Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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zu beu­teln. Der Kopf schlägt ge­gen die höl­zer­ne Bett­wand. Wäh­rend er sie so zwan­zig-, drei­ßig­mal hoch­reißt und wie­der in das Kis­sen drückt, schreit er ihr wü­tend ins Ge­sicht: »Willst du noch wei­ter lü­gen, du olle Kom­mu­nis­tensau? Du – sollst – nicht – lü­gen! Du – sollst – nicht – lü­gen!«

      »Nicht!«, lallt die Frau. »Sie sol­len das nicht!«

      »Sag, dass du die Kar­ten ge­schrie­ben hast! Sag – das – auf – der – Stel­le! Oder – ich – schla­ge – dir – dei­nen – Bre­gen – ka­putt, du rote Sau, du!«

      Und bei je­dem Wort lässt er ih­ren Kopf ge­gen die Bett­wand kra­chen.

      Der Kom­missar Esche­rich, das Schreib­zeug in der Hand, sieht von der Tür her mit ei­nem Lä­cheln zu. Das ist also eine Ver­neh­mung durch den Ober­grup­pen­füh­rer! Wenn er noch fünf Mi­nu­ten so wei­ter­macht, wird die Frau fünf Tage lang ver­neh­mungs­un­fä­hig sein. Kei­ne noch so raf­fi­niert aus­ge­dach­te Quä­le­rei wird ihr dann das Be­wusst­sein wie­der­ge­ben.

      Aber für einen Au­gen­blick ist das viel­leicht nicht ein­mal so schlecht. Soll die ru­hig ein biss­chen Angst krie­gen und Schmer­zen ha­ben, umso eher wird sie sich an ihn, den höf­li­chen Mann, klam­mern!

      Als der Ober­grup­pen­füh­rer den Kom­missar am Bett auf­tau­chen sieht, hört er mit sei­ner Beu­te­lei auf und sagt halb ent­schul­di­gend und halb vor­wurfs­voll: »Sie sind viel zu sanft mit sol­chen Wei­bern, Esche­rich! Die muss man schlei­fen, bis sie quie­ken!«

      »Ge­wiss, Herr Ober­grup­pen­füh­rer, si­cher! Aber darf ich der Frau erst ein­mal et­was zei­gen?«

      Er wen­det sich an die Kran­ke, die jetzt müh­sam keu­chend und mit ge­schlos­se­nen Au­gen im Bett liegt: »Frau Quan­gel, hö­ren Sie mal her!«

      Sie scheint nicht zu hö­ren.

      Der Kom­missar fasst sie an und setzt sie vor­sich­tig auf. »So«, sagt er, sanft zu­re­dend. »Nun ma­chen Sie mal die Au­gen auf!«

      Sie tut es. Esche­rich hat ganz rich­tig ge­rech­net: nach dem Schüt­teln und Dro­hen eben klingt ihr die freund­lich-höf­li­che Stim­me an­ge­nehm.

      »Sie ha­ben mir doch eben ge­sagt, dass bei Ih­nen hier schon lan­ge kei­ner ge­schrie­ben hat? Nun, se­hen Sie sich mal die­se Fe­der an. Mit der ist gra­de erst ge­schrie­ben, viel­leicht heu­te oder ges­tern, die Tin­te sitzt noch ganz frisch dran! Se­hen Sie, ich kann sie mit dem Na­gel ab­krat­zen!«

      »Da­von ver­steh ich nichts!«, sagt Frau Quan­gel ab­wei­send. »Da müs­sen Sie mei­nen Mann nach fra­gen, von so was ver­steh ich nichts.«

      Kom­missar Esche­rich sieht sie auf­merk­sam an. »Sie ver­ste­hen ganz gut, Frau Quan­gel!«, sagt er et­was schär­fer. »Bloß, Sie wol­len nicht ver­ste­hen, weil Sie wis­sen, Sie ha­ben sich schon ver­ra­ten!«

      »Bei uns schreibt kei­ner«, wie­der­holt Frau Quan­gel hart­nä­ckig.

      »Und Ihren Mann brau­che ich nicht mehr zu be­fra­gen«, fährt der Kom­missar fort. »Weil er näm­lich schon al­les ge­stan­den hat. Er hat die Kar­ten ge­schrie­ben, und Sie ha­ben sie ihm dik­tiert …«

      »Na, denn ist’s ja gut, wenn Otto das ge­stan­den hat«, sagt Anna Quan­gel.

      »Hau das fre­che Aas doch in die Fres­se, Esche­rich!«, schreit der Ober­grup­pen­füh­rer plötz­lich da­zwi­schen. »So ’ne Frech­heit, uns hier an­zu­soh­len!«

      Aber der Kom­missar haut das fre­che Aas nicht in die Fres­se, son­dern er sagt: »Wir ha­ben Ihren Mann ge­schnappt mit zwei Post­kar­ten in der Ta­sche. Er konn­te ja gar nicht leug­nen!«

      Als Frau Quan­gel das mit den bei­den Post­kar­ten hört, die sie so lan­ge im Fie­ber ge­sucht hat, fährt wie­der ein Er­schre­cken durch sie. Also hat er sie doch mit­ge­nom­men, und sie hat­ten doch fest aus­ge­macht, dass sie die Kar­ten mor­gen oder über­mor­gen ein­ste­cken soll­te. Das war nicht recht von Otto.

      Ir­gend­was muss pas­siert sein mit den Kar­ten, über­legt sie müh­sam. Aber ge­stan­den hat Otto nichts, sonst wür­den sie hier nicht so her­um­su­chen und mich aus­fra­gen. Son­dern sie wür­den …

      Und laut fragt sie: »Wa­rum brin­gen Sie denn den Otto nicht her? Ich weiß nicht, was das sein soll mit Post­kar­ten. Wa­rum soll er denn Post­kar­ten schrei­ben?«

      Weit legt sie sich wie­der zu­rück, den Mund und die Au­gen ge­schlos­sen, fest ent­schlos­sen, kein Wort mehr zu sa­gen.

      Kom­missar Esche­rich sieht einen Au­gen­blick nach­denk­lich auf die Frau hin­un­ter. Sie ist sehr er­schöpft, das sieht er. Im Au­gen­blick ist nichts mit ihr an­zu­fan­gen. Er wen­det sich kurz um, ruft zwei sei­ner Leu­te und be­fiehlt: »Le­gen Sie die Frau in das an­de­re Bett da rü­ber, und dann durch­su­chen Sie die­ses Bett ge­nau! Bit­te, Herr Ober­grup­pen­füh­rer!«

      Er will sei­nen Vor­ge­setz­ten aus dem Zim­mer ha­ben, er will nicht noch eine Prall’­sche Ver­neh­mung. Es ist sehr mög­lich, dass er die­se Frau in den nächs­ten Ta­gen not­wen­dig braucht, dann muss sie ein biss­chen bei Kräf­ten und bei kla­rem Ver­stand sein. Au­ßer­dem scheint sie zu den nicht gra­de häu­fi­gen Men­schen zu ge­hö­ren, die kör­per­li­che Be­dro­hung nur noch bock­bei­ni­ger macht. Mit Schlä­gen ist aus der be­stimmt nichts raus­zu­krie­gen.

      Der Ober­grup­pen­füh­rer geht nicht ger­ne von die­sem Wei­be fort. Er hät­te es der ol­len Nut­te doch gar zu ger­ne ge­zeigt, was er von ihr hielt. Er hät­te sei­nen Zorn über die­se gan­ze ver­fah­re­ne Kla­bau­ter­mann­ge­schich­te am liebs­ten bei ihr aus­ge­las­sen. Aber wenn schon die­se bei­den Schnüff­ler im Zim­mer wa­ren – und au­ßer­dem: heu­te Abend steck­te das alte Biest doch im Bun­ker in der Prinz-Al­brecht-Stra­ße, dann konn­te er mit ihr ma­chen, was er woll­te.

      »Sie wer­den die Olle doch fest­neh­men, Esche­rich?«, frag­te er in der Wohn­stu­be.

      »Ge­wiss wer­de ich das«, ant­wor­te­te der Kom­missar und sah ge­dan­ken­los sei­nen Leu­ten zu, die mit pe­dan­ti­scher Gründ­lich­keit je­des Wä­sche­stück aus­ein­an­der­fal­te­ten und wie­der zu­sam­men­leg­ten, mit lan­gen Na­deln die Sofa­pols­ter durch­sta­chen und die Wän­de ab­klopf­ten. Er setz­te hin­zu: »Aber ich muss se­hen, dass ich sie erst in einen ver­neh­mungs­fä­hi­gen Zu­stand krie­ge. In die­sem Fie­ber be­greift sie al­les nur halb. Sie muss erst ver­ste­hen, dass sie in Le­bens­ge­fahr ist. Dann kriegt sie Angst …«

      »Ich wer­de ihr schon Angst bei­brin­gen!«, knurr­te der Ober­grup­pen­füh­rer.

      »Nicht auf die­se Art – je­den­falls muss sie da­für erst fie­ber­frei sein«, bat Esche­rich und un­ter­brach sich: »Was ha­ben wir denn da?«

      Ei­ner sei­ner Leu­te hat­te sich mit den we­ni­gen Bü­chern be­schäf­tigt, die auf ei­nem klei­nen Re­gal auf­ge­reiht wa­ren. Er hat­te ein Buch ge­schüt­telt, und et­was Wei­ßes war auf die Erde ge­flat­tert.

      Der Kom­missar war der Schnells­te. Er hob das Stück Pa­pier auf.

      »Eine Kar­te!«, rief er. »Eine an­ge­fan­ge­ne und noch nicht zu Ende ge­schrie­be­ne Kar­te!«

      Und er las vor: »Füh­rer be­fiehl, wir fol­gen! Ja, wir sind eine Her­de Scha­fe ge­wor­den, die un­ser Füh­rer auf jede Schlacht­bank trei­ben darf! Wir ha­ben das Den­ken auf­ge­ge­ben


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