Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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Groß­ar­ti­gen hin­aus; aber dies ischt zu arg! Weiß Gott, dies ischt zu arg; – wenn in dem Lehn­stuhl ein Mensch nicht apo­plek­tisch wird, so lass ich all mei­ne phy­sio­lo­gi­schen Er­fah­run­gen im Bürger­höfle öf­fent­lich ver­stei­gern, Don­ner und Blitz, es soll mich nur wun­dern, wen er ge­hei­ra­tet hat, der arme Tropf! Na, na, hat der sich sei­ne Sup­pen ge­schmälzt! Uih, o Sechser­le, Sechser­le, Sechser­le!«

      Es ist eine Art, die Din­ge an sich her­an­kom­men zu las­sen, wel­che man im Stift zu Tü­bin­gen in aus­ge­bil­de­ter Voll­kom­men­heit er­lernt. Pechle konn­te war­ten, und er war­te­te und wie­der­hol­te noch Tage lang:

      »O, komm du mir ’rauf!« und spiel­te nachts schmel­zend sein Lei­b­in­stru­ment, ohne au­ßer­dem der Er­fül­lung sei­nes Wun­sches den kleins­ten Schritt ent­ge­gen zu tun. »Komm du mir ’rauf!« sag­te Pechle noch län­ge­re Zeit fort und fort, nach­dem der neue Haus­ge­nos­se und frü­he­re Kneip­bru­der schon manch lie­bes Mal her­auf­ge­kom­men war, das heißt na­tür­lich nur bis zur Tür sei­ner ei­ge­nen Woh­nung im Haupt­ge­schoss des von den zwei Freun­den be­wohn­ten Hau­ses.

      In dem Haupt­ge­schoss war längst an der Vor­saal­tür ne­ben dem Glo­cken­zu­ge die ele­gan­te Me­tall­ta­fel mit dem Na­men:

       Fer­di­nand, Baron von Ripp­gen

      an­ge­na­gelt wor­den, und Pechle hat­te wohl zwan­zig­mal und zu je­der Stun­de des Ta­ges und der Nacht kopf­schüt­telnd die In­schrift ge­le­sen, ehe er die Glo­cke zog. End­lich zog er sie ein­mal und zwar eine Stun­de nach Mit­ter­nacht. Er zog sie mit ei­nem dia­bo­li­schen Ruck, und schlüpf­te selt­sa­mer­wei­se ei­ligst und auf den Ze­hen die Trep­pe hin­auf zu sei­ner ei­ge­nen Woh­nung, ohne das Öff­nen der Tür in der Be­le­ta­ge ab­zu­war­ten.

      »Wir kom­men uns so doch we­nigs­tens all­mäh­lich nä­her«, sag­te er grin­send in sei­ner Höhe, wäh­rend er auf das da un­ten dem un­mo­ti­vier­ten Schel­len­ge­läut fol­gen­de Ru­mo­ren und das Schimp­fen und Bel­fern der säch­si­schen Kam­mer­jung­fer und der schwä­bi­schen Haus­maid horch­te.

      Das war im April, wenn auch nicht am schalk­haf­ten Ers­ten des Mo­nats, und der Mo­nat ging vor­über, ohne dass sich die bei­den Freun­de so nahe ka­men, als wir es zu­letzt doch wohl wün­schen müs­sen. Nur, bei ge­öff­ne­tem Fens­ter, ein ei­gen­tüm­li­ches, dump­fes, me­lo­di­sches Sum­men in war­mer Stil­le der Näch­te kam dem Baron son­der­bar be­kannt vor, und er horch­te je­des Mal an­ge­strengt dar­auf, so­bald es über sei­nem Haup­te an­hub; al­lein das glück­haf­te Zu­sam­men­tref­fen war dem Won­ne­mond auf­ge­ho­ben, und end­lich – end­lich fand es statt, und zwar an ei­nem Nach­mit­tage, als das Ther­mo­me­ter be­reits acht­und­zwan­zig Grad im Schat­ten zeig­te, ganz eine Tem­pe­ra­tur für ein lie­bend, won­ne­trun­ke­nes, freu­dig auf­jauch­zen­des An­ein­an­der­stür­zen von Herz an Herz, von Bu­sen an Bu­sen! Die bei­den Freun­de be­geg­ne­ten ein­an­der ein­fach auf der Trep­pe des von ih­nen seit ei­ni­ger Zeit ge­mein­schaft­lich be­wohn­ten Hau­ses.

      Der Schwab stieg schwit­zend her­ab, der Sachs, auf­ge­löst durch den süd­li­chen Früh­ling, keu­chend her­auf, und so tra­fen sie vor der Me­tall­ta­fel auf­ein­an­der, starr­ten sich eine Wei­le an, um so­dann ihre Ver­wun­de­rung ge­gen­sei­tig aus­zut­au­schen.

      »Pechl–in! Pechle?!«

      »Ripp­gen?! O Sechser­le, bist du mir end­lich doch her­auf­ge­kom­men?!«

      »Aber bist du es denn, Pechle?«

      »Na, wer soll­te es sonst sein? Und was wür­de es mir hel­fen, wenn ich mich aufs Leug­nen le­gen wür­de? Al­ter­le, ich bin’s, und da du es, beim Hy­me­nai­os und bei Aphro­ge­neia der Meer­schaum­göt­tin, eben­falls bist, so er­su­che ich dich, mich so­fort dei­ner Frau Ge­mah­lin vor­zu­stel­len.«

      »Mei­ner Frau? Mein Gott, was weißt du denn von mei­ner Frau?«

      »Nun, wenn man in ei­nem Hau­se wohnt –«

      »In ei­nem Hau­se? Pechle?!«

      »Ja­wohl, seit du ein­ge­zo­gen bist. Und weischt du, wir Schwa­be sind eine neu­gie­ri­ge Men­schen­sor­te. Ich gu­cke im­mer noch gern durch die Schlüs­sellö­cher.«

      »Pechle?! Ist es denn mög­lich? Warst du es denn, was mir wäh­rend der letz­ten Näch­te in alle mei­ne Träu­me hin­ein­ge­summt hat?«

      »Ei frei­lich–na­tür­lich, als Geisch­terer­schei­nung mit dem al­ten Geisch­ter­in­stru­ment, und, Potz Blitz, nun lass uns hier auf der Stie­ge nicht Wur­zel schla­gen. Komm mit mir her­auf auf mei­ne Bude, oder nimm mich mit dir in dei­ne Ge­mä­cher und prä­sen­tie­re mich dei­ner Gat­tin!«

      Der Frei­herr sah mit ver­le­ge­nem Lä­cheln und höchst ner­vös die Hän­de rei­bend auf den Stu­dien­ge­nos­sen.

      »Mit gro–ßem Ver–gnü–­gen – so­gleich – willst du die Gü–te – ha­ben – ein­zu–tre–ten. Aber, lie­ber Freund« – und er sah ihn kläg­lich ge­nug an, und Chri­stoph sah ihn an und sah an sich sel­ber hin­un­ter, pack­te plötz­lich den Baron an bei­den Schul­tern, schüt­tel­te ihn derb und sprach:

      »Na, ich sehe schon. Wir se­hen uns wohl noch ein­mal! Be­hüt dich Gott, Bru­der, und mach’s so gut als mög­lich.«

      »Schöns­ten gu­ten Mor­gen, bes­ter Pech­lin!« rief Fer­di­nand, kramp­fig dem Ex-Stift­ler bei­de Hän­de schüt­telnd, und so stieg für die­ses Mal je­der wei­ter: der Baron hin­ein zu sei­ner Frau, der an­de­re, mit hoch­ge­zo­ge­nen Au­gen­brau­en und ei­nem sehr le­ben­di­gen und ver­gnüg­ten Mus­kel­spiel um die Na­sen­flü­gel, die Trep­pe hin­un­ter:

      »Dir werd’ i aufsch­pie­le!«

      Es war also Nacht, eine dunkle Nacht und die zwei­te Nacht nach je­ner ers­ten Be­geg­nung der zwei Uni­ver­si­täts­freun­de auf der Trep­pe. Am Mor­gen hat­te Herr Chri­stoph Pech­lin durch die Stadt­post ein ganz ver­stoh­len von dem Baron in den Brief­kas­ten ge­wor­fe­nes Bil­lett er­hal­ten, fol­gen­den In­halts:

      »Lie­ber Freund!

      Miss Chri­sta­bel Ed­dish war­tet auf der Durch­rei­se nach Mün­chen seit ges­tern in Hei­del­berg auf ihre Bu­sen­freun­din, mei­ne Lu­cia. Mei­ne Lu­cia fährt heu­te Mit­tag mit dem Schnell­zu­ge nach Hei­del­berg zu Miss Chri­sta­bel Ed­dish und nimmt na­tür­li­cher­wei­se un­se­re – ihre Kam­mer­jung­fer Char­lot­te mit sich. Teue­rer Pech­lin, ich möch­te mit Dir re­den, ich muss mit Dir spre­chen, ich be­darf ei­nes Men­schen, ei­nes Freun­des, dem ich an den Bu­sen fal­len kann. Sei mir die­ser Freund und blei­be heu­te Abend zu Hau­se! Un­se­rer Ka­tha­ri­ne hof­fe ich, ohne auf­fäl­lig zu wer­den, ent­ge­hen zu kön­nen und wer­de ge­gen zehn Uhr – mei­ne Gat­tin habe ich na­tür­lich vor­her erst bis Bruch­sal zu ge­lei­ten – an Dei­ne Tür po­chen. Blei­be zu Hau­se, bes­ter Chri­stoph, in der Erin­ne­rung frü­he­rer schö­ner und freie­rer Tage und Näch­te. In al­ler Eile

      Dein Fer­di­nand.«

      Mit wel­chem Be­ha­gen Pechle die­ses Bil­lett drei­mal über­ge­le­sen und mit wel­chem in­ni­gen Ver­gnü­gen er dem herz­blut­über­ström­ten Wun­sche des Barons Fol­ge ge­ge­ben hat­te und zu Hau­se ge­blie­ben war, mag sich ein jeg­li­cher


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