Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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für alle un­ver­wit­tib­ten und den bes­se­ren, den be­mit­tel­ten Stän­den an­ge­hö­ren­den Ehe­män­ner mach­te.

      Das Fläsch­chen mit köl­ni­schem Was­ser wur­de wäh­rend der Fahrt wie­der­holt in Ge­brauch ge­nom­men; aber end­lich hielt der Wa­gen. Die Hei­mat war er­reicht, und der gnä­di­ge Herr stürz­te – nicht die Trep­pe hin­un­ter, um den Schlag zu öff­nen, die zür­nen­de Gat­tin her­aus­zu­he­ben, sie in die Arme zu schlie­ßen und sein un­ver­ant­wort­lich rück­sichts­lo­ses Be­tra­gen zu ent­schul­di­gen. Nur der Haus­be­sit­zer sah im Erd­ge­schoss aus dem Fens­ter und griff grü­ßend an die Haus­müt­ze; – die Kam­mer­jung­fer Char­lot­te konn­te sich das Ding we­ni­ger denn je er­klä­ren.

      Es reg­te sich gar nichts. Auch Herr Kat­zen­le­cker, der Haus­herr, hat­te sein In­ter­es­se an dem Wa­gen, der vor sei­nem Hau­se hielt, ver­lo­ren; er zog den Kopf aus dem Fens­ter und sich in das In­ne­re sei­ner Ge­mä­cher zu­rück. Die Baro­nin sah mit zu­sam­men­ge­knif­fe­nen Lip­pen und Au­gen an dem Hau­se em­por. Ei­nen Mo­ment stand sie; dann stieg sie die Trep­pe hin­auf, ohne sich nach der Beglei­te­rin um­zu­schau­en. Sie stieg – stieg – stieg em­por, statt­lich, rau­schend – neues­te Num­mer des Ba­zars – fa­tum­haft, ernst und un­er­bitt­lich; und der ei­s­erns­te Schritt des dröh­nends­ten Kriegs- und Schlach­ten­schick­sals war ein Wie­gen­lied der Idyl­le ge­gen den schar­fen Klang ih­rer Stie­fel­chen auf den Stu­fen der Haustrep­pe.

      Wehe dem Her­de, des­sen Ge­bie­te­rin mit der­ar­tig ka­dend­zier­tem Hall der zar­ten Soh­len heim­kehrt! Der Schall al­lein rächt man­ches, was das rohe Ge­schlecht der Män­ner seit sei­ner Ent­wick­lung aus dem Go­ril­la an den En­geln ver­brach, die aus dem Him­mel nie­der­stie­gen, nach den Söh­nen der Erde zu se­hen und zu Män­nern zu neh­men »wel­che sie woll­ten«. –

      Der Griff des Glo­cken­zu­ges blieb nicht in der Hand der vom Blü­ten­duft der Freund­schaft und der Idea­le trun­ken heim­keh­ren­den pla­cens uxor, al­lein der Klang der Glo­cke war des­sen­un­ge­ach­tet wohl ver­nehm­lich. Die Schwa­ben­maid stürz­te er­schreckt her­bei, die feuch­ten Hän­de auf dem Wege an der Schür­ze ab­trock­nend. Die schö­ne Her­rin trat ein, blieb aber auf der Stel­le ste­hen und frag­te, ei­nem er­höh­ten, ei­nem ver­schärf­ten Er­stau­nen an­heim­fal­lend:

      »Mein Gott, welch ein Ge­ruch?«

      Ei frei­lich, wie roch es da? – Ein we­nig selt­sam ohne Zwei­fel! Ein we­nig nach Ka­mil­len­tee, ein we­nig säu­er­lich, ein we­nig süß­lich, ein we­nig sal­zig, ein we­nig nach Spi­ri­tuo­sen und gar nicht we­nig nach Ta­baks­dampf!

      »Was ist das? Was ist ge­sche­hen? Was ge­schieht hier? Ka­tha­ri­na, was geht hier vor?« rief die Baro­nin von Ripp­gen, nicht ei­nem ein­zi­gen ih­rer Sin­ne, und son­der­ba­rer­wei­se ih­rem Ge­ruchs­sin­ne am we­nigs­ten trau­end. Und ohne die Ant­wort der sue­vi­schen Jung­frau ab­zu­war­ten, rausch­te sie an ihr vor­bei ge­gen die Tür des Sa­lons, riss die­se auf, fand auch hier den­sel­ben Ge­ruch, nur noch ein we­nig ver­stärk­ter – ging, mit je­dem Schrit­te Au­gus­ta-haf­ter wer­dend vor und hin­durch, riss die Tür des dem Ge­mahl an­ge­wie­se­nen Ge­ma­ches auf, und sah – auf der Schwel­le ste­hend und zu Eis er­star­rend – auf das, was hier vor­ge­gan­gen war und was – ihr un­ter den Au­gen und der Nase – noch vor­ging, frei­lich ohne es im ers­ten Au­gen­blick in sei­ner gan­zen Scheuß­lich­keit zu be­grei­fen!…

      Auf dem Sofa, den Kopf durch ein ei­nem Fe­der­bett ent­nom­me­nes Kis­sen un­ter­stützt, lag der Baron Fer­di­nand von Ripp­gen, wie es schi­en, dem Tode oder et­was noch viel Schlim­me­rem nahe. Lan­g­aus­ge­streckt lag er, mit hän­gen­den Ar­men, ein Bild des Jam­mers, des un­säg­lichs­ten Elends, und bei ihm, be­quem in dem be­quems­ten Lehn­ses­sel, saß ein breit­schul­te­ri­ger, dick­köp­fi­ger, ver­gnügt aus­se­hen­der Herr, der eine Zi­gar­re im Mun­de und eine Wein­fla­sche ne­ben sei­nem El­len­bo­gen auf dem Ti­sche vor sich hat­te. Der ele­gant mit kost­ba­rem Tep­pich be­häng­te Tisch aber wies au­ßer­dem ein Sam­mel­su­ri­um von al­len mög­li­chen Fla­schen, Glä­sern, Tas­sen und sons­ti­gen Ge­fäßen vor. Den Ka­mil­len­tee hat­te sich der Frei­herr be­reits in den Mor­gen­stun­den sel­ber ver­ord­net. Ka­mil­len­tee mit Kir­schen­geist je­doch hat­te ihm dann Herr Chri­stoph Pech­lin an­ge­ra­ten, zu­be­rei­tet und – ein­ge­zwun­gen. Ob er die Mi­schung auf sei­ne ei­ge­ne Na­tur oder die des dem Ver­sin­ken na­hen Ju­gend­ge­nos­sen be­rech­net hat­te, wol­len wir da­hin­ge­stellt sein las­sen. Der Baron be­fand sich in ei­nem Zu­stand, der des Tros­tes und der Hil­fe durch eine Freun­des­hand drin­gend be­dürf­tig war, und Pech­lin war der Mann, eine sol­che Hil­fe dar­zu­brin­gen und sie so­gar durch et­was ge­walt­tä­ti­ge Über­re­dung auf­zu­drän­gen.

      Je auf­ge­lös­ter Fer­di­nand dalag, de­sto auf­rech­ter saß Chri­stoph da. Je er­bar­mungs­wür­di­ger Fer­di­nand aus­sah, de­sto fri­scher, mun­te­rer und ge­wis­ser­ma­ßen hüb­scher blick­te Chri­stoph in die Welt hin­ein. Ganz statt­lich sah der alte Tü­bin­ger aus und im­po­nier­te drol­li­ger­wei­se durch den ge­wähl­tes­ten schwar­zen An­zug an die­sem Kran­ken­la­ger. Heim­tücki­scher-, un­ge­mein ab­sichts­vol­ler­wei­se hat­te er sich äu­ßer­lich auf das mög­lichs­te be­strebt, den wür­di­gen, erns­ten hip­po­kra­ti­schen Hel­fer im Leid dar­zu­stel­len, und für die ers­ten Au­gen­bli­cke er­reich­te er voll­stän­dig den be­ab­sich­tig­ten Zweck. Die Baro­nin Lu­cie von Ripp­gen hielt den Men­schen für den im Mo­ment der drin­gends­ten Not von der Gas­se her­auf­ge­ru­fe­nen viel­be­schäf­tig­ten Arzt und rief, aus ih­rer Ver­stei­ne­rung er­wa­chend:

      »O mein Gott, was ist – was ist mit ihm vor­ge­fal­len? Herr Dok­tor, was ist ge­sche­hen? Ist es denn so sehr ge­fähr­lich? Um Got­tes­wil­len, Fer–­di­nand«

      Seit län­ge­ren Jah­ren war der Frei­herr nicht in so teil­nahms­vol­lem, ja er­schreckt-zärt­li­chem Tone von sei­ner Gat­tin an­ge­ru­fen wor­den, als jetzt, und doch – doch hät­te die bis­sigs­te, höh­nischs­te Auf­for­de­rung zur Verant­wor­tung, im Ver­lau­fe sei­ner Ehe, nie einen sol­chen er­schüt­tern­den Ein­druck auf ihn ge­macht, wie die­ser, aus ei­nem das Schlimms­te be­fürch­ten­den Her­zen her­vor­bre­chen­de Schrei der Lie­be. Wie ei­nem auf der Fol­ter­bank Ve­ren­den­den zum letz­ten Mal vor dem Er­lö­schen des Le­bens­fun­kens ein alle er­dul­de­te Qual zu­sam­men­fas­sen­der Schau­der sämt­li­che ver­renk­te Glie­der durch­zuckt, so durch­schau­er­te den Baron die­ser fra­gen­de Ruf: »Fer­di­nand?!«

      Er er­hob sich bei dem­sel­ben halb, und sank auf der Stel­le ganz zu­rück. Ewi­ge Be­wusst­lo­sig­keit war un­be­dingt dem Ge­dan­ken an die dem­nächst un­aus­bleib­lich fol­gen­den Aus­ein­an­der­set­zun­gen vor­zu­zie­hen. Ja, ja, lie­ber Fer­di­nand, hier war der Wurm, wel­cher nie stirbt; und dro­hend sah die Ewig­keit her­ein, und er­such­te die Baro­nin, sich auch auf die­ser Blü­te des Da­seins nie­der­zu­las­sen, die Sü­ßig­keit der­sel­ben auf­zusau­gen und – Ho­nig dar­aus zu be­rei­ten.

      Der Baron war auf sein Kis­sen zu­rück­ge­sun­ken, nach­dem er ver­sucht hat­te, sich von dem­sel­ben zu er­he­ben; glück­li­cher­wei­se aber war es dem Af­ter­arzt und Pseu­do­dok­tor Chri­stoph Pech­lin ge­ge­ben,


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