Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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al­len Frie­den und alle Se­lig­keit des Er­den­le­bens be­dingt, – sich ein­schlei­chen, ein­schmei­cheln, so dräng­te sie sich re­so­lut in al­les ein, was sein ei­gens­tes Da­sein aus­mach­te und ver­dräng­te ihn voll­stän­dig dar­aus. Sie wuss­te es bes­ser, was das Glück, den Frie­den und die Se­lig­keit des ir­di­schen Le­bens aus­macht; hei­ter lä­chel­te sie der kon­ven­tio­nel­len Lüge über den Be­ruf der Da­men ins Ge­sicht und ließ sich nie­der. Breit setz­te sie sich hin und sag­te: »Fer­di­nand, ich bin du, und du bist der be­nei­dens­wer­tes­te und un­dank­bars­te Sterb­li­che, den je eine schö­ne und ver­stän­di­ge Frau­en­see­le be­glückt hat. Fer­di­nand, du bist in dei­nem Ego­is­mus mein täg­li­cher herz­zer­rei­ßen­der Gram und wirst mein Tod sein und wirst erst auf mei­nem Grab­hü­gel er­ken­nen, was du an mir ge­habt und ver­lo­ren hast.«

      Dass sie da­bei von Tag zu Tag wohl­be­leib­ter, oder roh aus­ge­drückt, di­cker wur­de, und dass Fer­di­nand in ei­nem wahr­haft tra­gi­ko­misch ge­nau­en Ver­hält­nis ab­ma­ger­te und im­mer hohl­wan­gi­ger, dünn­stim­mi­ger und spin­del­bei­ni­ger sich in die ihm an­ge­wie­se­nen Win­kel drück­te, kam da­bei nicht in Be­tracht und braucht auch von uns nicht in Be­trach­tung ge­zo­gen zu wer­den. Wir wol­len uns aber un­se­re be­hag­li­che Stim­mung und un­se­re, uns von un­sern Vor­fah­ren treu­lich über­lie­fer­te kon­ven­tio­nel­le Wel­t­an­schau­ung auch nicht ver­der­ben las­sen. Ein­fach und his­to­risch stel­len wir das Fak­tum un­se­rem Pub­li­kum vor das Auge und ver­trau­en auf sei­nen un­be­fan­ge­nen Blick.

      »Wir be­wohn­ten nach un­se­rer Rück­lehr von der großen Rei­se noch an­dert­halb Jah­re lang un­ser Land­haus im Schwei­zer­stil an der Elbe«, er­zähl­te der Baron, das Ta­schen­tuch an die Stirn drückend, wei­ter. »Wer un­ter un­se­ren Fens­tern durch­zog und den Blick zu un­se­rer Be­sit­zung em­por­hob, rief ge­wiss­lich: ›O, Him­mel, wel­che Idyl­le!‹ Aber das war es gar nicht. Un­ser Ver­kehr war der no­bels­te, und Miss Chri­sta­bel Ed­dish war län­ge­re Zeit un­ser lie­ber Gast. Wir trie­ben Eng­lisch mit Miss Chri­sta­bel, denn wir sind über­haupt sehr li­te­ra­risch und äs­the­tisch ge­bil­det, und so­bald die Be­din­gun­gen ge­ge­ben sind, und die nö­ti­ge Be­quem­lich­keit nicht man­gelt, stimmt uns die Welt in al­len ih­ren Far­ben und Tö­nen höchst ro­man­tisch. Aber die Be­din­gun­gen müs­sen vor­han­den sein, und als wir ei­nes Mor­gens er­fuh­ren, dass mei­nes se­li­gen Schwie­ger­va­ters rei­che­rer Nach­bar, der be­rühm­te Schnei­der­meis­ter Joa­chim Hell­sit­zer, das an un­ser Be­sitz­tum gren­zen­de Grund­stück ge­kauft habe und auf dem­sel­bi­gen freund­nach­bar­schaft­lichst eben­falls eine Vil­la bau­en wer­de, san­ken wir so­fort aus un­se­rer ro­man­ti­schen Höhe in den tri­vi­als­ten Ver­druss des All­tags hin­un­ter. Lei­der war noch dazu der Nach­bar Hell­sit­zer ein Mann von un­streit­ba­rer Tat­kraft, und er führ­te sei­nen Plan mit wahr­haft wun­der­ba­rer Ra­pi­di­tät aus. Ehe wir es für mög­lich ge­hal­ten hat­ten, wuch­sen sei­ne Gerüs­te em­por und ver­sperr­ten uns die Aus­sicht auf die Säch­si­sche Schweiz und die böh­mi­schen Ber­ge. Hell­sit­zersru­he nahm mir die mei­ni­ge voll­stän­dig. Die Vil­la Aso­la stell­te die Vil­la Co­co­nia ganz und gar in den Schat­ten, und je hö­her und pracht­vol­ler ihr Ge­mäu­er im rein go­ti­schen Stil sich auf­türm­te, de­sto un­er­träg­li­cher wur­de mei­ner Lu­cie der Auf­ent­halt ln un­se­rem be­schei­den idyl­li­schen Cha­let. Nicht nur dass uns der ent­setz­li­che Schnei­der durch sei­ne go­ti­sche Burg die Aus­sicht auf die böh­mi­schen Ber­ge ver­bau­te, er ver­bau­te uns auch ethisch die Aus­sicht, in­dem er uns den letz­ten Rest un­se­res Glau­bens an das Schick­lich­keits­ge­fühl des Ple­be­jer­tums im Bu­sen ver­nich­te­te. Es war un­er­träg­lich, lie­ber Pech­lin, und das Weib und die Töch­ter des klei­der­künst­le­ri­schen Raub­rit­ters ta­ten das Ih­ri­ge und spick­ten die Mau­ern, wel­che er uns vor die Nase setz­te, höh­nisch und scha­den­froh mit den spit­zes­ten Nä­geln und den schärfs­ten Glas­scher­ben: sie grüß­ten näm­lich mei­ne Gat­tin über die­se Mau­ern und sie wag­ten es so­gar, Miss Chri­sta­bel Ed­dish über die­se Mau­ern zu grü­ßen. Noch eine Som­mer­sai­son hin­durch ver­such­ten wir es, statt nach der Säch­si­schen Schweiz hin­über, nur in uns hin­ein­zu­se­hen und uns, je­nem reich­ge­wor­de­nen ro­hen Pö­bel ge­gen­über, durch den Hin­blick auf un­sern ein­ge­bo­re­nen, un­ver­äu­ßer­li­chen, un­ver­än­der­li­chen Wert zu stär­ken und auf­recht zu er­hal­ten; aber es ging nicht. Im Herbs­te des vo­ri­gen Jah­res hat mei­ne Frau das Cha­let an einen opu­len­ten, zu feist und zu un­be­hol­fen ge­wor­de­nen Pro­fes­sor der Pres­ti­di­gi­ta­trie und hö­hern Ma­gie ver­kauft, und wir ha­ben in Genf in ei­ner Pen­si­on ein hal­b­es Jahr un­be­hag­lich ge­lebt. Im letz­ten Win­ter wa­ren wir in Brüs­sel, wo Miss Chri­sta­bel wie­der zu uns stieß, ehe sie in Fa­mi­li­en­an­ge­le­gen­hei­ten von Mor­ges nach Lon­don ging. Jetzt sind wir hier und wer­den je­den­falls den Win­ter über hier ver­wei­len, doch kommt es auch, was das an­be­trifft, wie­der­um sehr dar­auf an, was Miss Chri­sta­bel Ed­dish, die au­gen­blick­lich nach Flo­renz geht, dar­über be­schlie­ßen wird. O, Pech­lin, o, Pechle, Pechle, wie fan­gen wir es an, dass du Miss Chri­sta­bel ken­nen lernst, und dass mei­ne Lu­cia dich ohne Wi­der­wil­len bei sich emp­fängt?!«

      »Dass mich dei­ne Lu­cia ohne Wi­der­wil­len bei sich emp­fängt?!« wie­der­hol­te Pechle und füg­te hin­zu: »Na, na, Ripp­gen, dass ihr Sach­sen höchst ge­müt­li­che Leu­te seid, das weiß die Welt; aber weißt du denn wohl, dass du so­eben doch ein we­nig zu ge­müt­lich wirst? Fer­di­nand, auch wir Schwa­ben sind ein äu­ßerst ge­müt­li­cher Men­schen­schlag und kön­nen im ge­ge­be­nen Fall über­ra­schend un­ge­müt­lich wer­den.«

      »Ich weiß al­les, liebs­ter, bes­ter Freund. Du wirst doch in die­sen see­len­lö­sen­den Mo­men­ten nicht ein Wort auf die Wag­scha­le le­gen? Chri­stoph, ich weiß, dass du mich er­kennst, mich be­mit­lei­dest, mich aus­lachst und mir dei­nen Rat und Trost nicht vor­ent­hal­ten wirst. Ich habe die Über­zeu­gung, dass du dich mei­ner Frau vor­stel­len las­sen und dich ihr von dei­ner bes­ten Sei­te zei­gen und zei­gen las­sen wirst. O, und Miss Chri­sta­bel musst du – musst du eben­falls ken­nen ler­nen!«

      »Na­tür­lich, al­ter Ker­le; ich wer­de mit un­ge­mei­nem Ver­gnü­gen mein Mög­lichs­tes tun, auf den Ze­hen in dei­nem Gy­nä­ce­um auf­zu­tre­ten. Da, feuch­te dir noch ein­mal die Keh­le an, du hast lan­ge ge­nug ge­spro­chen. Wei­ber­treue heißt die Eti­kett und i wied­her­ho­le dir, es ischt ein ziem­lich rein­ge­hal­te­ner, recht an­ge­neh­mer Weins­ber­ger; – das näm­li­che Ge­wächs, bei wel­chem der alte Jus­ti­nus Ker­ner sei­ne Ge­s­pens­ter sah. Sechser­le, ich sehe zum ers­ten Mal seit un­serm Zu­sam­men­tref­fen wie­der Geischt in dei­nem Auge. Weißt du, der Tria­ri­er Ruck­ga­be­le hat nicht nur dei­ne Kö­chin Ka­tha­ri­ne, son­dern auch dei­nen Haus­schlüs­sel im Be­sitz und Ge­nuss; aber ich habe den mei­ni­gen und wir gehn jetzt noch auf einen Schop­pen aus dem Hau­se. Hof­fent­lich ver­spürst auch du ein ge­wis­ses Be­dürf­nis, von mei­nem Le­ben seit un­sern hol­den Tü­bin­ger Ju­gend­ta­gen zu er­fah­ren; aber das passt mir hier in der Ein­sam­keit nicht so recht, wir re­den da­von am bes­ten in grö­ße­rer Ge­sell­schaft –«

      »O, Pechle! Wie kann –«

      »Sei mir still, du kannscht!! Ich weiß, was dir gut tut, und für die­se Nacht ge­hörst du mir mit Haut und Haar, du un­glück­li­ches, ver­las­se­nes Wai­sen­bü­b­le.


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