Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte. Wilhelm Hauff

Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte - Wilhelm  Hauff


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und andere Fräulein werden wir selbst näher kennenlernen.>

      Der Wagen hielt, der Bediente riß den Schlag auf und half meinem bangen Mentor heraus; schweigend zogen wir die erleuchtete Treppe hinan; ein lieblicher Ambraduft wallte uns aus dem Vorzimmer entgegen; Geräusch vieler Stimmen und das Gerassel der Teelöffel tönte aus der halbgeöffneten Türe des Salons, auch diese flog auf, und umstrahlt von dem Sonnenglanz der schwebenden Lüsters, saß im Kreise die Gesellschaft.>

      Der Dichter führte uns vor den Sitz der gnädigen Frau und stellte den Doktor Mucker und seinen Eleven, den jungen Baron von Stobelberg, vor. Huldreich neigte sich die Matrone, und reichte uns die schöne zarte Hand, indem sie uns freundlich willkommen hieß; mit jener zierlichen Leichtigkeit, die ich einem Wiener Incroyable abgelauscht hatte, faßte ich diese zarte Hand, und hauchte ein leises Küßchen der Ehrfurcht darüber hin. Die artige Sitte des Fremdlings schien ihr zu gefallen, und gern gewährte sie dem Mentor des wohlgezogenen Zöglings die nämliche Gunst; aber o Schrecken! indem er sich niederbückte, gewahrte ich, daß sein grauer, stechender Judenbart nicht glatt vom Kinn wegrasiert sei, sondern wie eine Kratzbürste hervorstehe; die gnädige Frau verzog das Gesicht grimmig bei dem Stechkuß, aber der Anstand ließ sie nicht mehr, als ein leises Gejammer hervorstöhnen; wehmütig betrachtete sie die schöne weiße Hand, die rot aufzulaufen begann, und sie sah sich genötigt im Nebenzimmer Hülfe zu suchen; ich sah, wie dort ihre Zofe aus der silbernen Toilette Kölnisches Wasser nahm und die wunde Stelle damit rieb; sodann wurden schöne glacierte Handschuhe geholt, die Käppchen davon abgeschnitten, so daß doch die zarten Fingerspitzen hervorsehen konnten, und die gnädige Hand damit bekleidet.>

      Indessen hatten sich die jungen Damen unsere Namen zugeflüstert, die Herren traten uns näher und befragten uns über Gleichgültiges, worauf wir wieder Gleichgültiges antworteten, bis die Seele des Hauses wieder hereintrat. Die Edle wußte ihren Kummer um die aufgelaufene Hand so gut zu verbergen, daß sie nur einem häuslichen Geschäft nachgegangen zu sein schien, und sogar der »alte Sünder« selbst nichts von dem Unheil ahnete, das er bewirkt hatte.>

      Die einzige Strafe war, daß sie ihm einen stechenden Blick für seinen stechenden Handkuß zuwarf, und> mich> den ganzen Abend hindurch auffallend vor ihm auszeichnete.>

      Die Leser werden gesehen haben, daß es ein ganz eleganter Tee war, zu welchem uns der Dichter geführt hatte; die massive silberne Teemaschine, an welcher die jüngere Tochter Tee bereitete, die prachtvollen Lüsters und Spiegel, die brennenden Farben der Teppiche und Tapeten, die künstlichen Blumen in den zierlichsten Vasen, endlich die Gesellschaft selbst, die in vollem Kostüm, schwarz und weiß gemischt war, ließen auf den Stand und guten Ton der Hausfrau schließen.>

      Der Tee wies sich aber auch als ästhetisch aus; gnädige Frau bedauerte, daß wir nicht früher gekommen seien; der junge Dichter Frühauf habe einige Dutzend Stanzen aus einem Heldengedicht vorgelesen, so innig, so schwebend, mit so viel Musik in den Schlußreimen, daß man in langer Zeit nichts Erfreulicheres gehört habe; es stehe zu erwarten, daß es allgemein Furore in Deutschland machen werde.>

      Wir beklagten den Verlust unendlich, der bescheidene, lorbeerbekränzte junge Mann versicherte uns aber unter der Hand, er wolle uns morgen in unserm Hotel besuchen, und wir sollten nicht nur die paar Stanzen, die er hier preisgegeben, sondern einige vollständige Gesänge zu hören bekommen.>

      Das Gespräch bekam jetzt aber eine andere Wendung; eine ältliche Dame ließ sich ihre Arbeitstasche reichen, deren geschmackvolle und neue Stickerei die Augen der Damen auf sich zog; sie nahm ein Buch daraus hervor und sagte mit freundlichem Lispeln: »Voyez-là das neueste Produkt meiner genialen Freundin Johanna; sie hat es mir frisch von der Presse weg zugeschickt, und ich bin so glücklich, die erste zu sein, die es hier besitzt; ich habe es nur ein wenig durchblättert, aber diese herrlichen Situationen, diese Szenen, so ganz aus dem Leben gegriffen, die Wahrheit der Charaktere, dieser glänzende Stil –«>

      »Sie machen mich neugierig, Frau von Wollau«, unterbrach sie die Dame des Hauses, »darf ich bitten –? ah, ›Gabriele‹, von Johanna von Schopenhauer; mit dieser sind Sie liiert, meine Liebe? da wünsche ich Glück.«>

      »Wir lernten uns in Karlsbad kennen«, antwortete Frau von Wollau, »unsere Gemüter erkannten sich in gleichem Streben nach veredeltem Ziel der Menschheit, sie zogen sich an, wir liebten uns; und da hat sie mir jetzt ihre ›Gabriele‹ geschickt.«>

      »Das ist ja eine ganz interessante Bekanntschaft«, sagte Fräulein> Natalie>, die ältere Tochter des Hauses; »ach! wer doch auch so glücklich wäre! es geht doch nichts über eine geniale Dame; aber sagen Sie, wo haben Sie das wunderschöne Stickmuster her, ich kann ihre Tasche nicht genug bewundern.«>

      »Schön, – wunderschön! – und die Farben! – und die Girlanden! – und die elegante Form!« hallte es von den Lippen der schönen Teetrinkerinnen und die arme »Gabriele« wäre vielleicht über dem Kunstwerk ganz vergessen worden, wenn nicht unser Dichter sich das Buch zur Einsicht erbeten hätte. »Ich habe die interessantesten Szenen bezeichnet«, rief die Wollau, »wer von den Herren ist so gefällig, uns, wenn es anders der Gesellschaft angenehm ist, daraus vorzulesen?«>

      »Herrlich – schön – ein vortrefflicher Einfall –« ertönte es wieder, und unser Führer, der in diesem Augenblicke das Buch in der Hand hatte, wurde durch Akklamation zum Vorleser erwählt; man goß die Tassen wieder voll und reichte die zierlichen Brötchen umher, um doch auch dem Körper Nahrung zu geben, während der Geist mit einem neuen Roman gespeist wurde, und als alle versehen waren, gab die Hausfrau das Zeichen, und die Vorlesung begann.>

      Beinahe eine Stunde lang las der Dichter mit wohltönender Stimme aus dem Buche vor; ich weiß wenig mehr davon, als daß es, wenn ich nicht irre, die Beschreibung von Tableaux enthielt, die von einigen Damen der großen Welt aufgeführt wurden; mein Ohr war nur halb oder gar nicht bei der Vorlesung; denn ich belauschte die Herzensergießungen zweier Fräuleins, die, scheinbar aufmerksam auf den Vorleser, einander allerlei Wichtiges in die Ohren flüsterten. Zum Glück saß ich weit genug von ihnen, um nicht in den Verdacht des Lauschens zu geraten, und doch war die Entfernung gerade so groß, daß ein Paar gute Ohren alles hören konnten; die eine der beiden war die jüngere Tochter des Hauses, die, wie ich hörte, an einen Gardelieutenant ihr Herz verloren hatte.>

      »Und denke dir«, flüsterte sie ihrer Nachbarin zu, »heute in aller Frühe ist er mit seiner Schwadron vorbeigeritten, und unter meinem Fenster haben die Trompeter den Galoppwalzer von letzthin anfangen müssen.«>

      »Du Glückliche!« antwortete das andere Fräulein, »und hat Mama nichts gemerkt?«>

      »So wenig als letzthin, wo er mich im Kotillon fünfmal aufzog; was ich damals in Verlegenheit kam, kannst du gar nicht glauben. Ich war mit dem … schen Attaché engagiert und du weißt, wie unerträglich mich dieser dürre Mensch verfolgt; er hatte schon wieder von den italienischen Gegenden Süddeutschlands angefangen und mir nicht undeutlich zu verstehen gegeben, daß sie noch schöner wären, wenn ich mit ihm dorthin zöge, da erlöste mich der liebe Fladorp aus dieser Pein; doch kaum hatte er mich wieder zurückgebracht, als der Unerträgliche sein altes Lied von neuen anstimmte, aber Eduard holte mich noch viermal aus seinen glänzendsten Phrasen heraus, so daß jener vor Wut ganz stumm war, als ich das letztemal zurückkam; er äußerte gegen Mama seine Unzufriedenheit, sie schien ihn aber nicht zu verstehen.«>

      »Ach, wie glücklich du bist«, entgegnete wehmütig die Nachbarin, »aber ich! weißt du schon, daß mein Dagobert nach Halle versetzt ist? Wie wird es mir ergehen!«>

      »Ich weiß es und bedaure dich von Herzen, aber sage mir doch, wie dies so schnell kam?«>

      »Ach!« antwortete das Fräulein und zerdrückte heimlich eine Träne im Auge; »ach, du hast keine Vorstellung von den Kabalen, die es im Leben gibt. Du weißt, wie eifrig Dagobert immer für das Wohl des Vaterlandes war; da hatte er nun einen neuen Zapfenstreich erfunden, er hat ihn mir auf der Fensterscheibe vorgespielt, er ist allerliebst; seinem Obersten gefiel er auch recht wohl, aber dieser wollte haben, er solle ihm die Ehre der Erfindung lassen; natürlich konnte Dagobert dies nicht tun und, darüber aufgebracht, ruhte der Oberst nicht eher, bis der Arme nach Halle


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