Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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und sor­gen­voll aus­sah im Wa­chen und im Schlaf. Aber im­mer­hin hat­te der Mann fest ge­schla­fen …

      Na­tür­lich hat­ten die ihn nicht schla­fen las­sen. Sie hat­ten ihn mit Püf­fen ge­weckt, sie hat­ten ihn von sei­ner Prit­sche hoch­ge­jagt. Er hat­te da vor die­sen Leu­ten in ih­ren Uni­for­men in Schwarz und Sil­ber in ei­nem viel zu kur­z­en Hemd ge­stan­den, ei­nem Hemd, das nicht ein­mal ganz sei­ne Blö­ße be­deck­te, eine lä­cher­li­che Fi­gur – wenn man den Kopf nicht an­sah!

      Und dann wa­ren sie auf den Ge­dan­ken ge­kom­men, den al­ten Kla­bau­ter­mann zu tau­fen, sie hat­ten ihm eine Fla­sche Schnaps über den Kopf ge­gos­sen. Der Ober­grup­pen­füh­rer Prall hat­te eine klei­ne, nied­lich be­sof­fe­ne Rede über die­sen Kla­bau­ter­mann ge­hal­ten, über dies Schwein, das bald ge­met­zelt wür­de, und am Schluss die­ser Rede hat­te er sein Schnaps­glas auf Quan­gels Kopf zer­schla­gen.

      Das war ein Si­gnal für die an­de­ren ge­we­sen, alle hat­ten sie ihre Schnaps­glä­ser auf dem Kopf des al­ten Man­nes zer­schla­gen. Ar­ma­gnac und Blut wa­ren über sein Ge­sicht ge­lau­fen. Aber wäh­rend al­les dies ge­sch­ah, war es Esche­rich ge­we­sen, als sähe zwi­schen den Bä­chen aus Blut und Schnaps Quan­gel ihn un­ver­wandt an, und er mein­te gra­de­zu, ihn spre­chen zu hö­ren: Das ist also die ge­rech­te Sa­che, für die du mor­dest! Das sind dei­ne Hen­kers­ge­sel­len! So seid ihr. Du weißt sehr wohl, was du tust. Ich aber wer­de für die Ver­bre­chen, die ich nicht be­gan­gen habe, ster­ben, und du wirst le­ben – so ge­recht ist dei­ne Sa­che!

      Dann hat­ten sie ent­deckt, dass Esche­richs Glas noch heil war. Sie hat­ten es ihm be­foh­len, es auch auf dem Kopf Quan­gels zu zer­schla­gen. Ja, Prall hat­te es ihm zwei Mal sehr scharf be­feh­len müs­sen – »Du weißt doch, Esche­rich, wie ich mit dir Schlit­ten fah­re, wenn du nicht pa­rierst?« –, und dann hat­te also Esche­rich sein Glas auf Quan­gels Kopf zer­schla­gen. Vier­mal hat­te er mit sei­ner zit­tern­den Hand zu­schla­gen müs­sen, ehe das Glas zer­brach, und die gan­ze Zeit über hat­te er den schar­fen, höh­ni­schen Blick Quan­gels auf sich ge­fühlt, der schwei­gend sei­ne Ent­wür­di­gung mit­er­leb­te. Die­se lä­cher­li­che Fi­gur in zu kur­z­em Hemd, sie war stär­ker, wür­de­vol­ler ge­we­sen als all sei­ne Quä­ler. Und bei je­dem Schlag, den Kom­missar Esche­rich ver­zwei­felt und ver­ängs­tigt ge­führt hat­te, war es ihm ge­we­sen, als schla­ge er ge­gen den Be­stand sei­nes ei­ge­nen Ichs, als rüh­re ihm eine Axt an die Wur­zeln des Le­bens­baums.

      Dann war Otto Quan­gel plötz­lich zu­sam­men­ge­bro­chen, und so hat­ten sie ihn da auf dem nack­ten Zel­len­bo­den lie­gen­ge­las­sen, be­wusst­los und blu­tend. Sie hat­ten auch der Wa­che ver­bo­ten, sich um das Schwein zu küm­mern, und wa­ren wie­der hin­auf­ge­gan­gen zum Wei­ter­sau­fen, zum Wei­ter­fei­ern, als hät­ten sie wer weiß was für einen hel­di­schen Sieg er­run­gen.

      Und nun sitzt Kom­missar Esche­rich wie­der in sei­nem Dienst­zim­mer am Schreib­tisch. Ihm ge­gen­über an der Wand hängt noch im­mer die Kar­te mit den ro­ten Fähn­chen. Sein Kör­per ist völ­lig in sich zu­sam­men­ge­sun­ken, aber er denkt noch klar.

      Ja, die Kar­te ist er­le­digt. Mor­gen kann sie ab­ge­nom­men wer­den. Und über­mor­gen wer­de ich eine neue Kar­te auf­hän­gen und nach ei­nem neu­en Kla­bau­ter­mann ja­gen. Und wie­der eine. Und noch eine. Was hat das al­les für einen Sinn? Bin ich dazu auf die­ser Welt? Es muss ja wohl so sein, aber wenn es so ist, ver­ste­he ich nichts von die­ser Welt, dann liegt in nichts Ver­stand. Dann ist es wirk­lich ganz gleich, was ich tue …

      Sein Blut wird von mir ge­for­dert wer­den … Wie er das sag­te! Und sein Blut von mir! Nein, auch Enno Klu­ges Blut habe ich auf mir, die­ser er­bärm­li­che Schwäch­ling, den ich ge­op­fert habe, um die­sen Mann ei­ner be­sof­fe­nen Hor­de aus­zu­lie­fern. Der wird nicht wim­mern wie der klei­ne Kerl auf dem Boots­steg, der wird an­stän­dig ster­ben …

      Und ich? Wie steht es mit mir? Ein neu­er Fall, und der tüch­ti­ge Esche­rich hat nicht so viel Er­folg, wie der Herr Ober­grup­pen­füh­rer Prall er­war­tet, und ich wan­de­re noch ein­mal in den Kel­ler. Schließ­lich kommt der Tag, an dem ich hin­un­ter­ge­schickt wer­de, um nicht wie­der her­auf­ge­holt zu wer­den. Lebe ich dazu, um dies zu er­war­ten? Nein, der Quan­gel hat recht, wenn er den Hit­ler einen Mör­der nennt und mich den Lie­fe­ran­ten ei­nes Mör­ders. Es ist mir im­mer gleich ge­we­sen, wer am Ru­der saß, warum die­ser Krieg ge­führt wur­de, wenn ich nur mei­nem ge­wohn­ten Ge­schäft nach­ge­hen konn­te, dem Men­schen­fang. Dann, wenn ich sie erst hat­te, war mir gleich­gül­tig, was aus ih­nen wur­de …

      Aber jetzt ist es mir nicht gleich­gül­tig. Ich bin des­sen so über­drüs­sig, es ekelt mich an, die­sen Bur­schen neue Beu­te zu lie­fern; seit ich die­sen Quan­gel fing, ekelt es mich an. Wie er da­stand und mich an­sah. Blut und Schnaps lie­fen über sein Ge­sicht, er aber sah mich an! Das hast du ge­tan, sag­te sein Blick, du hast mich ver­ra­ten! Ach, wäre es noch mög­lich, ich wür­de zehn Enno Klu­ges op­fern, die­sen einen Quan­gel zu ret­ten, ich wür­de die­ses gan­ze Haus op­fern, ihn frei zu ma­chen! Wäre es noch mög­lich, ich wür­de fort­ge­hen von hier, ich wür­de et­was be­gin­nen wie Otto Quan­gel, et­was bes­ser Aus­ge­dach­tes, aber ich möch­te kämp­fen.

      Doch es ist un­mög­lich, sie las­sen mich nicht, sie nen­nen so et­was Fah­nen­flucht. Sie wür­den mich ho­len und wie­der in den Bun­ker wer­fen. Und mein Fleisch schreit, wenn es ge­quält wird, ja, ich bin fei­ge. Ich bin fei­ge wie Enno Klu­ge, ich bin nicht mu­tig wie Otto Quan­gel. Wenn mich der Ober­grup­pen­füh­rer Prall an­schreit, so zit­te­re ich und tue zit­ternd, was er mir be­fiehlt. Ich zer­schla­ge mein Schnaps­glas auf dem Kopf des ein­zi­gen an­stän­di­gen Man­nes, aber je­der Schlag ist eine Hand­voll Erde auf mei­nen Sarg.

      Lang­sam stand Kom­missar Esche­rich auf. Ein hilflo­ses Lä­cheln lag auf sei­nem Ge­sicht. Er ging zur Wand, er lausch­te. Es war jetzt, in der Stun­de nach Mit­ter­nacht, still in dem großen Hau­se an der Prinz-Al­brecht-Stra­ße. Nur der Schritt der Wa­che auf dem Kor­ri­dor, auf und ab, auf und ab …

      Auch du weißt nicht, warum du so auf und ab rennst, dach­te Esche­rich. Ei­nes Ta­ges wirst du be­grei­fen, dass du dein Le­ben ver­tan hast …

      Er griff nach der Kar­te, er riss sie von der Wand. Vie­le Fähn­chen fie­len, mit ih­ren Steck­na­deln klap­pernd, zu Bo­den. Esche­rich zer­knüll­te die Kar­te und warf sie dazu.

      »Aus!«, sag­te er. »Zu Ende! Zu Ende der Fall Kla­bau­ter­mann!«

      Er ging lang­sam zu­rück zu sei­nem Schreib­tisch, zog eine Lade auf und nick­te.

      »Hier ste­he ich, wahr­schein­lich der ein­zi­ge Mann, den Otto Quan­gel durch sei­ne Kar­ten be­kehrt hat. Aber ich bin dir nichts nut­ze, Otto Quan­gel, ich kann dein Werk nicht fort­set­zen. Ich bin zu fei­ge dazu. Dein ein­zi­ger An­hän­ger, Otto Quan­gel!«

      Er zog rasch die Pis­to­le her­vor und schoss.

      Die­ses Mal hat­te er nicht ge­zit­tert.

      Der her­bei­stür­zen­de Pos­ten fand nur einen fast kopf­lo­sen Leich­nam hin­ter dem Schreib­tisch. Die Wän­de wa­ren mit Blut und Hirn be­spritzt, an ei­ner Lam­pe hing, zer­fetzt und schmie­rig, der sem­mel­blon­de Schnurr­bart des Kom­missars Esche­rich.

      Der Ober­grup­pen­füh­rer Prall tob­te. »Fah­nen­flucht! Alle Zi­vi­lis­ten sind Schwei­ne! Al­les, was nicht Uni­form trägt, ge­hört in den Bun­ker, hin­ter Sta­chel­draht! Aber war­te,


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