Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
in den Händen des Quälers.
Und Laub quälte die Trudel redlich weiter. Sie, die aus Angst um ihren Karli halb besinnungslos war, sollte sich nun zu den Postkarten Quangels äußern. Er glaubte ihr das zufällige Zusammentreffen nicht, sie hatte stets in Verbindung mit den Quangels gestanden, feiges kommunistisches Verschwörerpack, und ihr Mann, Karli, hatte auch davon gewusst!
»Wie viel Karten haben Sie denn nun so abgelegt? Was hat auf den Karten gestanden? Was hat Ihr Mann dazu gesagt?«
So quälte er sie, Stunde um Stunde, während Hergesell verzweifelt in der Küche saß, die Hölle im Herzen.
Schließlich kam das Auto, kam der Koffer, kam das Öffnen des Koffers.
»Tändeln Sie mir das Ding da mal auf, Fabian!«, hatte Kommissar Laub gesagt. Karl Hergesell war nun auch wieder in der Stube, aber bewacht. Durch die ganze Breite des Zimmers voneinander getrennt, sahen sich die Hergesells bleich und verzweifelt an.
»Hübsch schwer für Wäsche und Kleider!«, sagte der Kommissar spöttisch, während Fabian mit Drahthaken am Schloss hantierte. »Nun, wir werden ja gleich den Salat zu sehen bekommen! Wird, fürchte ich, ein bisschen peinlich für Sie beide, oder was meinen Sie, Hergesell?«
»Meine Frau hat nie etwas von diesem Koffer gewusst, Herr Kommissar!«, versicherte Hergesell wieder.
»Ja, und Sie haben nichts davon gewusst, dass Ihre Frau für diesen Quangel Postkarten mit hochverräterischem Inhalt in Treppenhäusern abgelegt hat! Jeder ein kleiner Hochverräter für sich allein! Eine feine Ehe, muss ich schon sagen!«
»Nein!«, schrie Hergesell. »Nein! Das hast du nicht getan, Trudel! Sag, dass du es nicht getan hast, Trudel!«
»Sie hat’s aber gestanden!«
»Nur ein einziges Mal, Karli, und da war es reiner Zufall …«
»Ich verbiete Ihnen jede Unterhaltung miteinander! Noch ein einziges Wort, und Sie wandern wieder in die Küche ab, Hergesell! Na also, ist das Dings offen. Und was haben wir denn da?«
Er stand mit Fabian so vor dem Koffer, dass Hergesells den Inhalt nicht sehen konnten. Die beiden Kriminalbeamten tuschelten miteinander. Dann hob Fabian schwer den Inhalt ans Licht. Eine kleine Maschine, blinkende Schrauben, Federn, Schwärze glänzte …
»Eine Druckmaschine!«, sagte Kommissar Laub. »Eine hübsche kleine Druckmaschine – für kommunistische Hetzblätter. Das erledigt Ihren Fall, Hergesell. Für heute und immer!«
»Ich habe nicht gewusst, was in dem Koffer war«, widersprach Karl Hergesell, aber er war so verschreckt, dass dieser Widerspruch nur schwach klang.
»Als wenn das jetzt nicht ganz gleich wäre! Sie waren ja schon verpflichtet, Ihr Treffen mit diesem Grigoleit zu melden und den Koffer abzuliefern! Wir machen hier jetzt Schluss, Fabian. Packen Sie das Dings wieder ein. Ich weiß genug und übergenug. Auch die Frau wird gefesselt.«
»Lebe wohl, Karli!«, rief Trudel Hergesell mit starker Stimme. »Lebe wohl, mein Liebster. Du hast mich sehr glücklich gemacht …«
»Machen Sie, dass die Frau die Fresse hält!«, rief der Kommissar. »Nanu, Hergesell, was soll das?«
Karl Hergesell hatte sich von seinem Wachtmann losgerissen, als an der anderen Stubenwand eine rohe Faust Trudels Mund verschloss. Obwohl er eine Handfessel trug, war es ihm gelungen, den Quäler Trudels zu Boden zu reißen. Sie wälzten sich an der Erde.
Der Kommissar hatte Fabian nur einen Wink gegeben. Der stand über den Kämpfenden, wartete, und nun schlug Fabian drei-, viermal Karl Hergesell auf den Schädel.
Hergesell ächzte, seine Glieder zuckten, dann lag er still zu Trudels Füßen. Sie sah bewegungslos auf ihn herab, ihr Mund blutete.
Während der langen Fahrt in die Stadt hoffte sie vergebens, er werde noch einmal aufwachen, sie könnte ihm noch einmal in die Augen sehen. Nein, nichts.
Nichts hatten sie getan. Und sie waren doch verloren …
54. Otto Quangels schwerste Last
Während der neunzehn Tage, die Otto Quangel im Bunker der Gestapo zubringen musste, ehe er dem Untersuchungsrichter beim Volksgerichtshof ausgeliefert wurde, waren für ihn nicht die Verhöre durch den Kommissar Laub das am schwersten zu Ertragende, trotzdem dieser Mann alle seine nicht geringen Kräfte aufwandte, um den Widerstand Quangels zu brechen, wie er es nannte. Das hieß nichts anderes, als dass er mit all seinen schlimmen Kräften bemüht war, aus dem Häftling ein schreiendes, angstvolles Garnichts zu machen.
Es war auch nicht die ständig wachsende, sehr quälende Sorge um seine Frau Anna, die Otto Quangel so zermürbte. Er sah seine Frau nicht, er hörte nie direkt etwas von ihr. Aber als Laub bei den Vernehmungen den Namen Trudel Baumanns, nein, jetzt Trudel Hergesells nannte, wusste er, seine Frau hatte sich verängstigen lassen, sie war überlistet worden, ein Name war ihr entschlüpft, den sie nie hätte zu nennen brauchen.
Später, als immer klarer wurde, auch Trudel Baumann und ihr Mann waren verhaftet worden, sie hatten ausgesagt, sie waren mit in diesen Strudel gezogen, da haderte er in Gedanken viele Stunden mit seiner Frau. Es war immer sein Stolz gewesen in diesem seinem Leben, ein Mensch ganz für sich allein zu sein, die anderen nicht zu brauchen, ihnen nie lästig zu fallen, und nun waren durch sein Verschulden (denn er fühlte sich voll verantwortlich für Anna) zwei junge Menschen in seine Sachen hereingezogen worden.
Aber der Hader hielt nicht lange an, die Trauer und die Sorge um seine Lebensgefährtin überwogen. Allein mit sich, presste er oft die Nägel in die Handteller, er schloss die Augen, er sammelte alle seine Stärke in sich – und dann dachte er an Anna, er suchte sie sich vorzustellen in ihrer Zelle, und er schickte Kraftströme aus, um ihr neuen Mut zu geben, damit sie nur nicht ihre Würde vergäße, sich nicht demütige vor diesem Elenden, der kaum noch etwas Menschliches hatte.
Diese Sorge um Anna war schwer zu ertragen, aber sie war bei weitem das Schwerste nicht.
Das Schwerste waren auch nicht die fast alltäglichen Einbrüche in die Zelle von betrunkenen SS-Männern und ihren Führern, die ihre Wut und Quälereien an dem Wehrlosen ausließen. Fast alltäglich rissen sie die Zellentür auf, stürzten herein, wild vom Alkohol, nur von der Gier besessen, Blut zu sehen, Menschen verzucken, vergehen zu sehen, sich an der Schwäche des Fleisches zu erbauen. Auch dies war sehr schwer zu ertragen, aber das Schwerste war es noch nicht.
Sondern das Schwerste war, dass er nicht allein in seiner Zelle war, dass er einen Zellengefährten