Dr. Daniel Staffel 6 – Arztroman. Marie Francoise
lassen. Schließlich habe ich auch noch einen Beruf.« Er lächelte das kleine Mädchen an. »Aber ich verspreche dir, daß ich mir für dich so viel Zeit nehmen werde wie möglich. Und jetzt im Urlaub sind Mama und ich sowieso nur für dich da.«
»Damit wären wir auch gleich beim Thema«, mischte sich Manon ein. »Nach diesen Flitterwochen wartet in Steinhausen eine Gemeinschaftspraxis auf uns, aber ich fürchte, daß ich mich künftig als Ärztin nicht mehr in dem Maße engagieren kann wie bisher. Ich will für Tessa eine wirkliche Mutter sein und nicht eine, die sich für ihr Kind abends fünf Minuten Zeit nimmt, um es ins Bett zu bringen.«
Dr. Daniel runzelte die Stirn. »Heißt das, daß du deinen Beruf aufgeben willst?«
»Nein, Robert, das nicht«, entgegnete Manon ernst. »Du weißt, daß ich mit Leib und Seele Ärztin bin.« Zärtlich streichelte sie über Tessas schwarze Locken. »Aber ich will auch für mein Kind dasein.« Sie zögerte. »Ich habe mir überlegt, ob man nicht einen Arzt in der Praxis mit aufnehmen könnte, der nur halbtags arbeitet.«
»Ich fürchte, damit würden wir uns schwertun«, meinte Dr. Daniel, dann schüttelte er den Kopf. »Ein weiterer Arzt in unserer Praxis wird auch nicht nötig sein. Zum einen würden wir uns da bloß auf die Füße
treten, denn so groß sind die
Räumlichkeiten ja auch nicht, und zum anderen gibt es immer noch die Waldsee-Klinik.«
Doch Manon war skeptisch. »Wolfgang wird sich herzlich bedanken, wenn wir ihm einen Teil meiner Arbeit auch noch aufhalsen wollen.«
»Davon kann ja überhaupt keine Rede sein«, erwiderte Dr. Daniel. »Vorerst geht es nur darum, deine Sprechzeiten so abzuändern, daß du genügend Zeit für Tessa hast. Und außerhalb der Sprechzeiten ist die Waldsee-Klinik für Notfälle da. Das war schon immer so, und dagegen wird sich auch unser Chefarzt nicht wehren.«
Manon war noch immer unsicher. »Glaubst du das wirklich?«
»Ja.« Liebevoll legte Dr. Daniel einen Arm um ihre Schultern, während er auf dem anderen noch immer seine kleine Tochter trug, dann fuhr er lächelnd fort: »Immerhin bin ich Direktor der Waldsee-Klinik, und da muß auch ein dynamischer Chefarzt wie Wolfgang Metzler klein beigeben.« Er wurde ernst.»Abgesehen davon, daß es in dieser Hinsicht noch nie Probleme gegeben hat. Wolfgang ist selbst Vater, daher weiß er sehr gut, wie dringend eine Mutter zu Hause gebraucht wird.« Er schmunzelte. »Falls er das vergessen haben sollte, werde ich ihn daran erinnern, wie er sich aufgeführt hat, als seine Frau wenigstens halbtags arbeiten wollte.«
Manon lächelte. »So etwas Ähnliches würde mir ja auch vorschweben.«
»Das läßt sich auch ganz bestimmt machen.« Er küßte sie. »Im übrigen bin ich auch noch da. Obwohl ich mich auf die Gynäkologie spezialisiert habe, halte ich mich durchaus für fähig, notfalls eine Erkältung oder einen verstauchten Fuß zu behandeln.«
»Ach, wirklich?« lachte Manon. »Da habe ich ja ein All-
roundgenie geheiratet. Das ist gut zu wissen.«
»Ja, in mir schlummern noch viele verborgene Talente«, spielte Dr. Daniel sich scherzhaft auf.
»Was sind verborgene Talente, Papa?« wollte Tessa wissen, die sich während des Gesprächs zwischen ihren Eltern erstaunlich ruhig verhalten hatte.
»Das sind Dinge, die man kann, ohne es zu wissen«, antwortete Dr. Daniel.
Tessa seufzte abgrundtief. »Das klingt aber schwierig.« Mit etwas schräg geneigtem Kopf sah sie ihren Vater an. »Habe ich so etwas auch?«
Dr. Daniel mußte lachen. »Ja, Tessa, ich denke schon. Deine verborgenen Talente werden sich erst richtig zeigen, wenn du mal zur Schule gehst.«
Tessa verzog das Gesicht. »Muß das sein, Papa? Schule ist langweilig.«
Manon zog die Augenbrauen hoch. »Woher hast du denn diese Weisheit?«
»Von Luigi«, erzählte Tessa bereitwillig, dann fügte sie ernsthaft hinzu: »Der weiß das! Der geht nämlich schon zur Schule.« Sie überlegte angestrengt. »Ungefähr seit einem Jahr.«
Dr. Daniel schmunzelte. »Das ist ja ganz beachtlich. Trotzdem fürchte ich, daß er da noch keine ausreichenden Erfahrungen gesammelt hat.«
»Die Kinder, mit denen ich gespielt habe, wenn sie in den Ferien hier waren, haben auch gesagt, die Schule wäre die blödeste Erfindung des Jahrhunderts«, wandte Tessa energisch ein.
Jetzt mußten Dr. Daniel und Manon herzhaft lachen.
»Also, Tessa, ich kann dir versichern – so schlimm ist die Schule wirklich nicht«, meinte Dr. Daniel. »Wenn wir erst mal in Steinhausen sind, kannst du dich darüber mal mit dem kleinen Rudi Scheibler unterhalten. Das ist der Sohn von unserem Oberarzt, der kommt im September schon in die vierte Klasse, das heißt, er geht bereits seit vier Jahren in die Schule.«
Aus großen Augen sah Tessa ihn an. »Vier Jahre! Dann muß er ja schon fast fertig sein.«
Dr. Daniel schmunzelte. »Na, bis dahin hat er noch ein Weilchen vor sich, aber Rudi geht sehr gern in die Schule, und ich bin sicher, dir wird es dort auch gefallen, Tessa.«
»Mal sehen«, meinte die Kleine, und es war offensichtlich, daß sie in dieser Richtung keine zu großen Eingeständnisse machen wollte. Aber sie liebte ihre Eltern von Herzen.
*
»Ich fahre jetzt los, Papa«, erklärte Elio Sandrini. »Chiara und ich müssen pünktlich in der Klinik sein.« Er warf einen kurzen Blick auf die wenigen Tische, die besetzt waren. »Im Moment ist es ja ziemlich ruhig, und bis zum Abend bin ich bestimmt wieder zurück.«
Paolo Sandrini nickte mit mürrischem Gesicht, was Elio natürlich nicht entging.
»Papa, ich habe dir erklärt…«, begann er, doch sein Vater ließ ihn gar nicht aussprechen.
»Ich weiß schon«, fiel er Elio ins Wort. »Diese Untersuchung ist ja so wichtig.« Seine Stimme triefte dabei vor Sarkasmus, dann sah er seinen Sohn mit funkelnden Augen an. »Ich hätte eine solche Frau längst zum Teufel geschickt, aber du läßt dir von Chiara ja auf der Nase herumtanzen. Nur eine kleine Träne, und schon wirst du in ihren Händen weich wie Wachs, und das weiß dieses Luder ganz genau.«
»Papa! Ich will nicht, daß du in dieser Weise über Chiara sprichst!« erklärte Elio energisch. »Sie ist immerhin deine Schwiegertochter, und als ich sie geheiratet habe, warst du überglücklich…«
»Weil ich dachte, daß ein so schönes Mädchen wundervolle Kinder zur Welt bringen würde«, erwiderte Paolo Sandrini. »Dabei ist sie in Wirklichkeit eine totale Niete!« Er überlegte einen Moment. »Aber wer weiß…, vielleicht ist diese Untersuchung ja gar nicht so schlecht. Ich traue ihr zu, daß sie irgend etwas gemacht hat, um nicht schwanger zu werden. Es gibt da diese komischen Dinger, die sich Frauen heutzutage einsetzen lassen, nur damit sie kein Kind bekommen.«
»Du bist unmöglich, Papa!« erklärte Elio, dann drehte er sich um und verließ die Pizzeria. Diese Diskussionen, bei denen sein Vater immer wieder derartige Verdächtigungen vorbrachte, gingen ihm allmählich auf die Nerven, und dabei merkte Elio gar nicht, wie die Pflänzchen des Mißtrauens, die sein Vater seit Monaten immer wieder gesetzt hatte, langsam ihre Wirkung zeigten.
Rasch stieg Elio in sein Auto und fuhr zu dem kleinen Haus, das er mit Chiara bewohnte. Sie mußten sich beeilen, wenn sie noch pünktlich bei der kleinen Klinik des Klosters eintreffen wollten.
Chiara wartete schon auf ihn, und Elio bemerkte, wie entsetzlich blaß sie war. Unwillkürlich mußte er an die Worte seines Vaters denken, und obwohl er diesen Verdacht weit von sich weisen wollte, blieb doch ein Rest Zweifel in ihm zurück.
Immer wieder ließ Elio einen Blick über seine zierliche Frau gleiten und fragte sich dabei, ob sie ihn wohl tatsächlich betrügen würde…, ob ihre Kinderlosigkeit womöglich tückische Berechnung war. Sein Gefühl lehnte diesen schrecklichen Verdacht kategorisch ab, doch in seinem