Stille Nacht light. Usch Hollmann
mit einem Topf, in welchem die heißen Würstchen schwammen, Onkel Hubert brachte den Senf und kühles Bier dazu. Und er sollte wie immer Recht behalten: Kartoffelsalat und Würstchen schmecken sogar an einem heißen Sommerabend.
Plötzlich ließ er Messer und Gabel fallen und schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn.
„Annette, ich habe ja das jährliche Geschenk für dich vergessen. Wie konnte mir das passieren?“ Er sah mich hilflos und entgeistert an.
Ich beruhigte ihn: „Onkel Hubert, wenn du keine größeren Sorgen hast …“ Er sah zu seiner Frau hinüber. „Annette hat mir nämlich tatkräftig bei dieser ganzen komplizierten Aktion geholfen und nun …“
„Ich weiß, mein Schatz, deshalb habe ich daran gedacht“, sagte Tante Uta. Onkel Hubert und ich sahen uns an, der Mund blieb uns beiden offen stehen. „Wie bitte, du weißt …“
„Ihr habt das insgesamt sehr clever eingefädelt, aber ich habe inzwischen den kleinen Henry von gegenüber als Computerlehrer engagiert – ich kann zwar noch nicht viel, aber die Maus bedienen und Mails abrufen ist ja einfach.“
Dann stand sie auf, holte ein in Weihnachtspapier eingepacktes Päckchen und überreichte es mir. „Ein neues Quatschgeschenk für dich, liebe Annette. Und es ist von keiner Jahres- oder Tageszeit abhängig und jederzeit einsetzbar.“
Das war nun wirklich das beste Quatschgeschenk aller Zeiten: Ein Klopapierhalter mit eingebauter Spieluhr, mit einem Drehschlüssel immer wieder aufzuziehen, und dazu passend eine Rolle Toilettenpapier, deren einzelne Blätter mit Fünfzigeuroscheinen bedruckt sind. (Der dritte Schein erwies sich übrigens als echt.) Und wenn man ein Blatt abzieht, erklingt das Lied: „Oh wie so trügerisch sind Weiberherzen“.
„Genau“, seufzte Onkel Hubert und wischte sich neuerlich den Schweiß von der Stirn. Herr und Frau Gruber räumten lächelnd den Tisch ab und zogen sich dezent zurück. „Vielen Dank für den schönen Abend. Diese Weihnachten werden wir wohl nie vergessen“.
Wir saßen bis zum Einbruch der Dunkelheit auf der Terrasse. Es war noch immer sehr heiß und der Rasensprenger lief ununterbrochen. Im Wohnzimmer plumpste von Zeit zu Zeit eines der Überraschungseier mit dumpfem Aufprall zu Boden. Onkel Hubert brach von einer der Tannen im Garten einen Zweig ab, hielt sein brennendes Feuerzeug unter die Nadeln und sorgte so für weihnachtlichen Duft. Tante Uta schnupperte glücklich an ihrer roten Rose.
Am 25. Dezember erreichte mich folgende Mail:
„Liebe Annette, das Thermometer zeigt 23°, es blühen viele Bäume und Sträucher, sogar Rosen sind schon ‚entsprungen‘. Wie gut, dass wir den heiligen Abend schon vorgefeiert haben. Hier begeht man Weihnachten ganz anders, überhaupt nicht besinnlich, sondern fröhlich, laut und bunt. Nein, unser Weihnachten macht uns keiner nach!“
Recht hast du, Onkel Hubert!
* siehe dazu den Anhang mit Rezepten
Weihnachten ohne Geschenke?
„Na, freust du dich auf Weihnachten?“, fragte die Verkäuferin im Schuhgeschäft unsere Tochter, während sie ihr die Tüte mit den neuen Hausschuhen überreichte.
Jette sah erst die Verkäuferin, dann mich unsicher an.
„Nein, überhaupt nicht“.
„Wie, du freust dich nicht? Aber alle Kinder freuen sich doch auf Weihnachten, auf den Weihnachtsbaum, auf die Geschenke …“
„Bei uns gibt es dieses Jahr keine Geschenke, und darum freue ich mich auch nicht“, gab Jette trotzig Auskunft.
Die Verkäuferin sah mich fragend an.
„Ja, das ist bei uns in diesem Jahr so …“ Ich suchte nach passenden Worten. Schließlich wollte ich diese im Grunde fremde Frau nicht mit dem Thema konfrontieren, dass in unserer Familie seit Wochen temperamentvoll, zum Teil sehr temperamentvoll diskutiert worden war: Weihnachten ohne Geschenke.
Auf die Idee war mein Schwiegervater gekommen. Es mache ihn traurig und sogar wütend, dass die heutige Weih nacht völlig sinnentleert sei und nur noch der Geschenke wegen veranstaltet werde. „Nichts als Konsumterror – den ursprünglichen Sinn von Weihnachten kennt kaum noch jemand, alle denken nur noch an Geschenke. Dabei habt ihr alles, die Kleiderschränke sind voll und in den Kinderzimmern liegt der bunte Plastikschrott herum – schon die Kleinen hängen stundenlang vor der Glot ze oder tändeln ununterbrochen mit ihrem fiependen Elektronikkrempel rum, nein, ohne mich. Wenn ihr mich dabeihaben wollt, dann nur, wenn es einmal ein Weihnachten ohne Geschenke gibt, basta.“
„Und wie stellst du dir den Ablauf des Heiligen Abends vor, ohne das Auspacken von Geschenken, ohne Überraschungen?“, fragte mein Mann seinen Vater.
„Wir können ja mal wieder das Weihnachtsevangelium lesen oder die alten Weihnachtslieder selber singen, anstatt uns von einer CD berieseln zu lassen. Gegen den traditionellen Kartoffelsalat mit Würstchen habe ich nichts einzuwenden, und danach könnten wir uns was erzählen, z. B., wie wir früher Weihnachten feierten, als noch nicht der Überfluss das Fest prägte, oder wie es war, wenn der Nikolaus kam, oder …“
„Den Part des Erzählers übernimmst dann aber du, Vater“, sagte mein Mann. „Und stell dich darauf ein, dass Jette und Tim womöglich vor Langeweile einschlafen oder an ihren Fingernägeln kauen werden. Überhaupt: Was sollen sie nach den Ferien ihren Freunden erzählen, wenn sie kein einziges Geschenk vorzeigen können?“
„Ach, das kommt auf einen Versuch an – die sind ja nicht dumm, es wird ihnen schon etwas einfallen. Ihr kennt jetzt meine Bedingungen: Ich komme nur, wenn ihr das Experiment „Weihnachten ohne Geschenke“ mitmacht. Mal sehen, ob ihr noch risikofreudig seid.“
Nun hatten wir also für die nächste Zeit reichlich Gesprächsstoff. Nicht nur mein Mann und ich wälzten das Thema hin und her. Wir diskutierten darüber auch mit unseren Freunden. Bei den meisten stießen wir auf Unverständnis, bei manchen jedoch auch auf Zustimmung. Einige fanden sogar, unsere Kinder, acht und elf Jahre alt, hätten einen sehr mutigen Großvater.
Schließlich einigten mein Mann und ich uns darauf, das Experiment zu wagen. Ja, wir erkannten sogar ein paar Vorteile: Kein endloses Herumlaufen in überfüllten Läden, kein sinnloses Geldausgeben, keine absehbaren Enttäuschungen – wir freundeten uns mit dem Gedanken geradezu an.
Nur ein Problem schoben wir ungelöst vor uns her: Wie sollten wir es den Kindern sagen?
Um die Nikolauszeit überreichte mir Jette ihren Wunschzettel. Er war lang, aber ihre Wünsche erwiesen sich als bescheiden. Unter anderen kindlichen Kuriositäten wünschte sie sich vor allem einen durchsichtigen Teddy aus Plexiglas mit Innenbeleuchtung als Leuchte für ihr Zimmer. In Klammern stand daneben, alle ihre Freundinnen hätten diesen süüüßen Teddy, es gebe in ihn in dem und dem Geschäft zu kaufen und er koste höchstens 39,– Euro.
Tim verzichtete darauf, uns schriftlich seinen einzigen Wunsch mitzuteilen, aber er ließ sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit enthusiastisch über die Vorteile eines neuen iPhone als dem Wunderwerk modernster Technik aus.
„Wir müssen es den Kindern endlich mitteilen, dass es dieses Jahr keine Geschenke geben wird“, sagte ich zu meinem Mann. „Das heißt – du musst es ihnen sagen, schließlich hatte dein Vater die Idee.“
Mein Mann seufzte. „Jaja ... da haben wir uns was eingebrockt.“
Am zweiten Adventssonntag, morgens beim gemeinsamen Frühstück, hielt er den richtigen Zeitpunkt für ge kommen. Locker und wie nebenbei wandte er sich an Tim: „Gibst du mir mal die Kaffeekanne rüber? Die war vor fünf Jahren das letzte Geschenk von Großmutter, ein sehr notwendiges Geschenk, nachdem bei unserer alten Kanne der Glaszylinder geplatzt war … kurz darauf ist Großmutter ja gestorben, und seitdem kommt Großvater Weihnachten immer zu uns. Übrigens – dieses