Dr. Daniel Staffel 6 – Arztroman. Marie Francoise
was tun Sie denn noch hier?«
Der junge Mann erschrak, als hinter ihm so unerwartet die tiefe Stimme von Dr. Metzler erklang. Verlegene Röte überzog sein Gesicht, als er sich umdrehte.
»Es ist…, eine Patientin…, der Gedanke an sie läßt mir einfach keine Ruhe«, gestand Sàndor unsicher.
Dr. Metzler runzelte die Stirn. »Wenn die Sorge um eine Patientin Sie hierhertreibt, dann ist das durchaus in Ordnung. Eines sollten Sie allerdings wissen: Ich sehe es nicht gern, wenn jemand vom Personal etwas mit einem Patienten anfängt, denn meistens ist das nichts weiter als ein flüchtiges Abenteuer, und Sie können sich darauf verlassen, daß ich dem einen Riegel vorschieben würde.«
Sàndors verlegene Röte vertiefte sich bei diesen Worten noch.
»Das will ich ganz bestimmt nicht, Herr Chefarzt«, versicherte er. »Es ist wirklich nur…, sie war so traurig…, und…« Dr. Metzlers forschender Blick verunsicherte ihn immer mehr, so daß er schließlich schwieg.
»Gehen Sie zu der Patientin und vergewissern Sie sich, daß es ihr gut geht«, riet Dr. Metzler ihm. »Danach fahren Sie wieder nach Hause. Sie haben morgen einen anstrengenden Dienst vor sich.«
Sàndor nickte. »Ja, Herr Chefarzt.«
Er zögerte noch sekundenlang, dann ging er eiligen Schrittes in die Gynäkologie hinüber, lief die Treppe hinauf und stand schließlich schwer atmend vor dem Zimmer, in dem er Eva-Maria Neubert wußte. Er hatte den Chefarzt nicht belogen, aber er hatte ihm dennoch nicht die ganze Wahrheit gesagt. Es war mehr als nur Sorge, was ihn hierhergetrieben hatte – wenn er auch bestimmt kein flüchtiges Abenteuer im Sinn hatte. So etwas lag ihm nicht. Er nahm Gefühle sehr ernst.
Jetzt öffnete er leise die Tür und spähte ins Zimmer. Eva-Maria schlief. Der schwache Lichtschein, der vom Flur aus in ihr Zimmer fiel, ließ ihr Gesicht zart und zerbrechlich aussehen. Langsam ging Sàndor näher und betrachtete das junge Mädchen. Ihr Gesicht wirkte gelöst…, friedlich – ganz anders als heute nachmittag, wo er mit Bianca hier gewesen war. Ob Dr. Daniel ihr wohl hatte helfen können?
»Hoffentlich«, flüsterte Sàndor und berührte mit einer sanften Geste das weiche blonde Haar, das wie ein Fächer auf dem Kopfkissen lag.
Eva-Maria bewegte sich im Schlaf. Erschrocken fuhr Sàndor zurück, als hätte er etwas Verbotenes getan, dann verließ er leise das Zimmer. Er wollte von Eva-Maria nicht entdeckt werden, weil er nicht gewußt hätte, wie er ihr seinen nächtlichen Besuch hätte erklären sollen.
Als er auf dem Flur stand, blickte er sich unwillkürlich um und war froh, daß der Chefarzt nicht in der Nähe war. Er durchquerte die Eingangshalle und kehrte dann nach Hause zurück. Dabei wußte er, daß heute etwas mit ihm geschehen war – etwas Großes…, Gewaltiges. Doch er war nicht sicher, ob es auch gut für seine Zukunft sein würde.
*
Dr. Daniels stille Hoffnung erfüllte sich nicht. Bereits nach den ersten Tagen zeichnete sich ab, daß eine Diät allein nicht ausreichte, um Brigitte Kleins Diabetes in den Griff zu bekommen. Wenigstens im Falle von Eva-Maria Neubert war Besserung in Sicht. Sie hatte sich recht gut erholt, und Dr. Daniel hatte zwischen ihr und ihren Eltern erfolgreich vermitteln können. Die Neuberts waren von jeher eine Familie gewesen, die eng zusammengehalten hatte, und daran änderte auch die Schwangerschaft ihrer Tochter, die so dramatisch verlaufen war, nichts.
»Was ist mit Fräulein Klein?«
Die Frage seiner Frau riß Dr. Daniel aus seinen Gedanken. Mit einem tiefen Seufzer blickte er von seinen Unterlagen auf.
»Wir müssen auf Insulin zurückgreifen«, erklärte er. Bekümmert schüttelte er den Kopf. »Wie soll ich ihr das nur beibringen? Sie ist im Moment ohnehin so labil.« Wieder seufzte er. »Wenn ich ihr wenigstens eine Lösung für die finanziellen Probleme anbieten könnte, die sie und ihr Verlobter haben.« Er fuhr sich mit einer Hand durch das dichte blonde Haar. »Sie muß ja den Eindruck haben, als würde ihre Lage immer schlimmer werden.«
»So ähnlich ist es ja leider auch«, meinte Manon. Sie schwieg kurz. »Weißt du, wie hoch ihre Schulden sind?«
Dr. Daniel nickte. »Herr Horvath hat es mir gesagt. Der Betrag ist zu hoch, als daß ich ihnen helfen könnte. Daran hatte ich nämlich im ersten Moment gedacht.«
»Und ihre Eltern? Können sie von dieser Seite keine Unterstützung bekommen?«
Dr. Daniel schüttelte den Kopf. Genau das hatte er Oliver Horvath auch gefragt, doch der junge Mann hatte keine Eltern mehr, und die Kleins hatten Mühe überhaupt mit der spärlichen Rente zu Rande zu kommen. An eine Unterstützung für ihre Tochter und den zukünftigen Schwiegersohn war nicht zu denken.
»Das sieht ja wirklich hoffnungslos aus«, urteilte Manon. »Wenn man nur…«
Ein zaghaftes Klopfen an der Tür unterbrach sie.
»Ja, bitte!« rief Dr. Daniel.
Im nächsten Moment trat seine Sprechstundenhilfe Sarina von Gehrau ein.
»Ich weiß schon, das Wartezimmer ist brechend voll, und Sie wollen wissen, wann ich endlich mit der Sprechstunde beginnen werde«, vermutete Dr. Daniel und brachte dabei sogar ein leichtes Schmunzeln zustande.
Doch Sarina schüttelte den Kopf. »Nein, Herr Doktor, deshalb bin ich nicht hier.« Sie lächelte. »Wobei ich allerdings zugeben will, daß im Wartezimmer tatsächlich schon ein paar Patientinnen sitzen.« Dann wurde sie wieder sehr ernst. »Gabi und ich machen uns große Sorgen um Brigitte. Wie geht es ihr denn?«
»Nicht sehr gut«, gab Dr. Daniel zu. »Die Schwangerschaft gestaltet sich schwierig, und dazu kommen leider auch noch private Probleme.«
Sarina erschrak. »Hat Oliver etwa mit ihr Schluß gemacht?«
»Sie scheinen ja außerordentlich gut Bescheid zu wissen«, stellte Dr. Daniel fest.
»Nun ja, seit Eröffnung der Gemeinschaftspraxis haben Brigitte, Gabi und ich uns angefreundet«, gestand Sarina. »Es ist nicht so, daß wir ständig zusammenstecken würden, aber wir verstehen uns gut und haben eben auch oft über private Dinge miteinander gesprochen.«
Dr. Daniel nickte. »Dann wissen Sie vermutlich auch, daß Fräulein Klein und ihr Verlobter in finanziellen Schwierigkeiten stecken.«
»Ja und nein. Brigitte hat nur erzählt, daß sie und Oliver bauen wollen, und natürlich sind Gabi und ich nicht so naiv zu denken, so etwas ließe sich aus dem Handgelenk schütteln.« Und dann begriff sie plötzlich. »Wenn Brigitte erst entbunden hat, fällt für eine ganze Weile ihr Verdienst weg.«
Dr. Daniel nickte. »Es sieht für die beiden im Moment wirklich ziemlich bitter aus.« Er seufzte. »Trotzdem müssen wir uns jetzt erst mal um die Sprechstunde kümmern.«
»Das gilt auch für mich«, fügte Manon hinzu, dann sah sie Sarina an. »Können Sie bei mir drüben auch ein bißchen nach dem Rechten sehen?«
»Das ist doch gar keine Frage, Frau Doktor«, entgegnete Sarina, ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen. »Solange Brigitte ausfällt, übernehmen Gabi und ich selbstverständlich ihre Pflichten.«
»Danke, Fräulein Sarina. Das ist sehr lieb von Ihnen, und das werde ich bei Gelegenheit auch Ihrer Kollegin sagen.«
Manon verabschiedete sich mit einem zärtlichen Kuß von ihrem Mann, dann folgte sie der jungen Sprechstundenhilfe nach drau-ßen.
»Sehr lange müssen Sie diese Doppelbelastung aber nicht mehr ertragen«, versprach sie. »Ich werde mich demnächst um eine Nachfolgerin für Fräulein Klein kümmern.«
Sarina war sichtlich überrascht. »Kommt Brigitte denn vor der Entbindung nicht mehr in die Praxis?«
Manon zögerte, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, damit ist wohl kaum zu rechnen. Im Moment läßt das weder ihre körperliche noch ihre psychische Verfassung zu.«
Sarina war zutiefst betroffen.
»Stell