Stille Nacht light. Usch Hollmann

Stille Nacht light - Usch  Hollmann


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      Er war gerade bei der letzten Textzeile angelangt, und ich sang mit: „May your days be merry and bright, and may all your Christmasses be white ... bzw. light“.

      Weihnachten am 24. September

      Gibt es nicht in fast jeder Familien ein Mitglied, das – um es vorsichtig auszudrücken – ein bisschen aus der Spur läuft? Einen spleenigen, skurrilen Typen, ein Original?

      In unserer Familie jedenfalls gibt es solch ein Exemplar, unseren Onkel Hubert. Nicht, dass er ein wirklicher Exzentriker wäre, nein, seine Macken sind zwar zahlreich, aber durchaus liebenswert, weswegen wir, seine Verwandten, ihn ganz besonders gern mögen. Und seine „ehemalige Verlobte“, wie er bisweilen unsere Tante Uta nennt, mit der er seit fast vierzig Jahren verheiratet ist, ist aus ähnlichem Holz geschnitzt.

      Neben anderen Besonderheiten schätzen wir z. B. ihre Art, Glückwünsche oder Urlaubskarten zu formulieren, wovon ich als Nichte besonders profitiere.

      Onkel Hubert und Tante Uta sind zu ihrem Leidwesen kinderlos, was sich aber für mich durchaus als Vorteil erweist, da sie mich offensichtlich so sehr in ihre Herzen geschlossen haben, dass kein Geburtstag, kein Weihnachtsfest vergeht, ohne dass sie an mich denken.

      Einmal erhielt ich eine Weihnachtskarte, auf der Vorderseite bedruckt mit „Frohes Fest“ und Tannenzweigen und Kerzen und Goldflitter und allem nur erdenklichen Weihnachtskitsch. Auf der Rückseite warnte eine kleine Notiz in Onkel Huberts Handschrift: „Vorsicht, diese Karte wurde aus 100% recyceltem Toilettenpapier gefertigt – nach dem Lesen bitte gründlich die Hände waschen.“

      Tante Uta liebt es, Kartengrüße in Reimform zu verschicken. Mal kurz und knapp, wie „Was nützen Dir Grüße von Hinz und Kunz? Stattdessen sei herzlich gegrüßt von uns“, mal ausführlicher. Als ihr einmal ihres Rheumas wegen ein Aufenthalt in einer Kurklinik verordnet worden war, erhielt die Verwandtschaft einen Lagebericht mit folgendem Inhalt:

      „Wer alt und krank und schicksalsergeben,

      kann hier vielleicht nochmal etwas erleben.

       Doch wenn der Masseur mit starken Händen

      traktiert die Gegend deiner Lenden,

       möchtest du an die Decke springen

      und hörst vor Schmerz die Englein singen.

      Und sonst? Kurschatten? Nein, lieber nicht

      die Auswahl erleichtert dir den Verzicht.

      Drum rate ich Kranken und allen Gesunden,

       Kurkliniken möglichst weit zu umrunden!“

      Nachdem Onkel Hubert sich zur Anschaffung eines Computers und gleichzeitig zur Teilnahme an einem Computerkursus entschlossen hatte – „Man muss ja mit der Zeit gehen, auch wenn’s schwerfällt“ – blieben die Postkartengrüße aus. Dafür erreichten mich Urlaubsberichte per E-Mail von seinem Laptop, auf die ich mit der Zeit genauso erwartungsvoll lauerte, zumal sie detaillierter waren.

      Die erste von vielen Mails kam von einer Kreuzfahrt, zu der er und Tante Uta sich von wohlmeinenden Freunden hatten überreden lassen. Eine Kreuzfahrt sei der absolute Hit, den man sich besonders im etwas fortgeschrittenen Alter nicht entgehen lassen solle – wenn man es sich denn leisten könne.

      Tante Uta und Onkel Hubert konnten es sich leisten, aber besonders Tante Uta hatte sich lange gegen die Teilnahme an solchen Reisen gewehrt. Sie hatte gegen Kreuzfahrtschiffe generell große Vorbehalte, nicht nur der desaströsen Umweltschäden wegen, die dieses verursachen, sondern auch, weil sie sie für „schwimmende Altersresidenzen“ hielt. Was sie dennoch bewogen hatte, an einer solchen Schiffsreise teilzunehmen, blieb uns allen ein Rätsel. Aber wir freuten uns auf entsprechende Mails, besonders als sich schon nach ein paar Tagen herausstellte, dass Kreuzfahrten, entsprechend Tante Utas Befürchtungen, sich doch nicht als der absolute Hit erwiesen.

      Onkel Hubert schrieb – nach Utas Diktat – unter anderem:

       „Das tollste Erlebnis auf hoher See

      ist die tägliche Schlacht am kalten Büffet,

      wenn bei effektvoll gedimmtem Licht,

      der Käpten launige Grußworte spricht.

      Einhundert Rollatorgestützte Senioren,

      eröffnen den Einzug der Gladiatoren,

      die sich mit Kampfgeist und Siegeswillen,

       unter Hauen und Stechen die Teller füllen.“

      Zahlreiche ähnliche Schilderungen folgten, und die ganze Verwandtschaft hatte ihr Vergnügen daran.

      Ab Anfang Mai jedoch bekamen Onkel Huberts Mails eine völlig andere Klangfarbe.

      „Ihr Lieben alle. Eure Tante Uta hat vom Arzt den dringenden Rat erhalten, ihres Rheumas wegen den norddeutschen Winter künftig zu meiden und stattdessen von Oktober bis März den wärmeren Süden vorzuziehen. Wir haben uns schon um eine entsprechende Winterresidenz gekümmert und werden in diesem Jahr erstmalig testen, ob die südliche Wärme ihr guttut. Ab Oktober sind wir dann mal weg (s. Anhang). Euer Onkel Hubert.“

      Der „Anhang“ zeigte eine hübsche kleine Finca unter blauem Himmel vor blauem Meer und weißem Strand.

      Ich erschrak und mailte zurück, wie leid es mir Tante Utas wegen tue, fügte aber hinzu:

      „Und was wird aus Weihnachten?“

      Weihnachten ohne Onkel Hubert und Tante Uta ist für mich nämlich unvorstellbar, schon wegen der heißersehnten „Quatschgeschenke“, die ich jährlich von ihnen erhalte, wenn ich sie am Spätnachmittag des Heiligen Abends besuche.

      Tante Uta liebt Weihnachten. Sie ist, um es im heutigen Sprachgebrauch zu formulieren, ein „Weihnachts freak“. Sie gestaltet das Fest noch immer wie „anno dunnemals“, wie sie es selber nennt. Also mit Tannenbaum und Weihnachtsliedern und einem Besuch der Christmette – und mit Geschenken. Sie selber wollen zwar absolut keine Geschenke – Kind, wir haben doch alles! – aber sie lieben es, selber Geschenke zu machen, sorgfältig ausgesuchte „Quatschgeschenke“. Es handelt sich dabei immer um irgendeinen mehr oder weniger originellen Tinnef. Einmal war es eine geschmacklose Spieldose aus Taiwan mit schrecklich falsch geklimperten Weihnachtsliedern, ein anderes Mal eine chinesische Schneekugel mit nur notdürftig bekleideten, mandeläugigen Engelchen darin. Im letzten Jahr fand ich in meinem Päckchen einen feuerroten Flaschenöffner, der bei Benutzung zuerst ein gluckerndes Geräusch und dann das bierselige Lachen von Homer Simpson ertönen lässt. Der war in der Folge bei jeder zu öffnenden Bierflasche natürlich der Clou im Freundeskreis, zumindest bei den Fans der Zeichentrickserie aus dem Fernsehen.

      An irgendeiner Stelle des Päckchens ist immer ein Geldschein versteckt, den es zu entdecken gilt und den ich nach Gutdünken verwenden darf. Aber das „Quatschgeschenk“ ist mir immer noch wichtiger. Jedes Jahr freue ich mich darauf. Und damit soll nun Schluss sein, wenn die beiden womöglich irgendwo in der Pampa weilen, wo es keine Quatschgeschenke zu kaufen gibt?

      Ich fürchtete um meine größte Weihnachtsfreude.

      Onkel Hubert mailte postwendend zurück – wobei postwendend vielleicht nicht der korrekte Ausdruck ist:

      „Liebe Nichte. Keine Panik, ich denke mir was aus. OH“

      Damit war ich zunächst


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