Der Herzensbrecher. Barbara Cartland
keine Zeit, mich umzuziehen.“
„Ich bin überzeugt, daß Sie mit einem dringenden Anliegen zu mir kommen. Trinken Sie ein Glas Champagner mit mir? “
„Nein, vielen Dank. Kommen wir gleich zur Sache. Mrs. Clinton, ich habe ein einzigartiges Mädchen gefunden - schön, unverdorben und unerfahren. Sie ist viel schöner als alle Mädchen, die ich in den letzten zehn Jahren in meiner Reitschule beschäftigt habe.“
„Das kann ich kaum glauben. Und wer ist dieses Wunderwesen?“
„Sie ist eine geborene Lady. Und sie hat ein Pferd, wie jeder begeisterte Reiter es sich nur erträumen kann...“
„Das Pferd interessiert mich nicht“, unterbrach sie ihn sanft.
„Ich weiß. Aber die beiden gehören zusammen. Die Kleine hat mir alles von sich erzählt. Sie ist eine Waise. Ihr Vater hat sich den Hals gebrochen, als er mit seiner Stute einen Zaun überspringen wollte, und er hat ihr keinen Penny hinterlassen.“
„So etwas muß nicht immer ein Nachteil sein.“
„Und sie ist unschuldig wie ein Neugeborenes. Ihr bisheriges Leben hat sie auf dem Land verbracht. Ihr Vater war ein Einzelgänger - ein Dichter. Sie weiß nichts von der Welt. Und sie hat auch ganz bestimmt noch nichts von den ,schönen Zureiterinnen‘ gehört. Und wenn, so hat sie bestimmt keine Ahnung, was dieser Ausdruck bedeutet.“
„So etwas gehört auch nicht zur Erziehung einer jungen Lady“, bemerkte Mrs. Clinton lächelnd.
„Aber Sie wissen, was ich damit sagen will. Sie müssen das Kind mit Samthandschuhen anfassen, sonst schlagen Sie es in die Flucht. Und ich versichere Ihnen - so wertvoll der Hengst auch ist, er ist doppelt wertvoll, wenn sie auf seinem Rücken sitzt.“
„Und was soll ich tun?“
„Sie müssen die Kleine hier wohnen lassen.“
„Unmöglich! Sie wissen, daß ich keine Frauen in meinem Haus beherberge.“
„Bei diesem Mädchen ist es etwas Anderes. Ich habe Ihnen schon gesagt, daß sie eine Lady ist. Ich kann sie nicht in irgendeinem schäbigen Hotel einquartieren. Außerdem ist sie viel zu hübsch dazu. Sie werden noch sehen, daß ich Ihnen ein lohnendes Geschäft vorschlage, Cheryl. Ich kann tausend Guineen für das Pferd bekommen, wenn das Mädchen auf seinem Rücken sitzt. Unser Arrangement wird wie üblich sein - fifty-fifty.“
„Das Angebot klingt tatsächlich verlockend.“
„Und ich habe eine Idee, die uns beiden Nutzen bringt...“
In diesem Augenblick klopfte es an der Tür.
„Verzeihen Sie, Ma’am“, sagte John. „Seine Gnaden, der Herzog von Wessex wartet unten. Er möchte dringend mit Ihnen sprechen.“
„Führe Seine Gnaden ins Frühstückszimmer und bitte ihn um ein wenig Geduld. Ich komme in ein paar Minuten zu ihm.“
„Sehr wohl, Ma’am.“
„Nun, was für eine Idee haben Sie, Major?“ fragte Mrs. Clinton, als sich die Tür hinter John geschlossen hatte.
Candida wartete noch immer in der Reitschule und bekam es allmählich mit der Angst zu tun. Der Raum füllte sich mit wachsenden Schatten, als es dunkel wurde, und plötzlich wurde ihr bewußt, wie einsam sie war. Heimweh erfaßte sie - nicht nur nach ihren Eltern, sondern nach allem, was ihr vertraut gewesen war. Heimweh nach dem kleinen Haus, nach dem halb verfallenen Stall, in dem Pegasus gestanden, nach Ned, der unermüdlich von früh bis spät gearbeitet hatte. Und nach dem Gefühl, sich selbst zu gehören, frei zu sein. Denn wenn sie auch wenig besessen hatte - keine Kleider, keine Freunde, kein Geld, so hatte sie doch die Freiheit gehabt, sich auf den Pferderücken zu schwingen und davonzureiten, wann immer sie Lust dazu verspürte. Aber wie würde jetzt ihre Zukunft aussehen?
War es vielleicht doch leichtsinnig von ihr gewesen, mit dem Major zu fahren? Schließlich kannte sie ihn kaum.
Plötzlich sprang sie auf, lief die Galerie entlang und die Treppe zum Boden der Reitschule hinunter. Sie wollte gerade die Klinke niederdrücken, als die Tür sich öffnete und der Major vor ihr stand. Es war so dunkel, daß er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Aber er mußte gespürt haben, wie erregt sie war, denn er sagt besänftigend: „Es ist alles in Ordnung. Es tut mir leid, daß ich Sie so lange allein gelassen habe. Kommen Sie, ich führe Sie jetzt zu der Lady, bei der Sie wohnen werden.“ Er wandte sich ab, aber als er merkte, daß Candida ihm nicht folgte, drehte er sich wieder zu ihr um. „Was ist?“
„Ich passe nicht hierher“, sagte sie leise. „Am besten gehe ich wieder dahin zurück, wo ich hergekommen bin. Ich werde mir eine Stellung auf dem Land suchen.“
„Haben Sie etwa Angst bekommen? Dazu haben Sie keinen Grund. Sie werden ein angenehmes, schönes Leben führen. Hören Sie, Candida, Sie sind ein sehr hübsches Mädchen. Sie werden viele Bewunderer finden - und das wünschen sich doch alle Frauen.“
„Ich glaube nicht, daß ich mir das wünsche.“
„Was wünschen Sie sich denn dann?“
„Sicherheit - ein Zuhause ...“
„Das wird mit der Zeit alles kommen“, sagte er hastig. „Aber jetzt wollen wir die Lady nicht länger warten lassen. Ich habe mein Bestes für Sie getan. Eines Tages werden Sie mir dankbar sein.“ Er legte ihr die Hand auf die Schulter. „Kommen Sie mit mir“, bat er sanft. „Das erste Hindernis ist immer das schwerste, aber Sie haben doch Mut genug, um sie alle zu nehmen, nicht wahr?“
„Habe ich das?“ fragte sie.
„Ich möchte darauf wetten.“
Sie lächelte ihn an.
„Sie halten mich sicher für sehr dumm, Major. Aber ich danke Ihnen sehr für Ihre Freundlichkeit.“
„Es war mir ein Vergnügen.“
Sie war erstaunt, als sie den plötzlichen Zweifel in seiner Stimme hörte.
Sie gingen an den geschlossenen Boxen vorbei, und Candida hörte die Pferdeknechte in einem von Lampen erhellten Raum am anderen Ende des Hofes singen und reden. Draußen auf der Straße rollten Wagen mit angezündeten Lampen vorbei. Die Pferde waren alle glatt gestriegelt und gut gehalten, die Kutscher trugen elegante Livreen. Schweigend ging Candida neben Major Hooper her, bis er vor einem Haus mit vorgebauter Säulenhalle stehenblieb.
Candida wollte gerade die Treppe hinaufsteigen, als sich die Tür öffnete. Zu ihrer Überraschung zog der Major sie hastig beiseite.
„Was ist denn?“ fragte sie, als sie einen Lichtstrahl aus der Tür fallen sah. Zwei hochgewachsene Gestalten mit Zylindern verließen das Haus.
„Drehen Sie sich nicht um“, flüsterte der Major.
„Warum nicht?“
„Ich will nicht, daß man Sie sieht.“
Sie gingen die Straße hinab, und nach ein paar Schritten warf der Major einen Blick über die Schulter. Die beiden Herren waren in eine Kutsche gestiegen. Der Kutscher ließ die Peitsche knallen.
„Jetzt sind sie weggefahren“, sagte Major Hooper erleichtert. „Kommen Sie, Mädchen, beeilen wir uns, bevor wir noch jemandem begegnen.“
„Gibt die Lady, zu der Sie mich führen, etwa eine Party?“ fragte Candida nervös.
„Nein, nein... Das waren nur zwei Freunde, die sie kurz besucht haben.“
Es war Candida aufgefallen, daß der Major nur zögernd geantwortet hatte. Aber da standen sie bereits vor der Tür. Ein Lakai ließ sie eintreten, nachdem Major Hooper geklopft hatte.
„Madam hat gesagt, Sie gehen am besten in das Speisezimmer, Sir“, hörte Candida den Lakaien sagen.
„Ja, das ist eine gute Idee“, erwiderte der Major.
Er führte Candida in einen