Der Herzensbrecher. Barbara Cartland
hübscher als die Krinolinen, die immer noch in Mode sein sollen, wie ich im ,Ladies Journal’ gelesen habe. Ich hatte viele Verehrer, und meine Eltern gaben einem sehr distinguierten, adeligen Herrn den Vorzug, dessen Name hier ungenannt bleiben soll.“
„Sah er gut aus?“
„Ja, sehr gut sogar. Und man beneidete mich, weil ich seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Aber dann lernte ich deinen Vater kennen.“
„Hast du dich in ihn verliebt, Mama?“
„Unsterblich. Ich kann dir nicht erklären, warum. Sicher, er sah sehr gut aus, aber er hatte weder die Herkunft noch das Auftreten meines anderen Verehrers. Und was meinen Eltern am meisten mißfiel, er hatte kein Geld. Nur eine kleine Erbschaft, die ihm ein Onkel vermacht hatte. Aber wir dachten, dieses Geld würde genügen.“
„Wozu?“ fragte Candida mit großen Augen.
„Um zu heiraten und miteinander leben zu können. Weil wir einander so sehr brauchten. Dein Großvater war wütend, als er von unserer Liebe erfuhr. Er war ein sehr autokratischer Mann und konnte es nicht vertragen, wenn man seine Pläne durchkreuzte. Er hatte, wie er glaubte, einen passenden Schwiegersohn ausgesucht, und jetzt wollte er sich nicht von einem armen, unbedeutenden Dichter alles verderben lassen. Mein Vater haßte die Dichtkunst. Er ließ deinen Papa von seinen Dienern aus dem Haus werfen.“
„Oh, der arme Papa! Hat es ihm sehr viel ausgemacht?“
„Allerdings, denn er wurde ziemlich grausam behandelt. Mein Vater drohte ihm sogar, ihn auspeitschen zu lassen, wenn er noch einmal mit mir sprechen würde.“
„Wie schrecklich!“ rief Candida.
„Es war wirklich gräßlich. Dein Vater ist sehr empfindsam, und er hat sehr unter dieser sadistischen Behandlung gelitten. Aber wir sahen uns trotzdem wieder. Weil ich zu ihm ging.“ Ihre Stimme klang jetzt triumphierend. „Nach allem, was vorgefallen war, gab es nur mehr einen Weg, beieinander zu bleiben. Wir mußten davonlaufen.“
„Wie tapfer von dir!“ sagte Candida bewundernd.
„Ich hatte Angst, mein Vater würde die Heirat verhindern, aber da brauchte ich mir keine Sorgen zu machen. Von dem Augenblick an, da ich von zu Hause weggelaufen war, war ich für ihn gestorben.“
„Wieso weißt du das? Hast du noch einmal mit ihm gesprochen?“
„Nein, Liebes. Aber ein Jahr später, als du auf die Welt gekommen warst, schrieb ich meiner Mutter. Sie hatte mich immer geliebt, das wußte ich. Natürlich sagte ich Papa nichts von diesem Brief. Sie antwortete mir nicht, und ich nehme an, mein Vater hatte den Brief vor ihr in die Hände bekommen und meine Handschrift erkannt. Jedenfalls wurde er ungeöffnet zurückgeschickt.“
„Wie grausam!“ rief Candida.
„Ich hätte es mir denken können“, erwiderte ihre Mutter. „Ich hatte gewußt, daß es keinen Weg zurück gab. Die Vergangenheit mußte ausgelöscht und vergessen werden.“
„Hast du jemals bereut, daß du mit Papa davongelaufen bist?“
Ihre Mutter nahm sie in die Arme.
„Nein, Liebling, nie. Ich bin so glücklich. Keine Frau könnte einen rücksichtsvolleren, zärtlicheren Ehemann haben als ich. So, jetzt habe ich dir alles erzählt. Vergiß nicht, was du mir versprochen hast! Papa wäre sehr traurig, wenn er erführe, daß ich dich in unser Geheimnis eingeweiht habe.“
„Ich werde bestimmt nichts sagen“, versicherte Candida. „Aber du hast mir noch nicht deinen Mädchennamen genannt.“
Zu ihrer Überraschung klang die Stimme ihrer Mutter plötzlich hart.
„Mein Name ist Emmeline Walcott. Ich habe keinen anderen. Und sonst brauchst du nichts zu wissen, Candida.“
Damit mußte sich Candida zufriedengeben. Die Geschichte, die ihre Mutter ihr erzählt hatte, ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Ihr Großvater mußte ein sehr reicher und auch bedeutender Mann gewesen sein. Manchmal malte Candida sich aus, er sei ein Herzog oder ein Prinz, und er würde ihrer Mutter plötzlich verzeihen und ihrer Familie ein Leben in Luxus ermöglichen, wie sie es sich nie hatten leisten können.
Diese Phantasievorstellung wechselte sich mit einer anderen ab, in der ihr Vater zu plötzlichem Ruhm gelangte. Seine Gedichte waren über Nacht erfolgreich geworden, und er wurde berühmt wie Lord Byron, bewundert und verehrt. Ihre Mutter konnte wieder schöne Kleider und Juwelen tragen. Für sich selbst wollte Candida nichts. Solange sie Pegasus besaß, den ihr Vater ihr als Fohlen geschenkt hatte, war sie wunschlos glücklich.
Das Fohlen war ein Geburtstagsgeschenk gewesen. Ihr Vater hatte es von einem reisenden Pferdehändler gekauft. Das ungelenke Tier mit den langen Beinen hatte sich zu einem kohlschwarzen eleganten Hengst entwickelt. Und jetzt mußte sich Candida von ihm trennen.
Sie hatte nichts mehr, was sie noch verkaufen konnte. Als ihr Vater in jener Regennacht auf dem Rückweg über ein Gatter gesprengt war, hatte er sich das Genick gebrochen. Und Juno hatte den Gnadenschuß bekommen.
Erst nach dem Tod ihres Vaters fand Candida heraus, daß das Haus mit Hypotheken belastet war. Sie mußte Möbel verkaufen, um die Gläubiger bezahlen zu können. Als die Schulden beglichen waren, blieb nichts mehr übrig außer ein paar persönlichen Sachen von ihrer Mutter und Pegasus. Sie wehrte sich verzweifelt dagegen, den Hengst zu verkaufen, aber schließlich sah sie ein, daß es ihre Pflicht war, dem alten Ned eine Rente auszusetzen. Seit der Heirat ihrer Eltern hatte er als Butler, Koch, Gärtner und sogar als Kindermädchen gedient. Jetzt mit seinen siebzig Jahren würde er keine neue Stellung mehr finden, und deshalb mußte Candida dafür sorgen, daß er einen gesicherten Lebensabend hatte. Das war nur möglich, wenn sie Pegasus verkaufte.
Ned hatte ihr erzählt, daß in Potters Bar ein Pferdemarkt abgehalten wurde.
„Wie jedes Jahr, Miss Candida. Die Pferdehändler aus der ganzen Umgebung werden kommen, und sogar ein paar Adelige aus London. In Potters Bar kann man oft einen besseren Preis erzielen als sonst wo in der Gegend.“
Neds Worte drangen schmerzhaft wie Messer in ihr Herz. Aber dann sah sie in seine gütigen alten Augen und erkannte, daß er sich nur ihretwegen sorgte. Sie brauchte ja Geld, um leben zu können, zumindest bis sie eine Stellung fand.
Candida hatte schon überlegt, ob sie nicht als Gouvernante arbeiten könnte. Aber vorerst einmal mußte sie Pegasus verkaufen. Sie konnte unmöglich mit einem Pferd am Zügel auf Stellungssuche gehen, und der alte Ned sollte nicht am Hungertuch nagen.
Als sie in Potters Bar ankam und die Pferde sah, die auf den Markt gebracht wurden, als sie den Lärm ringsum hörte, hatte sie das Gefühl, Pegasus auf die Schlachtbank zu führen. Ein paar Heuwagen bildeten einen Kreis, in dem die Pferde paradierten. Außerhalb des Kreises warteten die Tiere auf ihren Auftritt. Manche Zügel wurden von dunkeläugigen Zigeunern oder von Bauernknechten gehalten. Andere Tiere mit glänzendem Fell und gestriegelten Mähnen und Schwänzen wurden von livrierten Stallburschen geritten.
Das Stimmengewirr wurde gelegentlich vom Geschrei der Marktbesucher übertönt, die bereits im Gasthaus waren, oder von lautem Kinderlachen. Im ersten Augenblick kam sich Candida verloren vor. Am liebsten wäre sie umgekehrt und nach Hause geritten. Aber dann erinnerte sie sich, daß sie ja kein Zuhause mehr hatte. Es war bereits in fremde Hände übergegangen, und morgen mußte sie mit ihren wenigen Habseligkeiten ausziehen. Sie atmete erleichtert auf, als sie Ned am Eingang des Vorführplatzes stehen sah.
„Da sind Sie ja, Miss Candida.“ Er kam zu ihr und übernahm Pegasus’ Zügel. „Ich habe mich schon gefragt, wo Sie bleiben.“
„Ich brachte es einfach nicht fertig, schneller zu reiten, Ned.“
„Das verstehe ich, Miss Steigen Sie ab. Ich habe schon einen Herrn gesehen, der sich für unseren Hengst interessieren könnte. Er hat bereits zwei oder drei Spitzenpferde gekauft.“
„Nimm du Pegasus“, sagte sie, als sie aus dem Sattel glitt. Sie strich über die weichen Nüstern des Pferdes, und als es ihr den