Der Herzensbrecher. Barbara Cartland

Der Herzensbrecher - Barbara Cartland


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      Mit tränenblinden Augen drängte sie sich durch die Menge. Sie wollte nicht hören und sehen, was hier geschah. Sie wußte nur, daß alle, die sie jemals geliebt hatte, nun von ihr gegangen waren. Erst Mutter, dann Vater - und jetzt auch noch Pegasus. Sie waren ihre kleine Welt gewesen. Und jetzt war nichts mehr da, nur Leere und Trauer.

      Sie wußte nicht, wie lange sie schon auf dem Marktplatz stand, sah und hörte nichts, spürte nur ihre Verzweiflung.

      Plötzlich stand Ned neben ihr.

      „Er will ihn kaufen, Miss Candida. Kommen Sie lieber mit, und reden Sie mit ihm. Ich habe den Preis auf fünfundsiebzig Guineen hinaufgetrieben, aber vielleicht geht der Herr noch höher, wenn er Sie sieht.“

      „Fünfundsiebzig Guineen!“ wiederholte Candida überrascht.

      „Das ist nicht genug für Pegasus“, sagte Ned. „Ich hatte auf hundert Guineen gehofft. Kommen Sie mit, sprechen Sie mit dem Herrn, Miss Candida.“

      „Ja, das will ich tun.“

      Candida war plötzlich entschlossen, Pegasus keinesfalls unter seinem Wert zu verkaufen. Er hatte hier auf dem Markt von Potters Bar keine Konkurrenz. Hier gab es kein Pferd, das auch nur halb so schön war wie Pegasus.

      Sie folgte Ned an den Rand des Vorführplatzes, wo ein Reitknecht stand und Pegasus am Zügel festhielt. Neben ihm stand ein Mann, offenbar der Herr, der sich für den Hengst interessierte. Candida sah ihm sofort an, daß er etwas von Pferden verstand. Mit seinem langen, faltigen Gesicht und der wettergegerbten Haut sah er beinahe selbst wie ein Pferd aus.

      Die gute Paßform seiner Reithosen und die polierten Stiefel verrieten ihr, daß er ein langjähriger, guter Reiter war. Er konnte zweifellos ein erstklassiges Pferd wie Pegasus richtig einschätzen.

      „Das ist die Besitzerin von Pegasus, Sir“, hörte sie Ned sagen, und der Herr wandte sich ihr erstaunt zu.

      „Mein Name ist Major Hooper, Ma’am. Ich würde sehr gern Ihr Pferd kaufen.“

      „Wollen Sie Pegasus selbst reiten, Sir?“ fragte sie.

      Sie merkte ihm an, daß dies nicht die Frage war, die er von ihr erwartet hatte.

      „Ich besitze einen Mietstall, Ma’am. Ich betreue die Pferde des Adels und der hübschesten Ladies der Stadt. Ihr Pferd wird es gut bei mir haben, denn meine Stallburschen verstehen ihr Handwerk, Ma’am.“

      „Und wird Pegasus auch bei Ihnen bleiben?“

      „Ja - wenn man mir nicht eine außergewöhnlich hohe Summe für ihn bietet“, erwiderte Major Hooper. „Dann würde er in irgendeinen herzoglichen Stall wandern. Er ist ein sehr hübsches Pferd, und ich versichere Ihnen, Ma’am, daß er niemals eine Postkutsche oder einen Pflug ziehen wird.“

      Pegasus stieß mit den Nüstern an Candidas Wangen, und sie streichelte seinen Hals. Dann sah sie Major Hooper prüfend an.

      „Ich glaube Ihnen. Aber Pegasus ist wirklich ein sehr ungewöhnliches Pferd, in mancher Hinsicht.“ Sie merkte aus seinem skeptischen Lächeln, daß er solche Worte schon von vielen begeisterten Pferdebesitzern gehört hatte. „Warten Sie, ich werde es Ihnen beweisen“, sagte sie impulsiv.

      Sie winkte Ned heran, der sie sofort verstanden hatte und ihr in den Sattel half. Candida nahm die Zügel und lenkte Pegasus auf den Vorführplatz, etwas abseits von der Menge. Erst versetzte sie den Hengst in gewöhnlichen Trab, dann ließ sie ihn bei jedem Schritt ein Vorderbein heben. Auf ihren Befehl kniete er nieder, erhob sich wieder, drehte sich um die eigene Achse, und als sie ihn leicht mit der Peitsche berührte, hob er beide Vorderbeine in die Luft. Im Trab ritt sie ihn zu Major Hooper zurück.

      „Sie sollten ihn erst einmal springen sehen“, sagte sie. „Er kann über jeden Zaun und noch höher springen, als ob er Flügel hätte.“

      Sie hatte sich so darauf konzentriert, Pegasus’ Künste vorzuführen, daß ihr Major Hoopers forschender Blick nicht aufgefallen war. Er hatte nämlich nicht nur den Hengst, sondern auch sie beobachtet. Und jetzt, als sie vom Sattel auf ihn herabsah, nahm er jede Einzelheit ihres Äußeren in sich auf - das kleine, ovale Gesicht unter dem verbeulten Reithut, das weizenblonde Haar, das wie Gold schimmerte und manchmal einen rötlichen Glanz hatte, wenn es die Sonnenstrahlen einfing. Vielleicht war es der leichte Rotton in ihrem Haar, der für Candidas weiße Haut verantwortlich war. Es war eine makellos glatte, zarte Haut, wie man sie eigentlich nicht bei einem Mädchen erwarten konnte, das ihr Leben auf dem Land verbracht hatte und so schäbig gekleidet war wie Candida. Major Hooper war bisher überzeugt gewesen, daß eine solche Haut den Damen in der Stadt vorbehalten war, die viel Geld für ihre Kosmetika ausgaben.

      Aber wenn ihr Haar und ihre Haut schon aufregend waren, ihre Augen wirkten geradezu hinreißend. Sie waren von dunklen langen Wimpern umgeben und schienen viel zu groß für das kleine Gesicht zu sein. Obwohl der Major es versuchte, er konnte die Farbe dieser Augen nicht feststellen. Zuerst hatte er geglaubt, sie wären grün. Aber jetzt, als sie ihn ängstlich ansah und auf seine Entscheidung wartete, hätte er schwören können, diese Augen wären purpurfarben.

      Mein Gott, ist sie schön, dachte er. Und als Candida abstieg, fragt er unvermittelt: „Warum verkaufen Sie ihn?“

      „Ich muß“, erwiderte sie kurz.

      „Ich bin sicher, Sie könnten Ihren Vater überreden, ihn zu behalten. Der Hengst paßt so gut zu Ihnen.“

      „Mein Vater ist tot“, erwiderte Candida leise. „Sie nehmen doch sicher nicht an, Sir, daß ich mich von Pegasus trennen würde, wenn ich nicht dazu gezwungen wäre.“

      „Ich kann verstehen, was er Ihnen bedeutet. Ich habe mich mein Leben lang mit Pferden beschäftigt. Sie werden ein Teil von einem selbst, wenn man lange mit ihnen zusammen ist. Besonders, wenn man so glücklich ist, ein Pferd wie dieses zu besitzen.“

      Sein Mitgefühl trieb ihr erneut die Tränen in die Augen. Major Hooper beobachtete sie. Noch nie hatte er ein so ausdrucksvolles Mädchengesicht gesehen.

      „Schade, daß Sie Pegasus nicht selbst vorführen können“, sagte er, wie aus einer Eingebung heraus. „Sie würden in London einen viel besseren Preis für ihn erzielen, wenn Sie ihn selbst reiten - viel mehr, als ich Ihnen anbieten kann.“

      „Das würde ich gern tun - aber wie? Ich kenne mich in London nicht aus.“

      „Was würde Ihre Familie sagen, wenn ich Ihnen das Angebot machte, Sie mitzunehmen?“

      „Ich habe keine Familie. Ned, führe Pegasus noch einmal um den Platz herum. Ich möchte, daß Major Hooper ihn aus der Ferne beobachten kann.“

      Ned nahm die Zügel und führte den Hengst davon. Sobald er außer Hörweite war, sagte Candida: „Ich möchte offen zu Ihnen sein, Sir. Ich muß Neds Lebensabend sichern. Er war einundzwanzig Jahre lang bei meinen Eltern angestellt, und ich kann ihn jetzt nicht ohne einen Penny zurücklassen. Alles, was Sie mir für Pegasus geben, wird Ned ein sorgloses Alter sichern. Ich kann Sie nur bitten, großzügig zu sein.“

      „Und was wird aus Ihnen?“ fragte der Major.

      Sie sah über den Platz zu Pegasus hinüber, der bester Laune war und so tat, als scheute er von einem aufgewirbelten Papier fetzen zurück.

      „Ich werde mir eine Stellung suchen - vielleicht als Gouvernante oder Gesellschaftsdame.“

      Major Hooper schlug sich plötzlich mit der Reitpeitsche gegen die Stiefel, und Candida zuckte bei dem lauten Knall erschrocken zusammen.

      „Ich gebe Ihnen hundert Pfund für Pegasus“, sagte er. „Unter der Bedingung, daß Sie mit mir nach London kommen und den Hengst in meiner Schule vorführen.“

      „Schule?“ wiederholte Candida verwirrt.

      „An meinen Mietstall ist eine Reitschule angeschlossen. Viele Pferde, die ich kaufe, müssen erst noch zugeritten werden, bevor sie sich einen Damensattel auflegen lassen und die Damen durch die Londoner Straßen tragen.“

      „Und


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