Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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Frau, es ist nicht das ers­te Mal, dass mir das Schick­sal das Glück zu­teil wer­den ließ, ihn aus großer Ge­fahr zu er­ret­ten! In ver­gan­ge­ner Nacht schmeich­le ich mir wie­der ein­mal sei­nen Kör­per ge­ret­tet zu ha­ben; wie oft ich je­doch sein bes­se­res Teil, sei­ne herr­li­che un­er­setz­li­che See­le durch ge­schick­te Ver­mitt­lung im Kamp­fe mit den dun­kels­ten al­ler Mäch­te un­ver­letzt er­hal­ten habe, dar­über fehlt mir in der Tat eine ge­naue Be­rech­nung.«

      Hier wag­te es der Baron, sei­ner Angst zum Trotz, lei­se zu stöh­nen; doch Pech­lin fuhr rasch wei­ter fort:

      »O, leug­ne es nicht, Bes­ter! denkst du wohl noch dran, wie ich dir, nur in­fol­ge mei­ner ho­hen di­plo­ma­ti­schen Be­ga­bung, ein mit ei­nem ro­sa­sei­de­nen Bänd­chen um­wun­de­nes Brief­pa­ket wie­der ver­schaff­te! Erin­nerst du dich wirk­lich nicht mehr dar­an, wie Fräu­lein Her­si­lie Schnäpp­le in den Neckar ge­hen woll­te? Be­sin­ne dich nur; es wird dir schon ein­fal­len, wenn du dich nur recht be­sinnst.«

      »Wie ver­hält sich das, mein Herr?« ächz­te an die­ser Stel­le die Baro­nin, ih­ren fes­tes­ten Vor­sät­zen zum Trot­ze.

      »Wie ich sage. Aber be­ru­hi­gen Sie sich, gnä­di­ge Frau; es ist kein Grund zu ei­nem Sen­sa­ti­ons­ar­ti­kel vor­han­den. Das Fräu­lein ging nicht in den Neckar, son­dern nur in die fromm-volks­tüm­li­che Li­te­ra­tur. Sie schreibt un­ter dem Na­men –«

      »Ich bit­te dich, so bald als mög­lich wie­der wohl zu wer­den«, sprach mit der Käl­te ei­nes Eis­ber­ges die Gat­tin zu dem Gat­ten, er­hob sich aber­mals und ver­ließ das Ge­mach, ohne sich den ver­dor­be­nen oder viel­mehr recht wohl­ge­ra­te­nen Got­tes­ge­lehr­ten von neu­em an­zu­se­hen. Die bei­den Freun­de be­fan­den sich wie­der al­lein, und Fer­di­nand von Ripp­gen griff sich in hel­ler Verzweif­lung mit bei­den Hän­den in die Kra­wat­te, riss sie sich ab und zer­knüll­te sie, im töd­lichs­ten Er­sti­ckungs­ge­fühl nach Luft rin­gend.

      Chri­stoph Pech­lin war mit der Baro­nin von Ripp­gen auf­ge­stan­den, schritt, wie vor­hin die Dame, zum Fens­ter, sah ei­ni­ge Se­kun­den lang hin­aus, kam zu­rück, beug­te sich über das La­ger des Frei­herrn und sag­te:

      »Du, ich hal­te mich für ein mit dem zum Durch­kom­men durch die­se Welt nö­ti­gen In­tel­lekt aus­ge­rüs­te­tes We­sen!«

      »Was soll dar­aus wer­den, und was hast du mir da an­ge­tan?«

      »Ruhe, Ruhe, Al­ter­le! Was ich dir an­ge­tan habe? Ich habe für dich und mich mo­men­tan mit dei­nem gu­ten Wei­ble ge­bro­chen. Es war nicht an­ders mög­lich; aber ver­lass dich dar­auf, wir sind auf dem bes­ten Wege zu ei­ner freund­schaft­lich be­hag­li­chen Ver­stän­di­gung. Rege dich nicht un­nö­tig auf; da ich dich ein­mal wie­der­ge­fun­den habe, so wer­de ich dich nim­mer­mehr ver­las­sen – grüß dich Gott und – ge­seg­ne­te Mahl­zeit.«

      Da­mit ging auch er, und Fer­di­nand – Fer­di­nand war al­lein – al­lein in der Er­war­tung, dass sei­ne Frau dem­nächst wie­der zu ihm zu­rück­keh­ren wer­de.

      Vie­le Leu­te wer­den es nicht für mög­lich hal­ten; aber es war doch so! Pechle nann­te den im vo­ri­gen Ka­pi­tel ge­schil­der­ten ers­ten Zu­sam­men­stoß mit der Freifrau Lu­cie von Ripp­gen ein ge­lun­ge­nes Nie­der­rei­ßen sämt­li­cher zwi­schen zwei gleich­ar­ti­gen, ganz für ein­an­der ge­schaf­fe­nen Na­tu­ren durch den Gott Zu­fall auf­ge­rich­te­ter Schran­ken! – – Pechle war ei­gent­lich zu un­ver­schämt! – – Pechle war aber je­den­falls nicht der Mann, der et­was ein­mal Un­ter­nom­me­nes, das sei­ner ei­ge­nen Na­tur zu­sag­te, leicht­hin auf­gab, und die Baro­nin merk­te das bald. Sie wur­de ihn nicht mehr los aus ih­rem Da­sein.

      Chri­stoph Pech­lin aus dem Schön­buch, Pechle, der im Grun­de ge­nom­men der blö­des­te Mensch des Erd­bo­dens war, fühl­te sich als Freund und leg­te den gan­zen Wert sei­ner ei­ge­nen Na­tur of­fen­kun­dig dar.

      Acht Tage nach dem ers­ten Be­kannt­wer­den mit dem un­ab­weis­ba­ren, lie­bens­wür­di­gen Tü­bin­ger Ex-Theo­lo­gen schrieb Lu­cie in voll­stän­di­ger rat-, rand- und band­lo­ser Auf­lö­sung an ihre Freun­din Miss Chri­sta­bel Ed­dish:

      »Dea­rest! Dea­rest! Hast Du kei­nen Ruf ver­nom­men? Kei­nen leis und fern her­hal­len­den Angst­ruf in den letz­ten Ta­gen und Näch­ten? Gar kei­nen?!… Chri­sta­bel, ich war es, die rief! – Den­ke Dich in das veil­chen­duf­ti­ge Grau­en hin­ein, mit wel­chem wir an den schö­nen Ge­sta­den der Elbe je­nes herr­li­che, aus Mon­den­schein und Dei­nem sü­ßen Na­men ge­web­te, lei­der un­voll­en­de­te Ge­dicht eu­e­res herr­li­chen Dich­ters Kol­le­ritsch zu­sam­men la­sen – lass al­les hin­ter Dir und kom­me zu mir!!… Komm zu mir, Chri­sta­bel! Lass al­les von Dir – Flo­renz so­wohl als Rom! – den­ke un­se­rer durch tau­send Schwü­re be­sie­gel­ten Freund­schaft, und komm zu mir nach Stutt­gart! Als je­ner ent­setz­li­che Ple­be­jer, des­sen Na­men ich nie – nie nie­der­schrei­ben wer­de, am Elb­ge­fil­de zum ers­ten Mal über un­se­re Li­gus­ter­he­cke stier­te – als sein Weib es wag­te, ihre Vi­si­ten­kar­te bei uns ab­zu­ge­ben, warst Du an mei­ner Sei­te, und – ich lebe noch! Chri­sta­bel, das lei­se Schluch­zen, wel­ches Du viel­leicht in Dei­nen Näch­ten ver­nom­men hast, schluchz­te ich; – ich rief wie­der nach Dir, Dir, o mei­ne Tau­be; komm als Trös­te­rin, Schüt­ze­rin, Ret­te­rin! ein Fürch­ter­li­che­res, als al­les Vor­her­ge­gan­ge­ne droht Dei­ner ar­men Lucy. Sie ist ver­lo­ren, wenn Du nicht zu ihr kommst, ihr zu hel­fen durch Rat und Tat!

      Five war­riors sei­zed me yes­ter­morn,

       Me, even me, a maid for­lorn –

      nein, wenn auch nicht fünf Krie­ger, so doch ein ein­zi­ger Un­hold, der ein gan­zes Re­gi­ment von sei­nes­glei­chen auf­wiegt, hat sich Dei­ner un­glück­li­chen Ge­nos­sin be­mäch­tigt. Hast du wirk­lich kei­nen Hil­fe­ruf ver­nom­men in den letz­ten Näch­ten, Chri­sta­bel??!!

      Blu­ti­ge Trä­nen fal­len auf das Blatt, auf wel­chem ich jetzt schrift­lich Dich rufe. Und in­dem ich Dir schrei­be, ver­sin­ke ich mehr und mehr in dem mich um­ge­ben­den Pfuh­le der Ge­mein­heit. Die gräss­li­chen Flu­ten schla­gen über mei­nem dem Elend ge­weih­ten Haup­te zu­sam­men: nimm die­sen letz­ten Wink der ar­men, klei­nen Hand und lebe wohl, Chri­sta­bel!… Lebe wohl, Chri­sta­bel, ich kann nicht mehr – komm mit dem nächs­ten, dem al­ler­nächs­ten Ku­rier­zu­ge.

      The sil­ver lamp burns dead and dim;

       But Chri­sta­bel the lamp will trim –

      ja, sie wird es tun; – sie wird es nicht zu­ge­ben, dass die Teu­fel la­chen, wird es nicht zu­ge­ben, dass die Ge­wöhn­lich­keit recht be­hal­te! Chri­sta­bel wird die sil­ber­ne Lam­pe, die arme ster­ben­de Lam­pe des Da­seins ih­rer un­se­li­gen Lucy vor dem Er­lö­schen be­wah­ren; sie wird ih­rer Lucy auf azur­nen Flü­geln der Lie­be und Freund­schaft neu­es Öl – mein Gott, wie er­bärm­lich be­währt sich den zar­tes­ten Schwin­gun­gen un­se­rer See­le ge­gen­über das ge­schrie­be­ne Wort! – her­zu­tra­gen!… Eile, Chri­sta­bel, Dein zwei­tes Herz ist dem Still­ste­hen nahe! Wie aber soll ich Dir sa­gen, was mir ge­schieht, was Dei­ne Lu­cia zu er­dul­den hat? Die Wor­te man­geln der Fe­der, der Aus­druck der See­le, und ich bin das un­glück­lichs­te


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