Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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ge­le­gen, sehr weiß und sehr still – und Anna hat­te sich voll Kum­mer ge­fragt, ob sie nicht mit Schuld an die­sem Ende trug. Hät­te sie zu dem Kom­missar Laub nicht ihre Schwä­ge­rin er­wähnt! Und dann dach­te sie an Tru­del Bau­mann, Tru­del Her­ge­sell, sie fing an zu zit­tern – die hat­te sie wirk­lich ver­ra­ten! Ge­wiss, ge­wiss, Ent­schul­di­gun­gen ge­nug. Wie hat­te sie ah­nen kön­nen, welch Un­heil aus der blo­ßen Er­wäh­nung von Ot­to­chens Braut ent­ste­hen wür­de! Aber dann war es wei­ter­ge­gan­gen, Schritt um Schritt, und schließ­lich war der Ver­rat of­fen­sicht­lich ge­we­sen, und sie hat­te einen Men­schen, an dem ihr Herz hing, un­glück­lich ge­macht, und viel­leicht nicht nur einen Men­schen.

      Wenn Anna Quan­gel dar­an dach­te, sie müs­se Tru­del Her­ge­sell Auge in Auge ent­ge­gen­tre­ten, sie wer­de ihr ins Ge­sicht ihre ver­rä­te­rischen Wor­te wie­der­ho­len müs­sen, so zit­ter­te sie. Wenn sie aber an ih­ren Mann dach­te, so war sie ver­zwei­felt. Dann war sie über­zeugt, dass die­ser ge­wis­sen­haf­te, recht­li­che Mann ihr die­sen Ver­rat nie ver­zei­hen wür­de und dass sie noch vor ih­rem na­hen Le­bens­en­de den ein­zi­gen Ka­me­ra­den ver­lie­ren wür­de.

      Wie habe ich nur so schwach sein kön­nen, klag­te sich Anna Quan­gel an, und wenn sie zu ei­nem Ver­hör zu Laub ge­holt wur­de, bat sie bei sich nicht dar­um, dass er sie nicht quä­len möge, son­dern sie bat um Stär­ke, trotz al­ler Quä­le­rei­en nichts aus­zu­sa­gen, was an­de­re be­las­ten konn­te. Und die­se klei­ne, schmäch­ti­ge Frau be­harr­te dar­auf, ih­ren Teil der Last zu tra­gen und mehr als ih­ren Teil: sie, nur sie al­lein hat­te – bis auf einen oder zwei Fäl­le – die Post­kar­ten aus­ge­tra­gen, und nur sie al­lein hat­te sich ih­ren In­halt aus­ge­dacht und ihn dem Man­ne dik­tiert. Sie al­lein war die Er­fin­de­rin die­ser Kar­ten; weil ihr Sohn ge­fal­len war, hat­te sie die­se Idee ge­fasst.

      Der Kom­missar Laub, der wohl merk­te, dass ihre Aus­sa­gen er­lo­gen wa­ren, dass die­se Frau gar nicht fä­hig zu den Din­gen war, die ge­tan zu ha­ben sie be­haup­te­te – Kom­missar Laub moch­te schrei­en, dro­hen, quä­len, so viel er woll­te: sie un­ter­schrieb kein an­de­res Pro­to­koll, sie nahm nichts von die­sen Aus­sa­gen zu­rück, und wenn er ihr zehn Mal be­wies, dass sie nicht stim­men konn­ten. Laub hat­te die Schrau­be über­dreht, er war macht­los. Und wenn Anna von ei­nem sol­chen Ver­hör wie­der in den Kel­ler ge­bracht wur­de, hat­te sie ein Ge­fühl der Er­leich­te­rung, als habe sie einen Teil ih­rer Schuld ab­ge­büßt, als kön­ne Otto ein we­nig zu­frie­den mit ihr sein. Und der Ge­dan­ke wur­de stär­ker in ihr, dass sie viel­leicht Ot­tos Le­ben ret­ten könn­te, wenn sie nur alle Schuld auf sich nahm …

      Nach den Ge­wohn­hei­ten des Ge­sta­po­ge­fäng­nis­ses hat­te man sich kei­nes­wegs be­eilt, die tote Ber­ta aus An­nas Zel­le zu ent­fer­nen. Es konn­te wie­der­um nur Schlam­pe­rei, es konn­te aber auch be­ab­sich­tig­te Quä­le­rei sein – je­den­falls lag die Tote schon den drit­ten Tag in der wi­der­lich süß­lich rie­chen­den Zel­le, als die Tür auf­ge­schlos­sen und ge­ra­de jene hin­ein­ge­sto­ßen wur­de, de­ren Bli­cken zu be­geg­nen Anna so große Angst hat­te.

      Tru­del Her­ge­sell tat einen Schritt in die Zel­le. Ihre Au­gen sa­hen noch fast nichts, sie war zu Tode er­schöpft, und die Angst um den nicht wie­der zum Le­ben er­wach­ten Kar­li, von dem man sie eben roh ge­trennt hat­te, mach­te sie fast be­sin­nungs­los. Sie stieß einen lei­sen Schre­ckens­ruf aus, als sie den wi­der­li­chen Ver­we­sungs­ge­stank in der Zel­le roch, als sie die Tote sah, die da jetzt fle­ckig und ge­dun­sen auf der Holz­prit­sche lag.

      Sie stöhn­te: »Ich kann nicht mehr«, und Anna Quan­gel be­wahr­te das Op­fer ih­res Ver­rats vor dem Hin­stür­zen.

      »Tru­del!«, flüs­ter­te sie an dem Ohr der halb Ohn­mäch­ti­gen. »Tru­del, kannst du mir ver­zei­hen? Ich habe zu­erst dei­nen Na­men ge­nannt, weil du doch Ot­to­chens Braut warst. Und dann hat er mit sei­nen Quä­le­rei­en al­les aus mir her­aus­ge­holt. Ich ver­ste­he es selbst nicht mehr. Tru­del, sieh mich nicht so an, ich bit­te dich! Tru­del, soll­test du nicht ein Kind be­kom­men? Habe ich auch das zer­stört?«

      Wäh­rend Frau Anna Quan­gel so sprach, hat­te sich Tru­del Her­ge­sell aus ih­ren Ar­men ge­löst und war zum Ein­gang der Zel­le zu­rück­ge­gan­gen. Jetzt lehn­te sie an der ei­sen­be­schla­ge­nen Tür und sah mit blei­chem Ge­sicht zu der al­ten Frau hin­über, die sie, durch die Län­ge der Zel­le ge­trennt, von der an­de­ren Wand her an­sah.

      »Du warst es, Mut­ter?«, frag­te sie. »Du hast das ge­tan?«

      Und mit ei­nem plötz­li­chen Aus­bruch: »Ach, es ist mir wahr­haf­tig nicht um mich! Aber sie ha­ben mir den Kar­li ganz zer­schla­gen, und ich weiß nicht, ob er wie­der zur Be­sin­nung kom­men wird. Vi­el­leicht ist er jetzt schon tot.«

      Die Trä­nen stürz­ten aus ih­ren Au­gen, als sie rief: »Und ich kann nicht zu ihm! Ich weiß nichts, und viel­leicht wer­de ich Tage und Tage hier sit­zen und nichts hö­ren. Er ist dann schon tot und ver­scharrt, aber in mir lebt er noch im­mer. Und ein Kind wer­de ich auch nicht von ihm ha­ben – wie arm ich plötz­lich ge­wor­den bin! Noch vor ein paar Wo­chen, ehe ich den Va­ter traf, hat­te ich al­les, um glück­lich zu sein, und ich war auch glück­lich! Und jetzt habe ich nichts mehr. Nichts! Ach, Mut­ter …«

      Und sie setz­te plötz­lich hin­zu: »Aber an der Fehl­ge­burt bist du nicht schuld, Mut­ter. Die war schon, als noch nichts ge­sche­hen war.«

      Plötz­lich eil­te Tru­del Her­ge­sell schwan­kend durch die Zel­le, sie hing ih­ren Kopf an An­nas Brust und klag­te: »Ach, Mut­ter, wie un­glück­lich bin ich doch ge­wor­den! Sage doch du mir, dass Kar­li es le­bend über­ste­hen wird!«

      Und Anna Quan­gel küss­te sie – und flüs­ter­te: »Er wird le­ben, Tru­del, und auch du wirst le­ben! Ihr habt doch nichts Bö­ses ge­tan!«

      Eine Wei­le hiel­ten sie sich um­fasst und wa­ren ganz still. Ei­nes ruh­te in der Lie­be des an­de­ren, ein we­nig Hoff­nung rühr­te sich wie­der.

      Dann schüt­tel­te die Tru­del den Kopf, und sie sag­te: »Nein, auch wir wer­den nicht heil da­von­kom­men. Sie ha­ben zu viel her­aus­ge­fun­den. Es ist wahr, was du sagst: ei­gent­lich ha­ben wir nichts Bö­ses ge­tan. Der Kar­li hat für einen an­de­ren einen Kof­fer auf­be­wahrt, ohne zu wis­sen, was dar­in ist, und ich habe für den Va­ter eine Post­kar­te ab­ge­legt. Aber sie sa­gen, das ist Hoch­ver­rat und kos­tet den Kopf.«

      »Das hat si­cher der Laub ge­sagt, die­ser schreck­li­che Kerl!«

      »Ich weiß nicht, wie er heißt, aber das ist mir auch ganz egal. So sind sie doch alle! Auch die auf der Auf­nah­me hier, alle sind sie sich gleich. Aber es ist viel­leicht ganz gut, dass es so viel ist: Jah­re und Jah­re in ei­nem Zucht­haus sit­zen …«

      »Die Herr­schaft von de­nen wird nicht mehr Jah­re und Jah­re dau­ern, Tru­del!«

      »Wer weiß? Und was ha­ben sie al­les den Ju­den und den an­de­ren Völ­kern an­tun dür­fen – ohne Stra­fe! Glaubst du wirk­lich, dass es Gott gibt, Mut­ter?«

      »Ja, Tru­del, das glau­be ich. Otto woll­te es ja im­mer nicht er­lau­ben, aber das ist mein ein­zi­ges Ge­heim­nis vor ihm: ich glau­be noch an Gott.«

      »Ich habe nie so recht an ihn glau­ben kön­nen. Aber es wäre schön, wenn es Gott gäbe, denn dann wüss­te ich doch, Kar­li und ich wür­den nach dem Tode zu­sam­men sein!«

      »Das wer­det ihr, Tru­del. Sieh ein­mal, auch


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