Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
»Sehr wahrscheinlich! Darum wollten Sie ja auch den Schein verbrennen, als Sie merkten, dass Polizei in der Wohnung ist!«
Hergesell zögerte, dann sagte er mit einem raschen Blick auf seine Frau: »Das habe ich getan, weil ich dem Bekannten nicht ganz traue. Es könnte ja auch etwas anderes darin sein. Der Koffer ist sehr schwer.«
»Und was könnte Ihrer Ansicht nach wohl in dem Koffer drin sein?«
»Vielleicht Druckschriften. Ich habe mir immer Mühe gegeben, nicht daran zu denken.«
»Was ist denn das für ein komischer Bekannter, der seinen Koffer nicht selbst zur Aufbewahrung geben kann? Heißt er vielleicht Karl Hergesell?«
»Nein, er heißt Schmidt, Heinrich Schmidt.«
»Und woher kennen Sie ihn, diesen sogenannten Heinrich Schmidt?«
»Ach, den kenne ich schon lange, schon mindestens zehn Jahre.«
»Und wie kamen Sie auf den Gedanken, dass es Druckschriften sein könnten? Was war denn dieser Emil Schulz?«
»Heinrich Schmidt. Der war Sozialdemokrat oder auch Kommunist. Darum bin ich ja auf den Gedanken gekommen, dass da Druckschriften drin sind.«
»Wo sind Sie denn eigentlich geboren, Herr Hergesell?«
»Ich? Hier in Berlin. In Berlin-Moabit.«
»Und wann?«
»Am 10. April 1920.«
»So, und den Heinrich Schmidt wollen Sie seit mindestens zehn Jahren kennen und über seine politische Einstellung Bescheid wissen! Da dürften Sie also elf Jahre alt gewesen sein, Herr Hergesell! Zu dumm dürfen Sie mich auch nicht ansohlen, dann werde ich nämlich ungemütlich, und wenn ich ungemütlich werde, dann tut Ihnen gleich was weh!«
»Ich habe nicht gelogen! Alles, was ich gesagt habe, ist wahr.«
»Name Heinrich Schmidt: erste Lüge! Inhalt des Koffers nie gesehen: zweite Lüge! Grund des Aufbewahrens: dritte Lüge! Nee, mein lieber Herr Hergesell, jeder Satz, den Sie gesagt haben, ist gelogen!«
»Nein, es ist alles wahr. Der Heinrich Schmidt wollte nach Königsberg fahren, und weil ihm der Koffer zu schwer war und er ihn auf der Reise nicht brauchte, hat er mich gebeten, ihn abzugeben. Das ist die ganze Geschichte!«
»Und macht sich die Mühe, nach Erkner zu fahren und sich den Schein bei Ihnen abzuholen, wo er ihn bei sich in der Tasche tragen kann! Sehr wahrscheinlich, Ihre ganze Geschichte, Herr Hergesell! Na, wir wollen jetzt erst mal diese Sache auf sich beruhen lassen. Wir werden uns wohl noch öfter darüber unterhalten, ich denke, Sie werden so freundlich sein und mich ein bisschen auf die Gestapo begleiten. Was nun Ihre Frau angeht …«
»Meine Frau weiß von der ganzen Koffergeschichte nichts!«
»Das sagt sie auch. Aber was sie weiß und was sie nicht weiß, das werde ich alles schon noch erfahren. Aber da ich euch beide hübschen Schätzchen jetzt so nett beisammen habe – ihr kennt euch doch seit eurer Arbeit in der Uniformfabrik?«
»Ja …«, sagten sie.
»Na, wie ist denn das da gewesen, was habt ihr denn da so angestellt?«
»Ich war dort Elektriker …«
»Ich habe Waffenröcke zugeschnitten …«
»Sehr schön, sehr gut, fleißige Menschen seid ihr. Aber wenn ihr grade nicht Stoff geschnippelt und Draht gezogen habt – was habt ihr dann gemacht, meine kleinen Hübschen? Habt ihr da vielleicht so ’ne kleine hübsche kommunistische Zelle gebildet, ihr beiden, und ein gewisser Jensch, Säugling genannt, und ein Grigoleit?«
Sie sahen ihn, blass geworden, an. Wie konnte der Mann das wissen? Sie tauschten einen ratlosen Blick.
»Jaha!«, lachte Laub spöttisch. »Nun seid ihr ziemlich verdattert, was? Ihr habt da nämlich unter Beobachtung gestanden, ihr vier, und wenn ihr euch nicht so schnell getrennt hättet, würde ich eure Bekanntschaft schon ein bisschen früher gemacht haben. Sie stehen ja jetzt noch immer in Ihrer Fabrik hier unter Beobachtung, Hergesell!«
Sie waren so verwirrt, dass sie gar nicht daran dachten, dem Mann da zu widersprechen.
Er betrachtete sie nachdenklich, und plötzlich kam dem Kommissar ein Gedanke. »Wem hat denn nun der bewusste Koffer gehört, Herr Hergesell?«, fragte er. »Dem Grigoleit oder dem Säugling?«
»Dem – ach, jetzt ist es ja doch egal, wo Sie alles schon wissen, also der Grigoleit hat ihn mir angedreht. Er wollte ihn in einer Woche wieder holen, aber nun ist das schon so lange her …«
»Wird hopsgegangen sein, Ihr Grigoleit! Nun, den werde ich mir schon schnappen – wenn er noch lebt, heißt das.«
»Herr Kommissar, ich möchte aber feststellen, dass meine Frau und ich, seit wir aus der Zelle ausgetreten sind, uns nicht mehr politisch betätigt haben. Ja, wir haben die Zelle zum Platzen gebracht, noch ehe irgendetwas gearbeitet wurde. Wir haben nämlich gemerkt, dass wir zu so was nicht taugen.«
»Ich hab’s auch gemerkt! Ich auch!«, spottete der Kommissar.
Aber Karl Hergesell fuhr unbeirrt fort: »Seitdem haben wir nur an unsere Arbeit gedacht, wir haben nichts gegen den Staat getan.«
»Bloß das mit dem Koffer, vergessen Sie doch bloß den Koffer nicht, Hergesell! Aufbewahrung kommunistischer Druckschriften, das ist Hochverrat, das kostet Sie das Köpfchen, mein Lieber! Na, Frau Hergesell! Frau Hergesell! Was regen Sie sich denn so auf? Fabian, machen Sie mal die junge Frau von ihrem Mann los, aber ganz zart, Fabian, um Gottes willen, Fabian, tun Sie dem Herzchen nur nicht weh! Hat grade ’ne Fehlgeburt gehabt, die süße Kleine, will durchaus dem Führer keine Soldaten mehr liefern!«
»Trudel!«, bat Hergesell. »Hör doch nicht, was er sagt! Es müssen ja gar keine Druckschriften in dem Koffer sein, ich hab es nur manchmal gedacht. Es kann ja wirklich Wäsche und Kleidung drin sein, Grigoleit muss mich ja nicht angelogen haben!«
»So ist’s recht, junger Mann«, lobte Kommissar Laub, »machen Sie der jungen Frau wieder ein bisschen Mut! Haben wir uns gefasst, mein Herzchen? Können wir uns weiter unterhalten? Nun wollen wir vom Hochverrat des Karl Hergesell auf den Hochverrat der Trudel Hergesell, geborene Baumann, übergehen …«
»Meine Frau hat von all diesen Dingen nichts gewusst! Meine Frau hat nie etwas getan, was gegen das Gesetz ist!«
»Nein, nein, ihr seid alle beide brave Nationalsozialisten gewesen!« Plötzlich packte den Kommissar Laub der Zorn. »Wisst ihr, was ihr seid? Feige kommunistische Schweine seid ihr! Wühlratten seid ihr, die in der Scheiße wühlen! Aber ich bring euch ans Licht,