Dr. Daniel Staffel 6 – Arztroman. Marie Francoise
für alle Beteiligten, die Schwangerschaft zu beenden?« Er seufzte. »Verstehen Sie mich bitte nicht falsch…, das Baby kommt zu einem ungünstigen Zeitpunkt, aber irgendwie wäre es schon zu schaffen – vorausgesetzt, es ist gesund. Ein behindertes Kind…« Er wischte sich mit einer fahrigen Handbewegung über die Stirn. »O Gott, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, ohne daß es herzlos klingt.«
»Ich verstehe schon, was Sie meinen, Herr Horvath«, meinte Dr. Daniel. »Aber die Zuckerkrankheit Ihrer Verlobten rechtfertig zumindest im Augenblick noch keine Abtreibung, und vermutlich wird sich daran auch nichts ändern. Im übrigen besteht die eigentliche Gefahr nicht in einer Behinderung, sondern darin, daß das Kind im Mutterleib absterben könnte.« Beruhigend legte er eine Hand auf Olivers Schulter. »Ich werde mich sehr intensiv um Ihre Verlobte kümmern, das verspreche ich Ihnen, und die Chancen, daß Sie ein gesundes Kind bekommen werden, sind sehr groß, das kann ich Ihnen ebenfalls versichern. Glücklicherweise haben wir den Diabetes ja noch festgestellt, bevor er für das Kind gefährlich werden konnte.«
Oliver nickte ein wenig halbherzig.
»Wir stecken bis über den Hals in Schulden«, murmelte er. »Mit meinem Verdienst allein…, ich weiß nicht, wie wir das schaffen sollen…«
Dr. Daniel tauschte einen Blick mit seiner Frau, dann wandte er sich Oliver und Brigitte wieder zu.
»Auch da wird sich eine Lösung finden lassen«, meinte er und versuchte besonders zuversichtlich zu klingen, was ihm nicht so recht gelang. Für das junge Paar sah es im Moment jedenfalls sehr düster aus.
*
»Wie sollen wir den beiden nur helfen?« fragte Manon ratlos, als sie mit ihrem Mann den Flur entlangging. Sie hatten Brigitte und Oliver allein gelassen, weil sie gespürt hatten, daß das junge Paar jetzt für sich allein sein wollte.
Dr. Daniel zuckte die Schultern. »Im Augenblick habe ich da auch noch keinen konkreten Plan.« Er schwieg kurz. »Wenn die Diät etwas bewirkt, haben wir wenigstens ein Problem im Griff.« Er seufzte. »Ansonsten muß sie Insulin spritzen. Das wäre gerade im Hinblick auf ihre schlechte psychische Verfassung nicht sehr günstig.«
Manon nickte betrübt. »Sie tut mir so leid. Die finanzielle Belastung ist schon schlimm genug für sie, und dann auch noch Diabetes. Das arme Ding.«
»Wie ich vorhin schon sagte – es wird sicher eine Lösung geben«, meinte Dr. Daniel. »Entscheidend ist vorerst der gesundheitliche Aspekt.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr, dann gab er Manon die Autoschlüssel. »Fahr’ du einstweilen schon mal nach Hause, Liebes. Ich muß noch rasch nach Eva-Maria sehen. Das Mädchen macht mir ebenfalls große Sorgen.«
Manon nickte, dann berührte sie sanft seine Wange. »Sehen wir uns heute noch?«
»Natürlich, Manon«, versicherte Dr. Daniel. »In spätestens zwei Stunden bin ich zu Hause.« Er küßte sie. »Gib Tessa noch einen Gutenachtkuß von mir.«
»Da wird sie aber ziemlich enttäuscht sein«, vermutete Manon. »Du hast heute früh versprochen, ihr vor dem Schlafengehen noch eine Geschichte vorzulesen.«
»Ich weiß«, seufzte Dr. Daniel, und es tat ihm auch sichtlich leid, daß er sein Töchterchen enttäuschen mußte. »Vielleicht kannst du Stefan dazu überreden, dann ist sie wieder einigermaßen versöhnt. Und morgen nehme ich mir bestimmt Zeit für sie.«
Manon stellte sich auf Zehenspitzen und küßte sie zärtlich.
»Ich liebe dich, Robert«, flüsterte sie ihm zu, dann verließ sie die Klinik. Dr. Daniel sah ihr nach. Er wäre jetzt gern mit seiner Frau nach Hause gefahren, doch seine Sorge um Eva-Maria hielt ihn hier noch fest.
Eiligen Schrittes kehrte er zur Gynäkologie zurück und betrat dann nach kurzem Anklopfen das Zimmer des jungen Mädchens.
»Guten Abend, Eva-Maria«, grüßte er freundlich. »Wie fühlst du dich?«
Sie zuckte nur die Schultern. »Nicht besonders.«
Ohne große Umstände setzte sich Dr. Daniel auf die Bettkante. »Dann solltest du dir vielleicht mal alles von der Seele sprechen, und da du dich mit deinen Eltern nicht unterhalten willst…«
»Ich will mich mit niemandem unterhalten«, fiel Eva-Maria ihm ungehalten ins Wort.
Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Seit ich dich das letzte Mal gesehen habe, hast du dich sehr verändert. Was ist denn nur passiert?«
»Nichts«, antwortete Eva-Maria knapp und drehte dann demonstrativ den Kopf zur Seite.
»Mit diesem Verhalten kommst du bei mir nicht durch«, entgegnete Dr. Daniel ernst. »Hör mal, Eva-Maria, du warst mindestens im dritten Monat schwanger, und du machst mir nicht weis, daß du das nicht bemerkt hast. Trotzdem hast du dich nicht an deine Gynäkologin gewandt, um dir die Spirale entfernen zu lassen.«
Eva-Maria war bei diesen Worten bleich geworden. Irgendwie hatte sie nicht damit gerechnet, daß Dr. Daniel das alles so genau nachvollziehen könnte. Sie legte die Hände vors Gesicht und schluchzte hilflos auf.
»Ich dachte…, das Baby würde weggehen, wenn ich die Spirale drin lasse«, gestand sie unter Tränen. »Dann kamen die Schmerzen…, und das Blut…, und ich hatte Angst…« Aus verweinten Augen sah sie ihn an. »Er hätte mich doch nie geheiratet.«
So ähnlich hatte sich Dr. Daniel die ganze Sache schon vorgestellt.
»Wußtest du das bereits, bevor du dich mit ihm eingelassen hast?« wollte er wissen.
Eva-Maria schüttelte den Kopf. »Er war so lieb…, so zärtlich…, er hat mir den Himmel auf Erden versprochen…, bis er hatte, was er wollte.«
Besänftigend streichelte Dr. Daniel über das lange blonde Haar des Mädchens. »Und nun hast du Angst, daß deine Eltern dir Vorwürfe machen werden.«
Eva-Maria nickte, während noch immer Tränen über ihre Wangen rollten. »Sie müssen doch denken, ich würde mit jedem…, aber das ist nicht wahr. Tobi war mein erster fester Freund, und ich habe auch nicht gleich…, na ja, Sie wissen schon. Aber als er sagte, er würde mich immer lieben…, doch es war alles nur gelogen…« Wieder begannen die Tränen zu fließen.
Tröstend nahm Dr. Daniel das junge Mädchen in die Arme. »Nicht weinen, mein Kind. Ich kenne deine Eltern sehr gut, daher weiß ich ganz sicher, daß sie für dich Verständnis aufbringen werden.« Er schwieg einen Moment. »Wenn du möchtest, spreche ich zuerst mit ihnen.«
Mit tränennassen Augen blickte sie zu ihm auf.
»Das würden Sie wirklich tun, Herr Doktor?« fragte sie hoffnungsvoll, dann überzog verlegene Röte ihr zartes Gesicht. »Ich hätte Sie als Arzt behalten sollen, aber… Tobi hat gesagt, es wäre unschicklich, sich von einem Mann gerade da untersuchen zu lassen.«
Dr. Daniel seufzte. »Seltsamerweise vertreten gewisse junge Männer häufig diese Ansicht, haben ihrerseits aber keine Hemmungen, ein Mädchen in Schwierigkeiten zu bringen.« Aufmunternd tätschelte er Eva-Marias Gesicht. »Aber keine Sorge, es kommt jetzt wieder alles in Ordnung. Was die Fehlgeburt und die verirrte Spirale angeht, bist du ja noch mal mit dem Schrecken davongekommen.« Dabei verschwieg er, wie nahe Eva-Maria dem Tod gewesen war. »In ein paar Tagen können wir Katheder und Infusion entfernen, dann wird es dir bald wieder bessergehen. Und das mit deinen Eltern halte ich auch für kein allzu großes Problem. Noch heute werde ich mit ihnen sprechen.«
Dankbar drückte Eva-Maria seine Hand. »Wie soll ich das jemals gutmachen, Herr Doktor?«
»Indem du schnell gesund wirst und künftig gut auf dich aufpaßt.«
Eva-Maria nickte eifrig. »Das mache ich bestimmt, Herr Doktor, ich verspreche es.«
*
Die traurigen Augen ließen Sàndor nicht mehr los. Den ganzen Abend über saß er in seinem Zimmer und starrte vor sich hin. Dabei sah er vor seinem geistigen Auge immer wieder das blasse Mädchengesicht mit dem Blick, der ihn mitten ins Herz getroffen hatte.
Schließlich