiß…, vielleicht ergibt sich ja ein Anhaltspunkt, worauf die Kinderlosigkeit Ihrer Frau tatsächlich zurückzuführen ist.«
»Ja, hoffentlich«, murmelte Elio, dann sah er Dr. Daniel an. »Ich weiß, daß Chiara mich bei dieser Untersuchung nicht dabeihaben will. Sie würde sich zu sehr schämen. Aber bitte…, sagen Sie ihr, daß ich an sie denke…, daß ich sie liebe.«
»Das mache ich ganz gewiß«, versprach Dr. Daniel, dann verließ er das Arztzimmer und betrat den Untersuchungsraum. Hier wartete Chiara schon auf ihn.
»Es tut mir leid, daß ich nicht gleich zur Stelle war«, entschuldigte sich Dr. Daniel, »aber ich hatte noch ein dringendes Gespräch zu führen.« Er schwieg einen Moment. »Von Ihrem Mann soll ich Ihnen übrigens sagen, daß er Sie sehr liebt und in Gedanken jetzt bei Ihnen ist.«
»Danke«, hauchte Chiara, doch Dr. Daniel spürte, daß sie ihm nicht ganz glaubte, aber das war nach der mehr als zurückhaltenden Art, die Elio in den vergangenen Stunden an den Tag gelegt hatte, auch nicht verwunderlich. Für einen Augenblick überlegte der Arzt, ob er etwas dazu sagen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Das war wohl eine Sache, die Elio selbst klären mußte.
Dr. Daniel begleitete die junge Frau nun zu dem gynäkologischen Stuhl. »Setzen Sie sich bitte dort hinauf, und legen Sie Ihre Beine in die Bügel.«
Chiara errötete tief. Allein die Vorstellung, sie würde in dieser entwürdigenden Haltung vor einem Mann liegen, verursachte ihr Übelkeit, und dabei machte es für sie keinen Unterschied, daß Dr. Daniel Arzt war und sicher schon unzählig viele Frauen an ihren intimsten Stellen untersucht hatte.
Sie entdeckte im hinteren Teil des Raumes eine Untersuchungsliege und sah Dr. Daniel nahezu flehend an. »Kann ich mich nicht dort hinlegen?«
Dr. Daniel konnte sehr gut nachvollziehen, was jetzt in Chiara vorging, und normalerweise wäre er gern bereit gewesen, die gynäkologische Untersuchung auf der Liege durchzuführen, doch gerade in diesem Fall war es wichtig, daß die junge Frau wirklich gründlich untersucht wurde.
»Es tut mir leid, Chiara«, entgegnete er bedauernd. »Auf der Liege kann ich nicht genügend sehen.«
Chiara warf dem Untersuchungsstuhl noch einen ängstlichen Blick zu, dann bedeckte sie ihr Gesicht mit den Händen und begann hilflos zu schluchzen.
Tröstend legte Dr. Daniel seinen Arm um ihre Schultern und führte sie in den kleinen Raum zurück, wo sie sich zuvor entkleidet hatte.
»Ziehen Sie Ihren Rock an, Chiara«, riet Dr. Daniel ihr. »Wenn Sie das Gefühl haben, vor mir nicht völlig entblößt zu liegen, dann wird es für Sie vielleicht eher zu ertragen sein.«
Chiara nickte und schlüpfte hastig in ihren Rock. Ihre Finger zitterten, als sie die Knöpfe schloß, trotzdem fühlte sie sich jetzt ein wenig sicherer – wenn sie auch Mühe hatte zu vergessen, daß sie unter dem Rock keinen Slip trug.
Zögernd trat sie nun zu dem Untersuchungsstuhl und versuchte ihre schreckliche Angst zu unterdrücken, doch es wollte ihr nicht so recht gelingen. Unwillkürlich warf sie Dr. Daniel einen Blick zu. Mit seinen ein-undfünfzig Jahren hätte er durchaus ihr Vater sein können, andererseits sah er als Mann ausgesprochen gut aus. Die dichten blonden Haare, die ein markantes Gesicht umrahmten, und die strahlend blauen Augen ließen ihn wesentlich jünger wirken, als er tatsächlich war. Trotzdem lag in seinem Gesicht so viel Güte, daß es schwer gewesen wäre, zu ihm kein Vertrauen zu haben. Und daran mangelte es bei Chiara ja auch gar nicht. Es war ja nur der Gedanke, sich dort oben präsentieren zu müssen, der sie so sehr erschreckte.
Noch einmal atmete sie tief durch, dann stieg sie auf den Stuhl und legte die Beine in die beiden Bügel. Dabei versuchte sie, unter dem weiten Rock ihre Weiblichkeit zu verstecken.
»Ich weiß schon, daß es gerade für Sie nicht ganz einfach sein wird, sich dort oben zu entspannen«, meinte Dr. Daniel. »Aber bitte, versuchen Sie es trotzdem. Denken Sie an irgend etwas Angenehmes.«
Chiara schloß die Augen und versuchte sich vorzustellen, daß sie am Strand liegen würde, doch es wollte ihr nicht so recht gelingen.